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Besuch bei Schatzgräbern

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Zwischen den Flußtälern der Glan und des südlichen Laufes der Gurk liegt ein wunderliches Stück Land. Westlich und östlich streifen entlang seinen Bergen verkehrsreiche Straßen, die von St. Veit herkommende Reichsstraße und der alte Eisenweg nach Hüttenberg. Aber dazwischen ruht, sanft eingebettet in dem mütterlichen Arm der Berge und in ihrem Halboval gegen widrige Winde und Wetter geborgen, die Landschaft dieses Erdenwinkels gleich einer weltvergessenen Einsiedelei. Hier spottet noch das armselige Bauernstraßei des 20. Jahrhunderts, und nur wenn es stark von Westen herweht, kann man etwa, wie aus weiter Ferne, den Lärm der draußen auf den Eisenschienen vorüberstampfenden Züge vernehmen. Aber in dieser Stille tut sich jetzt Großes. Eine römische Stadt und ihre noch in vielen Rätseln liegende Geschichte und Vorgeschichte wird hier, droben in den waldigen Hängen des Magdalensberges ans Licht gebracht. Nicht weit vom nördlichen Eingang des Zollfeldes, dort, wo der schmucke Kirchturm von Willersdorf ober der Reichsstraße ragt, steht ein schlichter Wegweiser: „Zu den Ausgrabungen auf dem Magdalensberg.“ Mit einem Jeep, der über Stock und Stein geht, ist der Weg gut befahrbar, für andere Kraftfahrzeuge wird er es voraussichtlich bald werden. In vielen Wendungen klettert er aus der Talsohle aufwärts den Hängen entlang, ab und zu vorüber an stattlichen, gemauerten Höfen, zuweilen auch an einem uralten schwarzen Holzbau, aus dessen Fenstern rote Geranien nicken, und dann wieder an gutgehaltenen, buntbemalten Wegsäulen, einem seltenen gotischen Dreikanter darunter. Ausgedehnte Obstgärten reihen sich in seltener Fülle. Zur Linken dehnt sich im Tale, nur von wenigen kleinen Siedlungen und Wegen durchwirkt, das grüne Gebreite der Wiesen. Dann lehnt sich der Weg schon scharf an die steile Bergkante, drüben wird der stumpfe Gipfel (1058 Meter) sichtbar, der Turm seines Magdalenenkirchleins leuchtet herunter. Nun ist man aber auch schon im Gelände der Forschungsstätte, da und dort werden schon Anstiche sichtbar, mit denen das Arbeitsfeld nach seiner Weite abgetastet wurde. Und in der Tat, seltsame Riegel im Hange fallen auf, wildes Dickicht überwuchert Mauerwerk, das da und dort aus der Erdschale lugt. Jetzt schließt sich der Halbbogen der Berghängc von West und Ost zusammen und plötzlich, in jäher Wendung, ist man vor ein eigenartiges Panorama gestellt: im Vordergrund, wie eine Bühne, ein ebener Platz, über hundert Meter lang und mehr als halb so tief und darüber noch etwa fünfzig Meter bis zum Gipfel aufsteigend, wie ein Amphitheater, die grüne Bergkuliss . Und wo man hinblickt die Spuren der Forscherarbeit, des großen wissenschaftlichen Geschehens, das hier endlich aufschließt, was man schon lange wußte und von dem man sich schon in den siebziger Jahren des vorigen und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts durch die Grabungen E. Nowotnys und R. Eggers sichere, aber doch nur bruchstückweise Kenntnis verschaffte: die Römerstadt auf dem Kärntner Magdalens- berge, die älteste und größte römische S t a d t s i e d 1 u n g auf österreichischem Boden. Sie ist um einiges älter als jene von Vir u- n u m auf dem Zollfelde und erheblich älter als Carnuntum. Ihr vorausging, wie heute schon feststeht, auf demselben Boden eine illyrisdi-keltische Niederlassung, die durch einen Mauer- und einen Palissadenkranz geschützt war und, wie die Brandspuren zeigen, von irgendwelchen Angreifern durch Feuer zerstört wurde. Schon jetzt, da noch der größte Teil der Aufschließungsarbeiten zu bewältigen ist, führen schon verschiedene Funde in das Dunkel jener vorgeschichtlichen Zeit. Der auffallendste unter ihnen war die 10,5 Zentimeter lange Figur eines Kahnfahrers, die zweifellos unrömischen Ursprungs ist.

Das Landschaftsbild macht es verständlich, daß die Römer, als sie sich den Weg in das östliche Alpenland bahnten, hier schon im letzten Jahrhundert vor Christus eine militärisch und gegen das rauhe Bergklima geschützte Stätte sahen, und bevor sie sich noch an den Verkehrsstraßen der Täler städtisch festsetzten, hier in diesem gesicherten Waldbezirk bequem sich niederließen. Die Stadt auf dem Magdalensberg verlor dann für sie ihre Bedeutung, als die Talwege gebührend geschützt waren und Städteanlagen an den Hauptstraßen erstanden. Wie ein Aufsatz von H. Kenner in der „Carinthia“, 139. Jahrgang, feststellt, ist bei den Grabungen nicht ein einziges Objekt aufgetaucht, das nicht aus der Frühzeit römischer Okkupation von Noricum stammen würde und etwa erst dem zweiten Jahrhundert nach Christi zugeschrieben werden könnte.

Die römische Stadt umfing den ganzen ®er8S'pfel in einem Durchmesser, wie bisher festgestellt wurde, von 2,5 Kilometer; sie war wohlbevölkert, wie die großen Gräberanlagen in der üblichen Art einer Via Appia an der Ostseite des Berges beweisen, Sitz militärischer und ziviler Behörden, ein gewisses Zentrum unter den 13 Verwaltungskreisen Noricums; die Baulichkeit seines Amtsarchivs ist aufgedeckt. Um die offenkundig angelegte Ebene in der Stadtmitte lagen außer dem bereits aus den früheren Grabungen bekannten Tempel, die repräsentativen Verwaltungsgebäude und vornehme Privatbauten. Immer wieder erinnern die Einzelheiten der baulichen Entdeckungen an Ostia, den Aventin, Aquileja, Brioni, die Caldarien und Wasserleitungen, der Farbschmuck der Wände, die Mosaiken der Prunkräume. Was wird da noch alles an Tageslicht kommen? Westwärts des „Forums“ beugt sich, noch eine mächtige Fichte über eine tiefe Höhlung, in der eine Art betoniertes Halbrund sichtbar wird. Eine Badeanlage, Nische einer Großskulptur? Viele Geheimnisse umschließt noch diese Erde. Nicht wenige hat sie schon preisgegeben; sie liegen sorgsam gesichtet, in einem Raum des kleinen Zeltlagers, in dem hier, gegenüber dem Tempel des Forums, die Forscher sich heimisch gemacht. Die Ausbeute, die hier noch der wissenschaftlichen Bearbeitung harrt, ist reich. Viele Stücke von Terra sigillata, Tonschalen und Amphoren aus dem römischen Mutterlande der Stadt. Eine wohlerhaltene Inschrift an einem Ölgefäß trägt nicht nur den Vermerk, wieviel der Krug enthielt, sondern auch, daß es „flos olei“, „Primaware“ aus Istrien war. Unter den vielen interessanten Stücken fesselt ein Scherben von tief azurblauem Überfangglas mit weißem Grunde.

Doch nicht den bisher gewonnenen und noch zu erwartenden Schatz, der hier unter der wissenschaftlichen Führung Univ.-Prof. Dr. Eggers von dem technischen Ausgrabungsleiter Dr. Vetters, von Hans Dolenz, Camillo Praschniker, der Urgeschichtlerin Dr. Gertrude Moßler und Dr. Hedwig Kenner und ihren Helfern gehoben wird, darzustellen, ist das Vorhaben dieser Zeilen. Die bisherigen Grabungsergebnisse haben schon mehrfache Darstellung gefunden und dem Fachmann und Altertumsfreund sei als beste Orientierung die von dem verdienstvollen Geschichtsverein für Kärnten herausgebrachte Broschüre „Die Versuchsgrabung 1948 auf dem Magdalensberg“ von C. Praschniker (V erlag, Kleinmayr, Klagenfurt) empfohlen, deren Inhalt erst den Zugang zu der Wertung der weiteren Grabungsergebnisse erschließen wird. Den Besucher der Arbeitsstätte der Forscher er greift die hier sich vollziehende kostbare Bereicherung österreichischer Heimatsgeschichte, aber noch stärker der Geist, den er hier am Werke fühlt, unter diesen Frauen und Männern, die hier hoch in der Bergeinsamkeit das zuweilen entbehrungsvolle und harte Leben des Zeltlagers führen. Da ist die Gattin des Universitätsprofessors Führerin der Lagerküche, da ist der schon grauhaarige gelehrte Forscher, hemdärmelig im Arbeitsgewand, ein Barraber, wie die andern, die Wissenschaftler, Techniker, die jungen Studenten, die im Feuereifer mit Pickel und Schaufel brüderlich gemeinsam mit einem Trupp Arbeiter hantieren, eine Gemeinschaft, deren Seele zu verspüren das Herz höher schlagen läßt. Hier scheint Entbehrung wenig zu sagen und alles der selbstlose Dienst an einer großen Idee zu ersetzen. Waldige Oase des Geistes im Zeitalter der Herrschaftsansprüche des Materialismus und der verlangten Unterordnung unter die Gewalt! Es hat lange gebraucht, daß die Wissenschaft Untersützung für die Förderung einer großen Aufgabe finden konnte, die ihr hier jm Dienste bedeutsamster Heimatkunde gestellt ist.

Das Land Kärnten, das für die Pflege seines Kunstbesitzes nicht erst seit gestern eine vorbildliche Tätigkeit entfaltet, hat die im vorigen Sommer wieder aufgenommenen Arbeiten, soweit es konnte, finanziert. Für die Fortführung der Arbeiten ist noch nicht genügend vorgesorgt. Einmal hat es Mäzene in Österreich gegeben, die für 60 bedeutungsvolle wissenschaftliche, heimatgeschichtliche Arbeiten eine gebefreudige Hand hatten. Sind die ausgestorben, die es zu sein vermöchten? Gibt es keine Menschen mehr, die sich von den wissenschaftlichen Schatzgräbern am Magdalensberg nicht beschämen lassen und den Dank Österreichs verdienen wollen?

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