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Bericht vom Rand der Gesellschaft

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Mit dem Kopf voran. Im Kopfstand kommt der Mensch auf die Welt” heißt es zu Beginn von Budolf Habringers neuem Bo-man. Er schildert die Schicksale von Menschen, die nie auf die Beine gekommen sind. Der Untertitel verspricht einen „Boman in Zusammenhängen”. Da mag man zunächst argwöhnen, es könne sich bei den zwölf Geschichten um eine verkappte Sammlung von Erzählungen handeln. Doch beim Lesen stellen sich Bezüge zwischen den Kapiteln her, ein Zusammenhang, der Figuren verbindet. Alle scheitern ziemlich kläglich am Leben, weil sie Kopf und Herz nicht zusammenbringen können. Es sind randseitige Existenzen, Untertanen und Duckmäuser, Möchtegernmörder und Verrückte, meist Täter und Opfer zugleich, abstürzende Dilettanten im Drahtseilakt des Lebens.

Da gibt es den manischen Stadter-kunder mit dem Wahn, „Alles” wissen zu wollen, den Habringer solange auf Erkundung schickt, bis der Leser weiß, daß die Bombe tickt. Die Explosion braucht gar nicht mehr innerhalb des Erzählrahmens stattzufinden, die laufenden Ereignisse geben mittlerweile den Phantasien recht. Da gibt es in „Freiwillig” den Alptraum eines unauffälligen Kantinenmenschen. Hier gelingt Habringer ein messerscharfes Psychogramm des Biedermanns und Untertanen, das an die Qualitäten von Georg Heyms Erzählung „Der Irre” erinnert, nur daß bei Habringer der Mord in der Phantasie begangen wird.

So entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der sich potentielle Amokläufer, lebende Bomben und sich hoffnungslos abstrampelnde Normalmenschen tummeln. Der eine geht auf dem Kopf, der andere dreht sich „Im Kreis”, wie in der gleichnamigen Geschichte, in der Habringer ein As-soziations-Stakkato bietet, das an den Maschinengewehrstil des Futurismus erinnert. Einer gräbt ein Loch, immer seiner Frage nach, die er an die Welt hat, die dazu beharrlich schweigt. Die Kunst Habringers liegt darin, daß er den Schluß nahelegt, ohne ihn selbst in Worte fassen zu müssen: Der Gräber wird eine Antwort erst erhalten, wenn er selbst in die ausgehobene Grube fährt.

Andere bekommen keine Luft oder verschwinden spurlos oder werden verrückt mit Bernhardscher Konsequenz. Eine verliebte Studentin hungert sich zu Tode, ein Säufer prügelt seine Frau halbtot, ein Mann begeht einen Bachemord (in „Nachts”, neben „Graben” die vielleicht beste Geschichte). Der abgefeimte Politiker zieht die Drähte im Hintergrund, bis es ihn vor lauter Cleverness selbst erwischt. Habringer beschreibt die alltägliche Grausamkeit zwischen Kirche, Rathaus, Wirtshaus und Friedhof, wie sie die kleinen Leute trifft, die aus finsteren Häusern kommen.

Wie schon im Roman „Der Fragensteller” (1992) zeigt sich Habringer als hochbegabter Wortakrobat mit einem großen Repertoire stilistischer Fähigkeiten, doch entfaltet das Buch nicht ganz den unwiderstehlichen Sog des ersten. Ganz ohne Manierismen geht es nicht immer ab. Freilich, wenn das Welttheater selber grotesk ist, weshalb sollten dann die Puppen auf der Bühne ihren Totentanz nicht unter grotesken Verrenkungen tanzen?

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