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Belesener Erzähler

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Der unermüdliche Erzähler Helmut Krausser ist belesen wie Umberto Eco, aber um genau 30 Jahre jünger und wohl der erfolgreichste Jungautor deutscher Sprache. Eben kommt (wenn ich richtig gezählt habe) der achte, wie immer umfängliche Prosaband des 32jährigen heraus, ein Psychokrimi: „Thanatos oder das schwarze Buch”. Es besteht allerdings aus sechs „Büchern”, das letzte heißt „Anagnorisis (Drei Fragmente)”. Das Wort bezeichnet das Wiedersehen von Verwandten, in unserem makabren Fall die mystische Begegnung des genialen Germanisten Dr. Konrad Johanser mit dem von ihm erschlagenen Cousin.

Der Alkoholiker und hochbegabte Literaturexperte Johanser (witzigerweise gleich alt wie der Autor) ist von seinem Vater her, der zwar kein Genie war, aber schwer betrunken samt Ehefrau verunglückte, erblich belastet. Eher nebenbei erfährt man, daß er ein brutaler Vater und der Gymnasiast Konrad kein Musterknabe, aber ein Musterschüler war, und hernach ein tüchtiger Archivar am Institut für Deutsche Romantik, das er durch sensationelle Handschriftenfunde, allerdings von ihm gefälschte, in die Schlagzeilen brachte. Trotzdem wird er eines Tages „eingespart” und mit einer beträchtlichen Abfertigung entlassen. Seine Ehe war schon vorher zerbrochen, Konrad von einer geradezu krankhaften Leidenschaft für eine aparte Prostituierte befallen, die aber spurlos verschwunden ist.

Nun besucht er einen Halbbruder des verstorbenen Vaters, Pensionist auf dem Lande, mit Frau und spätgeborenem löjährigem Sohn. Man ist erstaunt, der Neffe hat sich 13 Jahre nie anschauen lassen. Immerhin wird er willkommen geheißen, bloß nicht vom halbwüchsigen Benedikt, einem aufsässigen Mittelschüler. Bei einem Waldspaziergang teilt ihm der bösartige Cousin mit, er wisse alles, habe mit dem Institut telephoniert, aber „vorläufig” das Versteck Konrads noch nicht verraten. Der gerät in Panik und erschlägt den Erpresser mit einem Stein.

Die brillante , Schilderung der Angstzustände des intellektuellen Mörders wird zum literarischen Höhepunkt. Zwar war es für den routinierten Fälscher leicht, die Handschrift des Umgebrachten nachzuahmen, also den Abschiedsbrief eines Durchgegangenen in dessen burschikoser Wortwahl zu formulieren, doch treibt Ruhelosigkeit den Täter von Ort zu Ort.

Krausser will alles, nur kein Simenon sein. Beinahe surrealistisch läßt er die Story zerbröckeln, in Fragmente und philosophierende Einschübe über den Todesgott Thanatos. Vorher gibt er Sexorgien zum Leserbesten, quasi als Nachweis, daß er als Romanautor einfach alles kann. Zwischendurch gelingen ihm, ins Geschehen passend, zahlreiche Einschübe von Zitaten aus Klassik und Romantik. Am Buchende gibt er ein Dutzend Namen an, von Euripides über Uhland, Rückert, Hölderlin bis Hofmannsthal. Die Liste endet aber mit dem hämischen Eingeständnis: „Manche sind leicht gefälscht.” Also bis zuletzt Konrad Johanser, wie er geleibt und gelebt haben könnte. Ein absonderlicher Roman, zugleich ein Rravourstück.

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