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Berichtigung eines Bestsellers

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Ich stelle mich. Von Hans Habe (Meine Lebensgeschichte). Verlag Kurt Desch, Wien. 544 Seiten

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Ich stelle mich. Von Hans Habe (Meine Lebensgeschichte). Verlag Kurt Desch, Wien. 544 Seiten

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Dieses soll nicht so sehr eine Buchbesprechung als die Berichtigung gewisser Behauptungen sein, die Hans Habe in der vorliegenden Autobiographie über seinen Vater Emmerich Bekessy aufgestellt hat. Be- kessy war leider und ohne Zweifel eine Verbrechernatur, deren Wirken das ganze Leben seines Sohnes, des ihm durch Haß und Liebe verbundenen, unter einen Fluch gebracht hat. Und hier beginnt meine Schwierigkeit. Denn man hat Hans Habe, dem Organisator des amerikanischen Nachkriegs-Zeitungs- wesens in Deutschland, ebendort zum Vorwurf gemacht, daß er der Sohn Bekessys sei. Es muß wohl nicht erst betont werden, daß solch ein Vorwurf unanständig ist und daß man dem Sohne gerade diesen nicht machen durfte Ja,_ man mag es ihm als Sohn zugute halten, wenn er die Tätigkeit Bekessys in einem milderen Licht erscheinen läßt, als sie es in Wirklichkeit verdient. Aber wenn auch dem Sohne das Recht zur Beschönigung zugebilligt sei. so hat doch die Öffentlichkeit ein größeres zum Richtigstellen seiner Behauptungens weil ja Bekessys Wirken ein öffentliches war und hier somit auch andere Personen hineingezogen werden.

Die Sache wird aber noch dadurch kompliziert, daß Habe seinem Vater zwar das Aergste nachsagt, aber dann jedesmal wieder durchblicken läßt, daß das bißchen Erpressen doch eigentlich nicht so schlimm war. Man überzeuge sich:

Feinde meines Vaters, hieß es, sammelten „Material’1. Man habe ausgegraben, daß er im Krieg dem Frontdienst entgehen wollte, indem er sich verrückt stellte; daß er als junger Mann eine Schreibmaschine gestohlen; daß er eine fremde Novelle als die eigene ausgegeben habe; daß er an einer Handelsgesellschaft beteiligt gewesen sei, die sich der Preistreiberei schuldig gemacht hatte.

Dann hörte ich. dieses „Material“ sei unbedeutend im Vergleich zu neuen Vorwürfen. Selbst Freunde, die mir zugetan waren, meinten, es sei doch „notorisch", daß man sich den Angriffen in der Zeitung „Die Stunde“ nur entziehen könne, wenn man in den Bekessy-Blättern inseriere oder sich ihre Gunst in klingender Münze erkaufe. „Die Stunde“ akzeptiere, ja fordere Geld von Industriekonzernen, die etwas zu verbergen hätten; von Schauspielerinnen, die eine gute Kritik brauchten; von Banken, die nicht in die Oeffentlichkeit gezerrt werden wollten; von Kaffeehäusern und Nachtlokalen, die ihre Klientel zu verlieren fürchteten.

Und weiter heißt es von den Bekessy-Zeitungen:

Sie waren, mit Ausnahme der „Börse“, Skandalblätter, wie man sie in Wien bisher nicht gekannt hatte. Die Reporter der „Stunde" und „Bühne“ zerrten die privatesten Privatangelegenheiten an die Oeffentlichkeit: Scheidungen, Ehekonflikte,

Bettgeheimnisse füllten ihre Spalten . . . Der Chefredakteur der angesehensten Wiener Zeitung wurde einer peinlichen öffentlichen Psychoanalyse unterzogen .. . Von dbm Chefredakteur der sozialdemokratischen „Arbeiter-Zeitung“ wurde in versteckter, aber unmißverständlicher Form behauptet, er belästige kleine Mädchen in nächtlichen Parkanlagen Die Stadt ächzte unter den Bekessy-Blättern.

Hier wird also das unmißverständliche Bild eines Verbrechers gezeichnet, gegen dessen Tätigkeit das schlichte Geldschrankknacken noch die Weihe der Einfalt gewinnt. Doch ein paar Seiten darauf meint Habe bereits;

War der „Fall Bekessy“ also kein Politikum, hatte mein Vater wirklich ein Verbrechen begangen — wie war es dann möglich, daß er weiter seine Zeitungen redigierte; daß er ungehindert Reisen unternahm; daß die behördliche Untersuchung, als sie endlich erfolgte, der politischen und publizistischen Hetzjagd so bedenklich nachhinkte?

Es war möglich, weil so ein Erpreßter, dem Bekessy soeben Hunderttausend abgezapft hatte, zwar zum Polizeipräsidenten lief, um sich bei dem zu beklagen, aber verständlicherweise nicht den Mut aufbrachte, konkrete Anklage zu stellen. Und der Polizeipräsident hatte wiederum nicht den Mut, den Fall seinerseits zu verfolgen. Wer dem Erpresser zahlt, gibt bereits ein Delikt zu: darum gibt er es nicht zu, das Zahlen. Daß also die konkrete Anklage nachhinkte, sprach nicht gegen, sondern gerade d a- für, daß das Verbrechen der Erpressung vorlag — und zwar in ungezählten Fällen. Solches müßte Herr Habe eigentlich wissen. Doch hat er, wie gesagt, ein Sohnesrecht dev Pietät, die Sache mildernd darzustellen. Das Vertrackte ist nur, daß der heutige Leser durch die schonungslose Darstellung von

Bekessys Wirken kaptiviert wird, und darum meint, Habes Schilderung des Kampfes gegen den Erpresser sei ebenso wahr.

Das ist sie aber ganz und gar nicht. Vor allem meint Habe, daß Karl Kraus, jener Schriftsteller, der Bekessy moralisch vernichtete und zum Verlassen Wiens zwang, die vorgeschobene Schachfigur einer ganzen Partei gewesen sei. Als unmittelbarer Beobachter jener Ereignisse von 1925 26 kann ich bezeugen, daß das genaue Gegenteil der Fall war. Habe verwechselt hier Ursache mit Wirkung. Aus eigenstem Antrieb nahm Kraus den Kampf gegen Bekessy ganz allein auf, und erst gegen Ende, als die Sache schon entschieden war, stimmte der bis dahin ängstlich schweigende Chor der Allgemeinheit mit ein. Auch verkennt er Karl Kraus’ Kampfmotiv: er meint, Kraus habe in Bekessy „eine verzerrte Karikatur seiner selbst“ vernichten wollen. Doch die schlichte Wahrheit ist. daß Kraus den Bekessy an- griff, weil dieser eine Kulturpest und ein Erpresser war, der die ganze Stadt mit seinem Würgegriff gepackt hatte. Habe will’s nicht glauben, daß jemand sich aus völlig reinen, selbstlosen Motiven in solch einen Kampf einläßt; es war aber doch so.

Sonderbar ist, daß Habe, der doch sein Leben lang unter dem Fluche, Bekessys Sohn zu sein, hat leiden (und hierin unschuldig leiden) müssen, gar nicht erkennt, wie denn dieser Fluch zustande gekommen ist. Er vermutet Verabredung, Regie, Massenverschwörung, Konkurrenzneid, um sich diese fürchterliche Wirkung zu erklären — aber das reicht offensichtlich nicht aus. Denn entlarvte Erpresser sind in der Welt gar nicht so selten, doch daß deren Söhne nun lebenslang unter einem Fluche leiden müssen, hat man sonst nicht gehört. Nur ihn, Hans Habe, hat es getroffen. Warum? — Weil Karl Kraus aus dem Bekessy eine Gestalt geschaffen hat, wie sie lebendiger und wahrer auch Shakespeare nicht hätte gelingen können; eine Figur, die sich mit der Kraft des Geistgebildes so unvergeßlich einprägte, daß man sie leider auch beim unschuldigen Sohne nicht hat vergessen können. In Aufsätzen, in Gedichten, im Drama „Die Unüberwindlichen“ steht jener Erpresser, welcher damit der Erpresser wurde, für alle Zeiten gezeichnet da Habe erkennt das so wenig, daß er von Kraus sagt; „Er gehört zu jenen Schriftstellern, dessen Werke zwar bald in Vergessenheit geraten " — wo er doch selbst, noch heute nach 30 Jahren, unter dem Fluch dieser Kraus-Gestalt

„Imre Bekessy“ zu leiden hat!

Das ist Habes Hauptirrtum. Wenn ich jetzt ein paar Einzelheiten zur Berichtigung herausgreife (alle zu berichtigen ist nicht möglich, dehn wo Habe nur an Karl Kraus rührt, wird’s falsch), so ist das keine Kleinigkeitskrämerei, denn man bedenke, daß Kraus, da er tot ist, sich ja nicht mehr wehren kann, während das Buch doch, als moderne Selbstentlarvung, alle Aussicht hat, ein Best-Seller zu werden. Zum Beispiel sagt Habe: „Die Feindschaft der beiden Männer nahm unübertrefflich abscheuliche Formen an.“ Aber erstens war das kein Kampf zweier ebenbürtiger Giganten, denn zwischen einem Geisteshelden und einem Budapester Erpresser wird noch ein Unterschied sein. Und zweitens nahm der Kampf zwar von seiten Bekessys unübertrefflich abscheuliche Formen an, doch von Kraus’ Seite die des moralischen Aufrüttelns einer Stadt durch die geistige Entlarvung des Bösewichts. Dieser selbst mag ja das als abscheulich empfunden haben — die Spinnen werden immer empört sein, wenn im Zimmer saubergemacht wird. Unübertrefflich abscheulich war Bekessys Streich, eine liebliche Jugendphotographie, die des zehnjährigen Kraus mit seiner jüngeren Schtfester, derart zu retuschieren, daß beiden Kindern Flenkelohren, abstoßende Gesichtszüge und Riesenfüße gemalt wurden — um das Ganze dann in Großformat auf der ersten Seite seines Schandblattes zu reproduzieren. Kraus war von Gestalt untersetzt — bei Habe wird er „eine gnomenhafte Erscheinung“; jenes Kinderbild war lieblich, doch Habe sagt: „Zeigte ihn das Jugendbild ohnedies in seiner ganzen Häßlichkeit, so wurde es noch so retuschiert, daß es schlechthin abstoßend wirkte." Alles falsch und stets nach demselben System: das häßliche Tun Bekessys wird zugegeben, aber dafür wird auch Kraus’ Häßlichkeit imputiert. Dieses Kinderbild kaqn jeder in Lieglers Kraus-Biographie finden und sich von der Wahrheit meiner Worte überzeugen.

Weiter sagt Habe, daß Alfred Kerr der einzige war, „der auf die Angriffe von Karl Kraus geantwortet und sich dem Wiener Pamphletisten stilistisch, sachlich und auch polemisch überlegen gezeigt hatte". Wie geduldig Papier doch ist! Erstens war Karl Kraus, der Verfasser von sechs Dramen, neun Gedichtbänden, drei Aphorismenbüchern und vielen anderen Werken, kein Pamphletist im gewöhnlichen Sinne, sondern ein satirischer Genius vom Range eines Juvenal oder Swift. Und vor allem hat sich ihm Alfred Kerr weder stilistisch noch gar sachlich, und schon gar nicht polemisch überlegen gezeigt. Daß Kerrs StottersHül, der Gedrungenheit durch römisches Beziffern jedes belanglosen Satzes vortäuscht, sich längst selber ad absurdum geführt hat, dürfte ja bekannt sein. Gerade weil Kerr in der Polemik sachlich nichts Vorbringen konnte, flüchtete er sich in hilflose Schimpfereien, so daß Kraus diese nur abzudrucken brauchte, um ihn vollends zu erledigen. Ein einziges Mal hat Kerr ohne Lallen geantwortet: in Schriftsätzen ans Gericht, als er 1928 mit Kraus prozessierte. Dieser hatte ihm seine kriegshetzerischen Gedichte aus der Zeit 1914 bis 1918 zum Vorwurf gemacht, und zwar besonders bei Gelegenheit eines pazifistischen Besuches, den Kerr später in Paris zelebrierte. In diesen Schriftsätzen suchte sich Kerr, der doch wie Kraus Jude war, beim Gericht als Nationalist beliebt zu machen und schreckte sogar nicht davor zurück, ein gegen Kraus gerichtetes Geheul des Tiroler Antisemitenbundes denunzierend als Zeugnis beizubringen. So sah dieser Polemiker aus. Man wird es ja nicht glauben, doch kann sich jeder davon aus den Akten überzeugen. Kraus druckte in seiner „Fackel“ sämtliche Schriftsätze Kerri samt den eigenen Entgegnungen ah, und es ergab sich das Schauspiel eines geistigen Knockouts gegen den Lessings Polemik mit Goeze wie ein Kinderspiel anmutet.

Wie kommt es, daß Habe weder die Gestalt eines Kraus noch auch die des Bekessy hat wirklich, das heißt von einem geistigen Punkte aus, erkbnnen können? Vielleicht weil er, der doch sein Leben lang geschrieben hat. dennoch kein Gehör für Sprache besitzt. Ganz deutlich wird das an einem Kraus- Zitat, welches er mehrmals und stets in der gleichen Fassung anführt Bei Kraus lautet die Stelle: „Hin aus aus .Wien mit dem Schuft!“ Habe jedoch schreibt konsequent: „Hinaus mit dem Schuft aus Wien!“ Man spreche diese beiden Sätze vor sich hin und man wird erkennen, daß der erste ein rhythmisches, lebendiges Gebilde ist, welches gedanklich im „Schuft“ kulminiert, während im zweiten alle Worte plötzlich die Kraft verloren haben und beiläufig einherklappern. Wer den Ton des ersten Satzes nicht herausgehört hat und ihn also vergessen konnte, der mag ein tüchtiger Romancier und Reporter sein — sprachverbunden ist er nicht.

Und das bringt mich von den Berichtigungen zur Besprechung des Buches. Es ist sehr interessant, weil der Autor vieles unternimmt, weil ihm so manches, widerfährt, wenn er mit nie befriedigtem Drange durch die Erdteile stürmt. Dabei ist es ein Bekenntnisbuch der Selbstentlarvung: der Verfasser schlägt sich immer wieder an die Brust über die Schäbigkeit, die er jetzt wieder begangen hat, um dann flugs und wohlgemut zur nächsten überzugehen. Vielleicht glaubt er, durch die in Druck gelegte Beichte bereits absolviert zu sein. Doch wenn man gespannt zu Ende gelesen hat, fühlt man dieselbe Leere wie nach einem Kriminalthriller. Kein Wort, kein Bild, keine Situation, kein Mensch sind . haften geblieben — außer allerdings der Person des Autors selbst, denn die steht lebendig da. Aber nicht so sehr durch das, was er sagt, sondern durch die Art, wie er es iagt, nämlich durch das Unbeabsichtigte, Unwillkürliche, was ihm so von selbst herausrutscht. Das allein ist echt; alles andere, noch so. Lebhafte, wirkt wie aus zweiter Hand. In einer Kritik wurde gesagt, das Buch hätte statt „Ich stelle mich” besser „Ich verstelle mich“ heißen sollen. Das glaube ich nicht. Der Verfasser hat schon aufrichtig sein wollen. Aber wie es im Russischen heißt; „Beim Narren prustet auch das Weinen wie ein Lachen heraus", so prustet auch ihm die Aufrichtigkeit auf eine Art heraus, die nicht alle überzeugt. Thomas Mann schreibt über das Buch: „Ich kenne kaum eine zweite so von Leben starrende, von Leben vollgepfropfte - Autobiographie.“ Doch mir scheint, daß etwas eher von Eis, von Lanzen, von Schmutz, sogar von Läusen starren kann, doch nimmermehr von Leben, weil in dem „Von-etwas-Starren“ das Steife, Tote, ja Tödliche überwiegt. Doch vielleicht wurde dieser Ausdruck bewußt gewählt. Denn ein Leben, das bei aller Beweglichkeit dennoch nie zum Leben vordringt — oder solches doch sprachlich, hei aller Korrektheit, nicht einfangen kann —, ist ja wirklich mit einer gewissen Starre behaftet. Plus ça change, plus c est la même chose — ein stets wiederholter Ablauf von Chance, Aufstieg und Enttäuschung. Lebendig aber bleibt des Verfassers Gestalt und der Fluch, unter dem er als Sohn zu leiden hat. Er deutet zum Schluß eine innere Umkehr an. Auch die glaube ich ihm. Vielleicht weist sie ihm den Weg, sich von seinem Fluche zu lösen — indem der Sohn diesen Fluch, und was zu ihm führte, nicht reportagehaft, nicht voll Ressentiment, sondern mit den Augen des Geistes erkennt. Anders wird es nicht gehen.

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