7121189-1996_37_20.jpg
Digital In Arbeit

Berlin war die geistige Heimat vieler Schriftstellerinnen

Werbung
Werbung
Werbung

Berlin sei immer ein Auffangplatz und Durchgangslager der Intelligenz gewesen, hieß es vor Jahren in einem Ausstellungskatalog. Das bezog sich auf die Hauptstadt der Weimarer Republik, trifft aber ebenso auf die Zeit zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg zu. Frauen aus Ost- und Westdeutschland, Lothringen, Österreich und Osteuropa gelangten in die Metropole an der Spree, angezogen von deren künstlerischem Glanz, oder auch aus familiären Gründen, und viele taten dort den Schritt in die Öffentlichkeit, als Künstlerinnen, Schauspielerinnen und nicht zuletzt als Schriftstellerinnen.»

Einige haben noch heute Geltung in der Literatur: Ricarda Huch und Ina Seidel (die beide nur wenige Jahre in Berlin lebten), Anna Seghers und die Nobelpreisträgerin Nelly Sachs. Viele sind vergessen, weil ihre Rücher Unterhaltungsliteratur, Kinderbücher, Reisebeschreibungen, Gedichte, selten auch Dramen - zeitgebunden waren. Und gar nicht so wenige dämmern gerade noch als Namen oder vage Regriffe im Gedächtnis so Mechthilde von Lichnowsky (eine Nachfahrin der Kaiserin Maria Theresia), die sozial stark engagierte 1 jly Braun, vielleicht auch die Wienerin Hertha Pauli, Schwester des Physik-Nobelpreisträgers, die nach Kriegsende aus der amerikanischen Emigration heimkehrte und ihr letztes Buch wieder in Wien publizierte.

Zwei deutsche Germanistinnen haben Leben und Werke von 200 Schriftstellerinnen, die in Berlin tätig waren, aufgezeichnet - als Lexikon, das sich als Fundgrube der literarischen und gesellschaftlichen Strömungen in den 75 Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erweist.

Wer liest noch die Courths-Mah-ler? Sie schrieb Jahr für Jahr fünf bis sechs Romane (1920 waren es sogar 14!) mit einer Gesamtauflage von 27 Millionen, literarisch wertlose Massenware, die aber den Vorstellungen ihrer kleinbürgerlichen Leser von Standesüberwindung, Liebesheirat und Lebensglück entsprachen.

Auf mehr als 70 Romane und Novellen über Ehe- und Sittenprobleme der gehobenen Gesellschaft brachte es auch Ada von Gersdorff, die heute vergessen ist. Die in den zwanziger Jahren besonders beliebte Autorin der Nesthäkchen-Reihe und vieler anderer Jugendbücher wurde mit 65 Jahren nach Auschwitz deportiert. Sie teilte das Schicksal vieler aus Rerlin stammender oder dort tätiger jüdischer Schriftstellerinnen.

Viele schreibende Frauen kamen aus Österreich. Tilla Durieux wurde als Schauspielerin von Max Reinhardt an die Spree geholt; Joe Lederer, deren Erfolgsroman „Das Mädchen George" in viele Sprachen übersetzt wurde, verfaßte in Rerlin Drehbücher für Filme mit Spitzen-schauspielern; die aus Wien stammende Schauspielerin Olga Wohlbrück kam durch Heirat nach Rerlin und schilderte die Großstadtprobleme in einer Folge von acht Ränden. Rerlin lieferte in vielen Fällen den Schauplatz von Kinderbüchern und Unterhaltungsromanen, aber auch den Hintergrund für die Behandlung gesellschaftlicher Fragen. Häufig wurde die Stellung der Frau im damaligen Leben geschildert, was mitunter, bei sehr offener Darstellung, zu Skandalen führte.

Die in der Millionenstadt besonders krassen sozialen Probleme wurden vor allem von Schriftstellerinnen behandelt, die sich der Linken verbunden fühlten, wie Dora Wentscher, die ebenso wie Anna Seghers dann auch in der DDR literarisch aktiv war, oder die aus Salzburg stammende Grete Rernheim, die unter dem Pseudonym Alex Wedding (nach den Rerliner Arbeitervierteln Wedding und Alexanderplatz) schrieb und vom ostdeutschen Regime als bedeutende Kinder- und Jugendbuchautorin geehrt wurde. Die später mit dem österreichischen Schutzbundführer Julius Deutsch verheiratete Adrienne Thomas schrieb in Rerlin ihren ersten Roman „Die Kathrin wird Soldat", der sie berühmt machte und in 15 Sprachen übersetzt wurde; sie starb 1980 in Wien.

Zwei Frauen schrieben selbst ganz wenig, waren aber in Rerlin mit ihrer ganzen Tatkraft für die Literatur tätig: Elisabeth Hauptmann und Margarete Steffin, beide enge Mitarbeiterinnen von Rertolt Brecht. Mehr durch Übersetzungen als durch eigene Werke machten sich andere, in dem reichhaltigen Lexikon angeführte Frauen um die Literatur verdient. Daß fast alle 200 Frauen nicht nur mit biographischen Angaben, sondern auch mit Rildern vorgestellt werden, macht das Ruch zu einem interessanten, hilfreichen Nachschlagewerk.

Es soll, so die Autorinnen, auch dazu dienen, „auf den Spuren namenloser Autorinnen die Literaturgeschichte von Frauen neu zu entdecken". Das ist freilich nur begrenzt möglich, denn die meist umfassenden Werkslisten gehen mitunter bis ins unwesentliche Detail (etwa, wer den Schutzumschlag entworfen hat), doch ob, und wo, die Rücher heute noch erhältlich oder sonstwie greifbar sind, bleibt unvermerkt (was freilich viel zusätzliche Arbeit erfordert hätte).

Und weil das Ruch in einem Frauenverlag erschienen ist und von einer Rerliner Kommission für Frauenforschung gefördert wurde, und die Autorinnen auch betonen, die „vorwiegend männliche Perspektive der Literaturgeschichtsschreibung" korrigieren zu wollen, folgten sie der neumodischen Absurdität, ständig von Autorinnen, Künstlerinnen, ja sogar Freundinnen, Sozialdemokratinnen und so fort zu schreiben. Als Mitarbeiterinnen des Goethe-Instituts folgen dem fragwürdigen Formalismus, den alten deutschen oder österreichischen Ortsnamen die polnische oder russische Rezeichnung hinzuzufügen: (Königsberg - heute Kaliningrad, Rreslau - heute Wroclaw, Lemberg -heute Lwow).

Doch diese Kleinigkeiten fallen nicht ins Gewicht. Das Lexikon regt an, sich mit den Rüchern und dem Schicksal einiger dieser Schriftstellerinnen intensiver zu befassen.

SCHRIFTSTELLERINNEN IN BERLIN UM 1871 BIS 1945

Ein Lexikon zu Leben und Werk

Von Pelm Uudke und Julia Schuhe. Orlando. Frauenverlag, Berlin 1995. 407Seiten, geb., öS 460,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung