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Bergbauernnot

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Seit Jahren wird das Problem der unzureichenden Versorgung Österreichs mit eigenen Nahrungsmitteln erörtert. Neben den vielfach naturgegebenen ungünstigen Verhältnissen werden rückständige Wirtschaftsmethoden, die Landflucht und Mangel an Siedlungsland als Ursachen geltend gemacht, wobei sich allerdings die letzteren beiden Argumente zu widersprechen scheinen. Als Abhilfe wird einerseits die Mechanisierung zur Leistungssteigerung und Einsparung von Personal, andererseits die Melioration ertragsloser Böden, Moorflächen usw. zur Beschaffung neuer Siedlungsstellen als Abhilfe empfehlen.

Zweck dieser Zeilen soll es nun sein, das Problem im Hinblick auf die wirkliche Bergbauern Wirtschaft zu erörtern und — ohne mit einem Allheilmittel aufwarten zu können — noch auf eine weitere Gefahr aufmerksam zu machen, die in der Publizistik bisher nur wenig gewürdigt wurde.

Die Bergbauernwirtschaft, bei welchem Wort ich nicht an flache Talböden, umrahmt von romantischen Gebirgsszenerien, denke, sondern an jene Tausende und Tausende von größeren und kleineren Höfen, die am Hang kleben und bei denen meist der Stubenboden der einzige ebene Fleck des Besitzes ist, ist durch die Bodengestaltung auf das schwerste benachteiligt.

Auf ebener Fläche, wenn sie auch noch so steinig und mager ist, lassen sich durch zielbewußte Arbeit und Einsatz mechanischer Mittel immer namhafte Verbesserungen erzielen und vor allem auch für die laufende Bewirtschaftung arbeitsparende Maschinen und dergleichen einsetzen, die schließlich und endlich zu einem Ertrag führen. Der Bergbauer im obigen Sinne ist aber nach wie vor im wesentlichen an die Arbeitsweise seiner Großväter gebunden.

Es werden kaum jemals Maschinen erfunden werden, die auf Steillagen noch rationell arbeiten. Wenn der Bauer den Boden seiner Hänge umbricht, sei es auch etwa mit Motor und Seilzug, so besteht immer die Gefahr, daß der nächste Gewittersturm oder Wolkenbruch die dünne Bodenkrume abschwemmt und der Fleck auf Jahrzehnte ertraglos wird. Seine wenigen Obstbäume sind ganz anderen Gefahren und Witterungsunbilden ausgesetzt als im Flachland, und an empfindliche Sonderkulturen ist nur ausnahmsweise zu denken. Das Transpprtproblem bei zerstreutem Besitz ist eine schwere Last. Dieser Bauer ist immer auf die bloße Handarbeit mit Sense und Haue und auf seinen Ochsenkarren angewiesen — und soll in den Preisen für seine Erzeugnisse gegen Mähdrescher, Traktor und Hackmaschine bestehen? Elektrischer Strom, eine Gülleanlage oder Kreissäge bringen gewiß Erleichterung der Arbeit, aber die Kluft erweitert sich gerade infolge der Mechanisierung dauernd und ist durch solche gutgemeinte Maßnahmen nicht zu schließen.

Dazu kommt noch das gänzlich veraltete System der Grundsteuer, das in den Bonitätsklassen recht wenig Unterschied macht. Mancher arme Bergbauer zahlt für die gleiche Fläche auf den Groschen so viel Steuer wie sein Kollege im Tal, der auf dem Traktor fährt. Es war eine schwere Unterlassungssünde, beim Übergang vom Katastralreinertrag zum Einheitswert nicht die Hangneigung als entscheidenden Faktor in erster Linie festzustellen. Es mag dies durch die allenthalben gleichmäßig ebenen Flächen der — Schreibtische verursacht worden sein …

Zu allem kommt nun die katastrophale Land- und Höhenflucht, die bei Knecht und Dim in erster Linie auftritt, weil sie ja durch nichts Materielles gebunden sind. LTnd wenn der Bauer droben schon Dienstleute bekäme, so kann er die vorgeschriebenen Löhne ja meist nicht zahlen. Kein Wort soll da gesagt sein gegen eine voll angemessene Entlohnung jeder Lohnarbeit, aber Hand aufs Herz, welcher durchschnittliche BergbaueT kann über Kost und Quartier hinaus im Monat 360 Schilling für seine rein persönlichen Bedürfnisse aufwenden, wie er sie auch dem ‘edigen Knecht bezahlen soll? Von Krankheitsfällen und ähnlichem ganz abgesehen. Welche Bäuerin kann Wochen und Monate einen Mutterschutz genießen?

Prosperieren kann unter solchen Verhältnissen nur der, der keine fremden Dienstleute hält und sich. entweder selber von früh bis spät in menschenunwürdiger Weise schindet, oder seine eigenen Kinder hat und diese schlechter entlohnt, als er es beim fremden Knecht tun dürfte.

Dies ist die Sachlage in ungeschminkter Darstellung. Und nun zu den Folgeerscheinungen, die sich daraus e’rgeben.

Da der Bergbauer nicht an Stelle von drei bisherigen Handarbeitern einen Mann auf die Maschine setzen kann, so bleibt eine Menge sonst selbstverständlicher Arbeit ungetan. In erster Linie muß die früher gewohnte Sorgfalt und Gründlichkeit wegbleiben. Die Bodenbearbeitung und Unkrautbekämpfung geschieht oberflächlicher, die Erdäpfel werden schnell, schnell ausgegraben und ein Teil bleibt im Boden, das erste und letzte gefallene Obst verfault unter dem Baum, weil niemand Zeit hat, es einzusammeln, in den hinteren Wiesenwinkel hinein wird nicht mehr gemäht, weil dort ohnedies nicht viel Futter steht, der Hochwasserschaden am Bachufer wird nicht ausgebessert, weil Dringlicheres zu tun ist. Schließlich wird eine abgelegene magere Bergwiese gar nicht gemäht, weil das Wetter noch dazu die ganze Heuernte verzögert hat. Nur dieses eine Jahr! Aber im nächsten Sommer ist die gleiche Hast. Noch dazu macht das alte, niedergelegte Gras vom Vorjahr und das darin verhängte Laub die Arbeit noch lästiger und zeitraubender. Also läßt man es wieder.

Wer aufmerksam durch unsere Berge wandert, kann überall diese Anzeichen wahrnehmen: hier eine noch im Herbst ungemähte Wiese, dort eine schlechte oder noch schlechtere verwachsene Weide — in Wirklichkeit eine Wildnis —, vielfach verfallene Heustadeln, in die schon seit Jahren nichts mehr eingebracht wurde.

Man kann dem rapid fortschreitenden Problem nicht mit Beschwörungen beikommen. Der Besitzer selber kann nicht 24 Stunden im Tag arbeiten, und seine Kinder,! ebenso wie die Landarbeiter, wollen nicht mehr eine so mühsame, subjektiv gesehen schlecht bezahlte, objektiv betrachtet unrentable Arbeit leisten, wenn sie es in der Fabrik, bei der Post oder Bahn besser haben.

Mögen die Volkswirtschafter es sich zurechtlegen und auskämpfen, wie man das speziell in diesem Teilgebiet der Landwirtschaft gänzlich gestörte Gleichgewicht wieder herstellt. Hier soll nur auf eine bisher wenig beachtete, aber rapid fortschreitende Gefahr für unseren , nutzbaren Boden hingewiesen werden, die man mit Dekreten und Zwangsvorschriften nicht bekämpfen kann.

Selbst wenn es gar kein Mittel gegen diese Entwicklung geben sollte, wäre es besser, klar und bewußt die Konsequenzen zu ziehen und Bodenflächen, die eben bei der heutigen Umwandlung der Landwirtschaft nicht mehr mitkommen können, planmäßig in einen ertragreichen Wald umzuwandeln, als sie einfach der Verwilderung zu überlassen.

Vor etwa einem Jahrhundert hat es in vielen Berggegenden schon einen solchen Umschwung gegeben, als mit Bahn und Schiff billiges Getreide in Massen aus dem Osten kam. An den Hängen sind vielfach noch Spuren ehemaliger Äcker zu sehen, die damals als unrentabel aufgelassen und von da ab als Wiesen genutzt wurden.

Zu den heutigen Projekten über die Melioration von Moorflächen, um Siedlungsland zu gewinnen, bei dem die Bodeneinheit sehr, sehr teuer zu stehen kommen wird, wurde das Wort von der Schaffung eines „zehnten Bundeslandes“ geprägt. Sehen wir dazu, daß sich nicht gleichzeitig eįnes von den neun in Ödland verwandelt!

Vor vielen Jahren habe ich maßgebenden Stellen schon vorgeschlagen, die Landwirtschaft in Steillagen grundsätzlich steuerfrei zu stellen. Wer solches Gelände bewirtschaftet und dort ausharrt, leistet damit schon genug für die Allgemeinheit, und man braucht ihm nicht noch bittere Steuergroschen abzupressen, die ja doch im Vergleich zu den Erfordernissen des Staates verschwindend gering sind, den einzelnen aber schwer treffen. Es könnte aber jeder die Hand ins Feuer legen dafür, daß ein solcher „Freihof“ immer seine fleißigen und zähen Bewirtschafter finden und nie veröden würde.

Dauernde Subventionswirtschaft, wie sie sonst notwendig wäre, birgt manche Gefahren und wirkt letzten Endes entwürdigend; man nehme aber diesen Pionieren im wahren Sinne des Wortes wenigstens nichts weg! Das wird auch aus der jetzigen Resignation und Verbitterung herausführen.

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