Berichte aus der Eiszeit

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Gabriele Petriceks Erzählband "Zimmerfluchten".

Ein nackter Mann öffnet der gerade zugezogenen Nachbarin, die angeläutet hat und mit einem frischen Guglhupf um gut nachbarliche Nähe bittet. Die Situation birgt viele Möglichkeiten. Gabriele Petricek entscheidet sich für eine ganz besondere: Gespräche, die aneinander vorbeigehen, körperliche Berührungen, die kalt lassen, berechnend wirkende Gedanken, die nichts mit Menschen, sehr viel jedoch mit Objekten zu tun haben.

In sieben Erzählungen führt die junge Österreicherin aus Wohnungen in öffentliche Räume, eisige Flure, kühle Plätze zurück in ein privates Zimmer. Die Personen haben nicht wirklich etwas miteinander zu tun, und doch verbindet sie vieles. Es gibt Beobachter und Beobachtete, die wissen, dass sie beobachtet werden. Alle bewegen sich auf unsichtbaren Linien, der jeweilige Aktionsraum ist ein Geflecht aus geometrischen Zeichnungen. Die wie zufällig postierten Menschen definieren sich durch die Distanz zueinander.

Wie durch ein Fernrohr

Immer ist der Blick aufeinander scharf begrenzt. Selbst wenn Begierde im Spiel ist, ist dem Beobachtenden wichtiger, seine Position beizubehalten, als sich auf die Person wirklich einzulassen, ihr entgegen zu gehen. Der Stillstand gleicht einem vorgegebenen Schnittmuster.

Gabriele Petricek hat als Modedesignerin reüssiert, das Schneiderhandwerk richtig gelernt, als freie Journalistin für Mode, Bildende Kunst und Architektur gearbeitet. Das merkt man dem Text an. Sie versteht viel von Auf-und Abrissen, von der Wirkung des Lichts und versucht, das auf ihren Stil zu übertragen. Der "schrittbewegte kalkweiße Rücken" des nackten Mannes zeigt, wie sie Farbe und Bewegung verdichtet, einen Tag im Museum vergleicht sie mit einem Stück Gestricktem, "ein langer wärmender Schal, aus dem die verschleichenden Arbeitsstunden in der Früh den Lauffaden zupfen und unablässig daran weiterziehen." Manchmal ist diese Sprache, diese extreme Intensivierung allerdings zu viel: ein "verausgabt verstrahlendes Westglühen" erschöpft einfach.

Surreale Momente gehören natürlich zu Geschichten von derartig zelebrierter Kälte. Gabriele Petricek hat sich hier einiges einfallen lassen. Skurril, phantastisch, von grausamer Komik ist sie in ihren Schilderungen, detailversessen. Nicht immer ist ihr sehr individueller Gebrauch der Zeitenfolge nachzuvollziehen, manchmal kippt die Künstlichkeit ihrer Darstellungen deshalb ungewollt ins Banale.

Jede Erzählung beschränkt sich auf zwei, drei Personen, die alle - egal ob der, einen Burschen am Strand beobachtende, Mann in seinem Hotelzimmer, ob der Museumswärter, dem eine sexuelle Begegnung fast passiert, ob das siamesische Zwillingspaar, das in einer außergewöhnlichen Art aneinander gebunden ist, - einer tiefen Sehnsucht ausgeliefert sind und es nie schaffen, ihre gläsernen Wände zu durchbrechen. Manche Teile sind sehr konstruiert und verfremdet, erinnern an Baupläne.

Fremd erlebte Regionen

Am Ende, nach Reisen in ungastliche, als fremd erlebte Regionen kehrt der Leser wieder zurück in eine Wohnung, zu einer Mann-Frau-Konstellation wie zu Beginn. Und wie am Anfang birgt auch diese Begegnung nur Sehnsucht und verhaltene Gier, aber keine Wärme, keine Zuneigung. "Zimmerfluchten" ist ein Buch, das sich nicht leicht erschließt. Aber die Vielfalt ihrer Ideen, das unbestreitbare Können, pralle Üppigkeit kühl und eisig darzustellen machen neugierig auf weitere Texte von Gabriele Petricek.

Zimmerfluchten

Erzählungen von Gabriele Petricek

Literaturedition Niederösterreich, 2005

117 Seiten, geb., e 19,00

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