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Bernanos eröffnet das Filmfest

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Vor einem repräsentativen Forum österreichischer Geistigkeit wurde am Sonntag die von der Katholischen Filmkommission für Osterreich veranstaltete „II. Internationale Festwoche des religiösen Films“ eröffnet. Im nachstehenden die kritische Würdigung einiger der bedeutenden Spielfilme der Woche; ein Querschnitt durch alle Filme und Vortage sowie die geistige Bilanz der Veranstaltung folgen nach Abschluß der Festwoche. •

O der Nacht, da der Stern ruhig über Bethlehem stand und der Engel den Hirten eine große Freude verkündete! Jetzt aber haben sich Unruhe und Angst in die Menschen gesenkt, und der Stern ist gefallen und hat Tod und Feuer herabgeworfen; er war gestern die Phosphorbombe und wird vielleicht morgen die Atombombe sein. Da kann keines dem andern helfen, meint die Leiterin Elisabeth des Vertriebenenlagers mit den merkwürdig strengen, verschlossenen Zügen, als ein junges, elternloses Ding in dieser trostlosen Umgebung, in dieser tötenden Angst zu ihr flüchtet: Da muß ein jedes mit sich selber fertig werden. Wie vor Jahren einmal sie selber .,.

Sie selber... Der Film spiegelt zurück in eine unheilvolle Nacht vor den großen Kriegen, da die kleine Elisabeth inmitten des gespenstischen Rummels eines Kometendurchganges hilflos zwischen dem Dunklen (dem dämonischen alten Gaukler „Le Noir“) und dem Lichten (dem jungen Seiltänzer „Luciano“) hin- und hergezerrt wird, genau wie ihre Mutter, die bei dem hektischen Ausbruch aus der bürgerlichen Sicherung in dieser Nacht den Tod findet. Die kleine Elisabeth aber ist hart seither und lieblo6, wie ihr der Dunkle aufgfetragen hat: zur Abwehr gegen das Leben und die große Angst. Bis, Jahre später, dieses andere angsterfüllte Mädchen in dem furchtbaren Lager...

Der Film ist wieder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt. In seltsamer Verwandlung sind der Schwarze und der Lichte wieder da, die Angst, eine verlorene Menge und ein suchender, geängstigter junger Mensch. Da geht in Elisabeth die große Wandlung vor sich und sie erkennt, daß nicht allein ist, wer für andere da ist. Es braucht nur das Vertrauen, das „uns über das Seil trägt“, den Glauben, die Liebe, den Aufblick: und die lichte Nacht ist wieder da, der ruhig strahlende Stern und die Verkündung einer großen Freude.

Annähernd den gleichen Schöpfern, denen wir den großen religiösen Film „Nachtwache“ verdanken, ist in dem neuen deutschen Film „Der fallende Stern“ ein neuer eigenwilliger Film gelungen. Dankenswert der stoffliche Vorwurf — es gibt derzeit kein dringlicheres Anliegen der Menschheit, als den Weg aus der Angst zu finden. Dankenswert der hohe sittliche und künstlerische Ernst, mit dem der Film die Fabel zu bewältigen sucht; der beklemmende echte Rahmen des DP-Lagers, die Fülle poetischer Spiegelungen und Anspielungen (Szenen von faustischer Größe), der vielsagende Dialog und ein von seiner Aufgabe restlos verzehrtes Darstellerensemble. Die gewisse spröde Strenge der „Nachtwache“ ist gesprengt und einer phantasievollen Freiheit, Freizügigkeit und Lockerung gewichen — nicht überall zum Vorteil des Films. Durch den vieldeutigen Fetisch der kristallenen Kugel etwa und durch sonstiges astrologisches und rabbulistisches Beiwerk gerät der an sich durchaus religiös gemeinte und gestimmte Film bedenklich in den Bereich einer virtuos spielerischen literarischen Metaphysik; es ist kein Zufall, daß sich dabei verblüffende Reminiszenzen an die dunkelsamtenen Enbleme von Tod und Leben in Cocteaus „Orpheus“, vereinzelt auch (nicht zuletzt bei den wimmernden himmlischen Chören) an die fauleren Apfelmätzchen Hel-muth Käutners aufdrängen.

Die starke volkstümliche Wirkung, die von der einfachen Gläubigkeit der „Nachtwache“ ausging (nahezu zehn Millionen Menschen haben bisher diesen Film gesehen), Ist damit auf die schmale Basis einer erregenden intellektuellen Diskussion zurückgezogen. Und es mögen solche Künstler- und Akademikerexerzitien auf der Leinwand wichtig genug sein, um diesen Film herzhaft zu bejahen: aber dringlicher noch erschiene es in dieser Stunde, das Wort Gottes von dieser modernsten Kanzel herab eindringlich, zeitgemäß und jedermann verständlich in die Massen zu tragen. *

Es spricht “für den Bernanos-Filrn .Das Tagebuch eines L a n d p f a r r e r 6“, daß es allen unholden Geistern, dde sich gegen den Eröffnungsabend der Festwoche richtig verschworen hatten (Kopienzustand, Vorführung und deutsche „Besprechung“), nicht gelungen ist, den Film zu Fall zu bringen. Nichtsdestoweniger hatte ein durchaus wohlwollendes Publikum einige Mühe, hinter dem eisernen Vorhang der technischen Teufeleien die Schönheit, Tiefe und Besonderheit des Films sozusagen zu erraten.

Die Buchtreue des Films ist erstaunlich. Zug um Zug folgt der Film der Unverstandenheitstragödie des jungen, von Todeskrankheit gezeichneten Dorfpfarrers, über dessen unerfahrenem, ungelenkem Wirken doch sichtbar die Gnade waltet. Diese Gnade, dieses Unsichtbare nicht sichtbar, aber doch spürbar zu machen, ist in der Tat vielleicht zum ersten Male im Film hier gewagt worden — eine, schroffe Kampfansage gegen die berstende Aktionsfülle, die bisher als ultima ratio aller Filmdramaturgie gegolten hat. Ihr haben Buch und Regie, ja noch in hervorragendem Maße die klassische Dunkelphotographie der Franzosen voll entsprochen. Leider nicht auch die Darstellung, die einem sichtlich begabten, für die eminent vielsagende Schweigsamkeit dieser .Rolle“ aber doch noch zu: unbedeutenden jungen Schauspieler anvertraut war. Hier droht mehr als einmal das kühne Gerüst, die ganze Hintergründigkeit des Films einzustürzen, wenn das Schwefgen ein bloßes Verstummen und das abgründige Schauen, Leiden und Prüfen ein romantisch-schwärmerischer Augenaufschlag wird. Es wäre für einp der französischen Sprache weniger kundiges “Publikum an einer Kopie in repiäsenfablerem Zustande (ganz gleich, ob synchronisiert oder betitelt) noch zu prüfen, wieweit das korrekt und mitempfindend' wiedergegebene Wort des empfindlichen Originaldialogs imstande ist, diese Lücke auszugleichen.

Abseit6 der Festwoche läuft derzeit in Wien ein österreichischer Film — „Gesetz ohne Gnade“ —, der aus vielerlei Gründen in die Nähe der Gesamtproblematik des religiösen Films gerückt werden muß. Der Stoff, die fruchtbare Resistance eines Priesters in der gefahrvollen Diaspora des totalitären Staates bis zum Ende als Blutzeuge, gemahnt stark an Graham Geenes „The Power and the Glory“, bewahrt den großen Hintergrund, versagt aber in psychologischen Details und in ganzen Strecken des unpolierten Dialogs. Der Film entstand in einer Avantgardeatmosphäre und hat dementsprechend die Routine-Unberührtheit hochachtbaren künstlerischen Strebens, leider auch die technische Unfertigkeit des Amateurs So sehr also die anständige Gesinnung gelobt werden muß, so erhebt sich doch angesichts der ungeheuren Verantwortung solchen Stoffen gegenüber die Frage, ob sich nicht so ehrliches und entwicklungs? fähiges Wollen zuerst an weniger schwierige Aufgaben erproben sollte.

Uneingeschränktes Lob sei noch zwei anderen Filmen in dem Normalprograirim dieser Woche gezollt: dem russischen Tier-Kulturspielfilm „W a 1 dm ä r c h e n“, und dem amerikanischen Hundefilm „Lassies Sieg“.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Osterreich), Nr. 17 vom 24. April 1951: „Das Gesetz ohne Gnade“ (III: Für Erwachsene und reifere Jugend); „:1m Trubel der Millionenstadt“ (IV: Für Erwach* sene); „Glühende Erde“ (IVa: Für Erwachsene mit Vorbehalt); „Die Freundin meiner Frau“ (III: Für. Erwachsene und reifere Jugend); „Gefundenes Leben“ (III: Für Erwachsene und reifere Jugend); „Episode“ (IV: Für Erwachsene); „Dementi“ (IVa': Für Erwachsene mit Vorbehalt); „Manege frei!“ (II: Für alle zulässig); „Waldmärchen“ (II: Für alle zulässig); „Lassies Sieg“ (II: Für alle zulässig).

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