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Berlinale 1956

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Man muß die Aufopferung und Begeisterung bewundern, mit der Berlin nun schon zum sechsten Mal seine internationalen Filmfestspiele feiert. Zwei Wochen lang tun die Berliner ihr Bestes, um der ehemaligen Reichshauptstadt wieder den Glanz einer Weltmetropole zu geben. Sie nehmen alle an diesem kulturellen und gesellschaftlichen Großereignis teil; sie belagern .bis in die späten Nachtstunden die Festspielsentren am Kurfürstendamm und geben in der Publikumsabstimmung ihr bemerkenswertes Urteil ab. Doch diese Feststimmung erscheint dem ausländischen Besucher künstlich aufgepulvert, denn schon sieht er sich der grauen, nüchternen Alltäglichkeit gegenüber, in der sich die schwierige politische und wirtschaftliche Situation dieser „Insel im Roten Meer“ widerspiegelt. Aber der Berliner zeigt sich dieser Lage mit bewundernswerter, mutiger Vitalität gewachsen und tritt dem Besucher aus dem Ausland mit der Geste einer liebenswürdigen, hilfsbereiten Gastfreundschaft entgegen.

Wir mußten mit Besorgnis die schweten Krisen-reichen vermerken, die auf dem Horizont der beiden letzten Filmfestivals von Cannes und Venedig aufgedämmert sind. Berlin hat diesen beiden älteren Festspielplätzen den Vorteil voraus, daß es sich nicht mit Filmen aus den Oststaaten belastet und somit kein Forum für ebenso langweilige wie einseitige politische Agitation bietet. Doch ist die künstlerische Baisse in den westlichen und fernöstlichen Filmländern noch intensiv genug, um ihre starken Schlagschatten auch über dieses Weltpanorama zu werfen.

So konnte es kaum verwundern, daß der absolut stärkste Eindruck von dem Beitrag eines kleinen und im internationalen Filmgetriebe praktisch unbekannten Landes ausging. Finnland hat mit dem „U n-bekannten Soldaten“ ein aufwühlendes Anti-kriegsdrama geschaffen, dem aus politischen Gründen die Zulassung in Cannes verweigert worden war. Hier wurde — in geradezu dokumentarhaften Episoden, völlig unpathetisch und ohne den bitteren Beigeschmack irgendwelcher militaristischer oder nationalistischer Tendenzen — das bei stärkstem Realismus zutiefst humane Leidensepos des einfachen Landsers geschaffen. Unverständlich, daß dieses Filmwerk bei der Preisverteilung der offiziellen Festivaljury völlig leer ausging. So konnte — aus voller Ueberzeugung — die Jury des Internationalen Katholischen Filmbüros, deren Präsident der Schreiber dieser Zeilen war, ausgleichende Gerechtigkeit üben, indem sie dem finnischen Streifen den Preis des OGC verlieh.

Lieber die zahlreichen Urteile der allgemeinen Festspieljury gab es überhaupt viel unbefriedigtes Kopf-schütteln. Es war klar, daß nach Außerachtlassung des finnischen Films die beiden ersten Preise am ehesten Gene Kellys virtuose und völlig ohne Dialog ablaufende Pantomime „Einladung zum Tanz“ sowie die schauspielerisch hinreißende, aber nicht gerade beste Shakespeare-Verfilmung „Richard II I.“ von Sir Lawrence Olivier erhalten mußten, doch bei den übrigen Auszeichnungen war offensichtlich das Bestreben festzustellen, allen möglichen Nationen und Kandidaten etwas zukommen zu lassen. Die krassesten Fehlentscheidungen waren die Preise für die beste Regie (Robert Aldrich) und Darstellung (Elsa Martineiii und Burt Lancaster).

Allgemein wurde bemerkt, daß diesmal das Publikum fast bessere Urteile fällte als die Juroren. Daß Gottfried Reinhardts verunglückte Inszenierung von Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ an erste Stelle rückte, muß als nationales Votum für den Dichter und Hans Albers aufgefaßt werden. Der zweite Platz für den spanischen Film „Pepote“ ist wohl in erster Linie der Popularität des kleinen Pablito Calvo zuzuschreiben (der Film selbst reicht absolut nicht an „Marcelino“ heran). Aber dahinter schienen in der Liste doch die interessantesten und wertvollsten Filme auf.

Einig waren sich Jury und Publikum bei der Beurteilung der abendfüllenden Dokumentarfilme. In beiden Fällen wurde der deutsche Afrikafilm .Kein Platz für wilde Tiere“ vor Walt Disneys neuestes Werk „Geheimnisse der Steppe“ gesetzt. Auch Richard Mostlers „Zauber der Natur“ zeigte noch hohes, zweifellos an dem genialen Amerikaner geschultes Niveau. Weniger befriedigend war hingegen die Situation auf dem Gebiet der Kurzkulturfilme. Neben wenigen herausragenden Erscheinungen zeigt das Gros absolut kein Festspielformat. Mit dem reichen Angebot auf diesem Sektor hatte man wohl die Gesamtbeteiligung auf die bisherige Rekordhöhe von 54 Nationen gestreckt, worunter auch zahlreiche filmische Exoten waren, die das Querschnittniveau empfindlich drückten. Ein Streifen aus Uruguay über eine lateinamerikanische Film- und Fernsehtagung (also ein denkbar unfilmisches Sujet) sowie ein mit unqualifizierbar primitiven photographischen Mitteln hergestellter peruanischer Film waren hier schon Katastrophenfälle. Auch die Aegypter führten (noch dazu in einem Spielfilm) — technisch in die Urzeiten des Kintopp zurück. Man wird sich also unbedingt dazu entschließen müssen, weniger auf überdimensionierte Nationenbeteiligung und ausgefallene Namen als vielmehr auf international vertretbare Leistungen zu achten.

Von den großen Filmnationen enttäuschten eigentlich alle bis auf Amerika, das von fünf Filmen nur einen Versager aufzuweisen hatte. Hingegen hatten Frankreich und Italien neben dem „Geheimnis der Schwester Angelika“ bzw. „Brot, Liebe und.. .“ nichts Bemerkenswertes zu bieten. England konnte durch die Qualitäten von „Richard III.“ und des Kriminalfilmes „Der tange Arm“ die Partie gerade noch unentschieden halten. Interessant ist, daß neben den Finnen auch die übrigen Nordländer zu gefallen wußten: Schweden durch vorzügliche Regie und Darstellung in den beiden Strindberg-Episoden „Ehegeschichten“ und Dänemark mit dem liebenswürdigen Lustspiel „Liebesschabernack“.

Etwas schwächer als sonst schnitten Japan und Indien mit je zwei Filmen ab, während von den drei mexikanischen Produktionen nur ein Sozialdrama über das Problem der verwahrlosten lugend unter dem Titel „Der Weg ins Leben“ zu gefallen wußte. Was sonst noch über die Leinwand rollte, muß der Bedeutungslosigkeit bzw. dem Platzmangel zum Opfer fallen.

Dieses Festival war künstlerisch sicher nicht das ergiebigste, aber zweifellos das anstrengendste, das ich bisher erlebt habe. Neben einem Tagesdurchschnitt von drei Filmen überstürzten sich Parties, Empfänge und sonstige Nebenveranstaltungen. Dieses Pioblem konnten nur einige Berliner Blätter und deutsche Filmfachzeitungen lösen, die mit einem ganzen Stab von Referenten anrückten. Die Stars waren heuer wieder in besonders großer Zahl erschienen und wurden bis zur Erschöpfung herumgereicht, in welchem Zustand sie dann womöglich noch den Herden von autogrammgierigen Backfischen auf dem Ku-Damm in die Hände fielen.

Da auch Filmkaufleute aus aller Welt zusammengeströmt waren, hatte auch die heurige Berlinale mehr den Charakter einer großen Monsterschau und Verkaufsmesse als einer Manifestation echter Filmkunst. Zweifellos werden der verdienstvolle und immer liebenswürdige Leiter der Filmfestspiele, Dr. Alfred Bauer, sowie seine unermüdlichen Mitarbeiter erkennen, wo und wie hier der Hebel zu einer Beschränkung und Konzentration anzusetzen ist. Berlin braucht heute nicht mehr um seine Bedeutung als Festspielstadt kämpfen, es hat bereits die oberste Plattform erreicht. Auf diesem Fundament müßte sich eigentlich gut weiterbauen lassen. Hoffentlich hilft die internationale Filmproduktion den tüchtigen Veranstaltern auch in erforderlichem Maße dabei mit.

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