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Bekenntnis zu Österreich

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In diesem ersten Jahr selbständiger künstlerischer Verantwortung haben die Wiener Bühnen manches getan zur Verlebendigung des österreichischen Dramas: wir sahen Werke von Grillparzer, Raimund und Nestroy, von Hotmannsthal, Schnitz-ler und Werfel. Das war Reiditum und Buntheit, aber es gilt doch, Einheit zu sdiauen. Zur gleichen Zeit lasen wir vieles Tiefe und Schöne, Gedichte und Prosa, das uns ein Jahrzehnt lang fast verloren schien: von dem eigenartigen Lernet-Holenia etwa, dem ernsten Rudolf Henz, dem naturverbundenen Robert Michel — und von vielen anderen. 'Das gab eine gewaltige Symphonie, wenn auch nicht alles klingend war aus ursprünglicher Notwendigkeit.

Einer aber fehlte, eine Stimme durfte nicht aufklingen, eine Stimme, die gerade in unseren Tagen gehört werden sollte; denn sie fügt zur Einheit, was Herz und Sinn unseres Volkes bewegt: österreichertum und Weltweite, soziales Empfinden und Gläubigkeit. Sie weist den Weg; Persönlichkeit und Gemeinschaft, Volk und Welt sind ihrem Spruch keine Gegensätze, nicht die Quelle unendlicher Ströme vergossenen Blutes. Nein, Anton Wildgans' Dramen hat keine der großen Bühnen aufgeführt in diesem Jahr des Suchens, selten sind Gedichte gedruckt worden, nirgends rief einer zu des Dichters Gedenken, die Wildgans-Gesellschaft ausgenommen; aber ihr Anruf blieb fast ohne Widerhall. Es wird Zeit, daß sich Österreich auf diesen Besitz besinnt, wenn anders nicht ein Gut verlorert gehen soll, auf das wir stolz sein müßten und das gerade in dieser Stunde lebendig werden sollte.

Ein kleiner Beitrag sei dieser Versuch, der nicht mehr enthalten kann als wenige Hinweise auf des Dichters Stellung zu Land, Staat und Volk von Österreich.

Land: das ist immer die Summe von Landschaften, die zu einer Einheit geordnet sind nach innerem Gesetz. Insofern muß die künstlerische Darstellung jenes höheren Begriffes die Darstellung der jeweils konkreten Landsdiaft sein, unmittelbar als Beschreibung nach dem aufmerksamen Blick des Beobaditers, mittelbar als gedeutetes Erlebnis, immer gemäß der Notwendigkeit der Gestaltung. Erst in ihrer Vielfalt, befreit von der künstlerischen Methode, gleichsam reduziert auf sich selbst, formt sich aus den Bildern der Landschaften der Begriff Land, auf den es zuletzt ankommt.

österreichisches Land — das ist bei Wildgans die Darstellung im wesentlichen zweier Landschaften: der Wiens im weiteren Sinne und des Berglandes. Dieses bannt ihn mit elementarer Wirkung, jene wird mehr durch ihre seelische Kraft lebendig, durch ihre Atmosphäre. Das „österreichische Lied“ oder die „Zueignung an die geliebte Landschaft“ sind unmittelbarer Ausdruck des Wunders Natur in seiner besonderen Gestalt. Nur die Folgerungen aus dem optischen Geschehen reichen ins Gedankliche. Die Verbindung beider Welten vollzieht sich im „Kirbisch“; diese lebendigsten Hexameter neuerer Dichtung vereinen die betrachtende mit der erfühlten, so daß Schau und Gestaltung künstlerisch eins werden. Diese zweite Art der Darstellung ist vornehmliche Ebene der landsdiaftlichen Bindung in den Wiener Dichtungen, die nicht nur aus geschichtlicher und kultureller Tradition, sondern ebenso aus der Realität der modernen Großstadt aufwachsen. Ja, „Ich bin ein Kind der Stadt“ ist geradezu das Heimatbekenntnis des Großstädters, der unter jedem Pflasterstein noch die Erde spürt, der dieser aufgezwungen wurde, die „Lastenstraße“ ist Wildgans noch in gewissem Sinne Landstraße und die Zeilen des Gedichtes „Dieses Haus wird demoliert“: „Damals träumtest du noch tief in Gärten Und die Hirsche hatten ihre Fähren Aus den Donauauen bis zu dir“ sind Empfindungen ersdiütternder Zusammenhänge des steinernen Schicksals der

Stadt mit den ursprünglich fruchtenden Kräften des Bodens. Diese doppelte Bindung an das, was wir Land nennen, ist aber typisch österreichisch, der schwelgende Blick und der deutende Sinn haben zu allen Zeiten die Liebe unserer Menschen zu ihrer Erde geformt. Darum ist sie auch keine vergängliche, sie überdauert die Zeiten der Sorgen, Nöte und Gefahren, und wenn die Zerstörung der Schönheit vieles geraubt hat, so sehen es die sehnsüchtigen und gläubigen Herzen doch in die Zukunft wachsen, herrlicher und beglückender, weil darin ein Gutteil ihres Menschseins beschlossen liegt, wie es Anton Wildgans gedeutet hat. •

Diese Land trug seit je einen eigenartigen Staat. Es gab ein Herzogtum; aber dieses lag schon an der Schwelle zum Osten und war Brücke so gut wie Wehr. Es gab eine Monarchie, und sie schloß Beharren und Fortschritt sinnvoller zusammen, als dies anderwärts geschehen mochte. Und endlich hat hier die Republik die Notwendigkeit der Synthese von Gedanken und Kräften deutlicher geoffenbart, als dies in anderen Staaten der Fall war. Diese besondere Lage kann nur daher gedeutet werden, daß der Mensch dieses Landes, durch Lage und Geschichte gleichermaßen veranlaßt, seit jeher gegenüber dem Staat seine besondere Stellung hatte. Nirgendwo anders — am wenigsten in der übrigen deutschsprachigen Welt — ist die Relativität des Wertes „Staat“ so deutlich erfühlt worden. Ja, der Gedanke, daß der Staat immer nur eine Notwendigkeit und Organisationsform, niemals aber ein Organismus sein kann, ist bei uns immer stärker zur Gewißheit geworden. Und daher kommt auch die Skepsis und die Kritik gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen. Verständlich, daß bei solcher Einstellung für die Darstellung des Staates in dem Werk des Dichters kaum Platz ist. Und wenn es dennoch andeutungsweise geschieht, wie etwa in dem Kriegsgedicht „Das große Händefalten“, das in blutiger Stunde jedem Haß absagt, dann geschieht es in jenem anderen Sinne, in dem der österreichische Staat immer nur der Rahmen gewesen ist für ein Größeres, das ihm das Gesicht geformt hat — und die Geschichte: das österreidiische Volk.

Diesem österreichischen Volk gehört die Liebe des Dichters Anton Wildgans. Nicht, daß er es in zahllosen Hymnen besungen hätte, es scheidend und abschließend von seiner Umwelt! Sosehr er es liebte, er hat seine Schwächen erkannt und auch diese gestaltet. Auch der Gendarm, Fleps und der Wirt im „Kirbisch“ sind Österreicher, und es kann wahrhaftig nicht Ziel solcher Didi-tung sein, einen falschen Mythos zu schaffen. Dennoch bekennt sich Wildgans ohne jeden Rückhalt zu seinem Volk; denn gerade der bewußte Kritiker der spezifischen Mängel weiß auch abzuwägen, was sdiwerer wiegt: das Gute oder die Fehler. Und wie er in jedem einzelnen die gegensätzlichen Kräfte erkennt und weiß, daß nur Mühen und Streben vor der Zeit Geltung haben und daß im Ewigen nicht mit dem Maß kleinlichen menschlichen Dünkels ge-/ messen wird, so deutet er die Offenbarungen dieses Volkes nach ihrem höheren Werte als einer aus seiner Mitte, dem das Wort gegeben wurde, zu sagen und Zeugnis abzulegen: vor der Welt, vor der Geschidite, vor Gott. Er wird in Wahrheit „eines Volkes Anwalt vor dem Riditer“, ein Mann, der sich bewußt die Verantwortung auflädt-ein Mann, wie uns viele heute bitter not täten!

Anton Wildgans weiß: Land und Geschichte haben dieses Volk einer unablässigen und vielfältigen Mischung unterworfen und ihm dadurch eine Anpassungsfähigkeit geschenkt, die in sdiwächeren Naturen zur Charakterlosigkeit werden kann, auf fruchtbarem Boden aber jene Güte und Duldsamkeit zeugt, die allein eine zerschlagene, aus tausend Wunden blutende Welt heilen können Wenn ein Sterbender seinem Sohn auf den leidenschaftlich empörten Anruf der Jugend „Armut, Armut, was werd' ich durch dich“ als einziges Vermächtnis die Antwort gibt:

„Bin Bettler, wenn du nur danach drängst,

Was die anderen haben und sind.

Ein Mensch, wenn du leidend erkennst,

Daß andere immer noch ärmer sind.

Ein Dichter, wenn du die Herzen wirbst,

Die für die Armut verhärtet sind.

Ein Heiland, wenn du für jene stirbst,

Die deine verstoßenen Brüder sind.“

(„Armut“, IV Akt) so ist das nicht allein ein soziales Bekenntnis, sondern vor ailem ein menschliches. Solche Menschlichkeit weiß durch ihr bloßes Dasein Gegensätze zu überwinden und strebt ihrem innersten Wesen gemäß nach Einheit und Harmonie. Und dieser kleine Beamte Josef Spuller ist sosehr Österreicher, daß er es mit keinem Wort aussprechen muß, um es dem Zuschauer verständlich zu machen. Um dieses Menschen willen, der in Goethes Faust „einen Millionenbesitz“ sieht und in seine Lebensenge die ganze Weite einer Welt des Geistes und der Gemeinschaft zu bannen weiß, um dieses Menschen willen verzichtet Anton Wildgans auf ein altes Recht des Österreichers und spricht das Wort, um vor allen zu bekennen. In der herrlidien „Rede über öster-reidi“ geschieht dieses Wunder der Aufgabe des Schweigens, klangvoll rausdiend und tief besinnlich. Und dieser Mensch und sein Volk sind Mensch und Volk fast aller Dichtungen Anton Wildgans', von den Gedichten und dem Einakter „In Ewigkeit Amen“ über „Armut“, „Musik der Kindheit“ zum „Kirbisch“. Aus Land und Landschaft sind sie geworden, aus Gesdiichte und Kultur, aus Güte, aus Weisheit, aus Liebe.

Wahrhaftig, es ist kaum einer unter den Kündern unseres Landes in neuerer Zeit, der gleidi umfassend, gleich vielfältig solches gezeigt hätte. Gewiß: als es nach dem großen Zusammenbruch von 1918 galt, ein neues Österreich zu bauen, da erhoben sich manche Stimmen. Etwa die Hofmannsthals, der damals aus dem Gegensatz zum Preußentum seine grandiose Disposition österreichischen Wesens sdiuf; oder die von Oskar A. H. Schmitz, der eben damals den österreichischen Mensdten aus seiner Tradition deutete, oder, ein Jahrzehnt später, die Robert Musils, der sein wirklichkeitsnahes Phantasieland Kakanien formte. Letztlich aber sind die meisten dieser Zeugnisse aus dem erkennenden Intellekt entsprungen und, sosehr es ihrer bedurfte als Glieder in der Kette der Beweise, sosehr kam es schließlich doch an auf das Bekenntnis. Dieses kommt aus dem Herzen, wenn es überhaupt eines sein soll. Das dichteriebe Bekenntnis zu Österreich aber stammt von Anton Wildgans. In seinem Werk ist das österreichertum gleichsam immanent, audi dort, wo er nicht von ihm spricht. Es ist die eine unerschöpfliche Quelle seiner Kunst, jene wohl, die heute und immer am leichtesten zugänglich sein wird. Demjenigen, der sich ihrem Rauschen überläßt, wird sie doppelte Segnung schenken.die der Dichtung und die Österreichs.

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