6789536-1970_29_12.jpg
Digital In Arbeit

„Berlinale-Sdi“ wanengesang ?

19451960198020002020

Die mit großen Erwartungen und einem quantitativ überreichen Filmangebot in Szene gesetzten XX. Jubiläums-Filmfestspiele an der Spree sind nach genau acht Tagen ins Wanken geraten und 48 Stunden später endgültig geplatzt. In diesen kritischen Stunden tagten Festspielleitung, internationale Jury und ein Teil der anwesenden Filmkritiker und -Journalisten beinahe in Permanenz und versuchten in zum Teil hitzig geführten Diskussionen und persönlichen Attacken einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, das den weiteren Bestand der Filmfestspiele in der einstigen deutschen Metropole ernsthaft gefährden könnte. Wobei viele aus den Kreisen der Genannten, aber vor allem auch aus den Reihen der deutschen Kinobesitzer, diesem alljährlichen Treffen der Zelluloidwelt an diesem Schnitt- und Brennpunkt der internationalen Politik gern den Garaus machen möchten. Jeder freilich aus ganz verschiedenen Motiven.

19451960198020002020

Die mit großen Erwartungen und einem quantitativ überreichen Filmangebot in Szene gesetzten XX. Jubiläums-Filmfestspiele an der Spree sind nach genau acht Tagen ins Wanken geraten und 48 Stunden später endgültig geplatzt. In diesen kritischen Stunden tagten Festspielleitung, internationale Jury und ein Teil der anwesenden Filmkritiker und -Journalisten beinahe in Permanenz und versuchten in zum Teil hitzig geführten Diskussionen und persönlichen Attacken einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, das den weiteren Bestand der Filmfestspiele in der einstigen deutschen Metropole ernsthaft gefährden könnte. Wobei viele aus den Kreisen der Genannten, aber vor allem auch aus den Reihen der deutschen Kinobesitzer, diesem alljährlichen Treffen der Zelluloidwelt an diesem Schnitt- und Brennpunkt der internationalen Politik gern den Garaus machen möchten. Jeder freilich aus ganz verschiedenen Motiven.

Werbung
Werbung
Werbung

Stein des Anstoßes zu dieser gravierenden Berlinale-Krise war der deutsche Beitrag „o.k.“ des jungen deutschen Regisseurs Michael Ver-hoeven. Der vom Mediziner zum Jungfilmer hinübergewechselte Ba-juware wollte angeblich mit diesem Streifen, dessen Herstellung der zwischen Protest und Establishment schwankende junge Produzent Rob Houwer — Wahlmünchner aus den Niederlanden — finanziell förderte, das Gewissen des deutschen Bundesbürgers in Sachen „Vietnam“ aufrütteln. Jungfilmer Verhoeven schildert sein Untertänigen in der folgenden Synopsis: „Die kleine Vietnamesin Mao hat es wirklich gegeben. Bis zum 8. November 1966. An diesem Tag wurde sie von vier amerikanischen Soldaten verschleppt und vergewaltigt, erstochen und erschossen. Auch Eriksson war dabei. Er war der fünfte Mann. Er konnte dem Mädchen nicht helfen. Aber er ging zum Captain und meldete den Vorfall. Eriksson wurde abgewiesen, die Anzeige unterdrückt. Der schwarzweiße Film ,o.k.' schildert Maos Leiden. Er verlegt ihren Todestag auf den Ostermontag und stellt die Ereignisse in der Art bayrischer Passionsszenen nach. Dieser verfremdende Stil distanziert den Beobachter von dem historischen Ereignis, veranlaßt ihn zu reflektierender Betrachtung und rückt zugleich die realen Hintergründe in die anschauliche Nähe vertrauter Mentalität.“

Das klingt recht engagiert und einleuchtend, wenn auch zum Schluß etwas schwülstig und unverständlich. Die Ausführung ist freilich ein widerliches Machwerk obszönster und brutalster Optik, filmisch und dramaturgisch primitiv, bei dem im „boarischen Tannenwald“ im urigen „boarischen Dialekt“, aber in amerikanischen Uniformen nach unflätiger Landserart geschweiniglt und schließlich gemordet wird. Roheitsdelikte oft unmenschlichster Art sind das Problem jeder entfesselten und abgestumpften Soldateska. Hautfarbe und Weltanschauung spielen da nicht die geringste Rolle. Linksgedrallte Rremierenbe-sucher dieser ekelerregenden Leinwandmischung aus Sensationsgier, Aufreizung niedrigster Instinkte und vorgetäuschtem politischem Engagement sowie deren journalistische Steigbügelhalter zollten dieser antiamerikanischen Demonstration dann im Berliner Zoo-Palast beinahe frenetischen Beifall. Schon am nächsten Tag wurde in diversen Gazetten dieser deutsche „Beitrag“ zu einem möglichen Berlinale-Preisträger erklärt. Gleichsam Warnschüsse vor den Bug der internationalen Jury, die sich am Beginn des Festivals den amerikanischen Regisseur George Stevens zsum Präsidenten erkoren hatte.

Und nun begann der Teufelstanz von Indiskretionen, Verdächtigungen, Widersprüchen und einer Massenflut einander widersprechender Resolutionen sein verderbliches Spiel. Die erste Flöte in diesem Berlinale-Totentanz blies zweifellos der jugoslawische Regisseur Dusan Makavejev als Jurymitglied, der entgegen dem internationalen Reglement in diesen Gremien, daß nämlich die Diskussionen und Beschlüsse innerhalb dieses Kreises geheim sind, dem Produzenten Rob Houwer und dem Regisseur Michael Verhoeven von einer Abstimmung der Jury gegen die Preiswürdigkeit des Films „o.k.“ Kenntnis gab. Der Schneeball begann zu rollen und wuchs in Windeseile zu einer Lawine, die nun vielleicht die Berliner Filmfestspiele und ihre persönlichen Repräsentanten, den Geschäftsführer der Berliner Festspiel G. m. b. H, Walter Schmieding, und den Leiter der Filmfestspiele, Dr. Alfred Bauer, unter sich begraben wird. Kleine Pikanterie am Rande dieser turbulenten Ereignisse, die auch in den kommenden Monaten noch ihre Wellen schlagen werden, die Tatsache, daß die Gattin des sich so antiamerikanisch gebärdenden Mi-chaelVerhoeven Senta Berger heißt, die mit eifrigem Bemühen und gern Dollars und Leinwandruhm aus der Mitwirkung in Hollywood-Produktionen einstreicht.

Die zweite Bombe in dem Frontalangriff gegen die Berliner Filmfestspiele legte dann der Präsident des Hauptverbandes deutscher Filmtheater, Dr. Wolfram Engelbrecht. Er nahm in einer öffentlichen Erklärung die entstandene Berlinale-Krise zum Anlaß, um dem schon seit einigen Jahren aufgestauten Unmut der deutschen Kinobesitzer über die Programmgestaltung der Filmfestspiele in der Spree freien Lauf zu lassen. Darin wird von einer einseitigen Filmauswahl gesprochen, durch die nahezu ausschließlich Filme vorgeführt wurden und werden, die nur für einen kleinen Kreis esoterischer Extremisten bestimmt sind und der überwiegenden Mehrzahl der Filmbesucher konträr zuwiderlaufen. In diese Kategorie der „unverständlichen Filme“ stuft er auch den belgisch-französischen Eröffnungsbeitrag zur XX. Berlinale „Der große Monsieur Klann“ von Patrick Ledoux, „Der laute Schrei“ des Italieners Tonto Brass, „Im Garten Eden und danach...“ von Alain Robbe-Grillet und den amerikanischen Beitrag „Dionysos 69“ von Brian DePalma ein. In diesem Manifest, das hinsichtlich der genannten Filme auch von der Kritik her zu bejahende Wahrheiten enthält, wird dann überhaupt die immer stärker werdende Diskrepanz zwischen dem Film und seinen Besuchern herausgestellt. Und am Schluß die ultimative Drohung, anderswo in der Bundesrepublik — Gerüchte sprechen schon von München oder Baden-Baden — künftig Filmfestspiele mit stärkerer Berücksichtigung filmwirtschaftlicher Interessen aufzuziehen.

Hinter allem freilich steht mehr als nur eine Palastrevolution einiger Mißvergnügter. Hier wurde, und das zeigte sich auch auf der abschließenden Pressekonferenz des Berliner Kultursenators Professor Dr. Stein, bei der mit ziemlich harten Bandagen und persönlichen Ressentiments gefochten wurde, das Thema der Zukunft von Filmfestspielen, leider auf dem glitschigen Parkett nur halber Wahrheiten und Vermutungen, angeschlagen. Wenn man den gleich nach Abbruch der Berlinale gemachten Vorschlägen Glauben schenken darf, soll es im kommenden Jahr zu einer Synthese zwischen enragierten Verfechtern „unverständlicher“, progressiver Filme und den Produzenten, Verleihern und Kinobesitzern mit ihrer Forderung nach einer mehr populären Programmierung des Festivals kommen.

Es wird dabei von den Beteiligten an ein Festspielprogramm mit streng ausgewählten, anspruchsvollen Filmen — etwa im Stil von Venedig (ohne Preise) gedacht. Und dazu nach dem Muster von Cannes eine Art Film-Messe — sie wäre für Berlin nicht neu —, die mehr dem „großen Publikumserfolg“ gewidmet ist. Als Termin des neuen „Berlinale-Modells“ wurde bisher der späte Herbst in Aussicht genommen. Gleichsam als Kontrapunkt zum Frühjahrsangebot in Cannes. Die interessierten filmwirtschaftlichen Kreise sollen einem solchen Zeitpunkt schon zugestimmt haben. Damit käme man den Wünschen in beiden Lagern entgegen, die heuer aus ganz divergierenden Gründen die „Jubiläums-Berlinale 1970“ zu Fall gebracht haben. Vielleicht erreicht man damit auch die erstrebte Aufwertung der auch in Zukunft notwendigen Film-Festivals an der Spree. Falls man nicht Ost-Berlin mit seinen beinahe gleichzeitig laufenden „Grünauer Filmtagen“ restlos die Initiative überlassen will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung