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Besuch im „Poigreich“

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„Ich bin sehr vergnügt, denn die Gegend hier herum ist herrlich, und ich habe alles, was ich nur wünschen kann“, schrieb der 16jährige Franz Grillparzer am 10. September 1807 als Gast des Greillensteiner Herrschaftsverwalters Ceßner an seine Mutter.

Der alte Grafschaftsname „Poigreich“ umreißt dem Historiker ein festgeschlossenes Landschaftsgebiet am Ostrande des Waldviertels, verbunden mit der Vision der Hauptorte dieses Reiches: Horn, Altenburg, Rosenburg und Maria-Dreieichen. Das Herzstück, das „Horner Becken“, liegt in einem weitgespannten Kranz dunkler Wälder, die von der östlichen Man-' hartsstufe aus in zwei gewölbten Bogen nach Westen greifen. Es sind keine hohen Berge, welche die grünen Forste tragen, und doch schützen sie die zwischen ihnen eingebettete Mulde vor allzu rauhem Nord und West. Diese Windgeschütztheit, ausgesprochene Niederschlagsarmut und reine, trockene Luft, gehören zu den klimatischen Eigenheiten der Mulde. Weizen- und Rübenfelder dehnen sich behaglich, von saftigen Wiesen und blinkenden Flußläufen gebändert, Obstanlagen erfreuen durch Blüte und Frucht und eingestreute Baumbühel und Wäldchen bieten dem Wild willkommenen Einstand und reichgedeckten Tisch.. Es ist ein gutes, gesegnetes Land mit zufriedenen Menschen, behäbigen Dörfern, uralten Kirchen und Kulturbauten und weißen Straßen, die wie die Fangarme einer Riesenspinne von Horn aus in die Gegend greifen.

Anders werden die Verhältnisse, wenn wir die Mulde verlassen, und der boshafte Volksmund behauptet gar, daß es über Altenburg hinaus bereits um einen Rock kälter sei. So arg ist's gewöhnlich nicht, doch hat der Nordwest gerade seinen schlechten Tag, dann mag auch das mit dem Rock einmal stimmen. Weizen und Mais aber grünen auch hier und geben in den äußersten Dörfern noch gute Ernten. Der Wanderer nimmt eine kleine Abkühlung gern in Kauf, denn gerade der Rand der Horner Senke bietet soviel romantische Schönheit landschaftlicher und kultureller Art, daß jeder Ausflug zur hellen Freude wird. Dies nicht nur längs des

Kamp, wo die Rosenburg leuchtet, des Thursen-steins spärliche Ruinen („Oedes Schloß“) stehen und der Turm Schauensteins einsam aus waldverhangener Höhe dräut. Denn da ist Altenburg, das klösterliche Barockjuwel am Rande des alten Nordwalds, dessen Reste noch das Kamptal säumen. Da ist Schloß Greillenstein, überreich an figuralem Schmuck der Balustraden und Vasen, Löwen und Putten, Brunnen und Lauben. Da ist Wildberg, die trutzige Hochburg der Hohenburger und Maißauer Herren. Und das ruinöse Grub, dessen gewaltige Mauern drohend über den geduckten Häusern des Tales ragen. Und da ist noch eine Unzahl von Kirchen und Kapellen mit ihrer großen, leidvollen Vergangenheit und ihrer zarten Mahnung, allen voran der leuchtende Mariendom auf dem Molderberg, die Gnadenkirche zu Dreieichen.

Uralte Kulturlandschaft schaut uns an und spricht zu uns. Spricht zu jedem, der hören mag, zu jedem, der die seelische Bereitschaft mitbringt, welche zum Verstehen ihrer feinen, subtilen Sprache gehört.

HORN, die Kreisstadt und der politische und wirtschaftliche Mittelpunkt dieser Landschaft, hat es zu beachtlicher Ausdehnung gebracht, und ihre fast 6000 Einwohner sind auch heute eifrigst daran, durch immer neue Villenkolonien den Ortsraum zu erweitern. Seit nach 1656, dank der Initiative des Herrschaftsbesitzers Graf Sigismund von Kurz, sich die Piaristen hier niederließen und die alte Lateinschule der Stadt in ein Gymnasium verwandelten, ist die schulfreundliche Tendenz dieser Stadt nicht mehr abgebrochen und Jugend beherrscht das Stadtbild mit hellen Gesichtern und Kleidern. Daß heuer der Grundstein zu einem neuen Gymnasium modernster Bauart und Einrichtung gelegt wurde, ist daher nur die folgerichtige Pflege dieser Tradition. Die kunstreichen Kirchen, das alte, feste Schloß, die lauschigen Winkel und Ecken der alten Stadtmauer und des Taffatals, Renaissancehäuser mit ihren Laubengängen und Sgraffitis und eine Anzahl kleiner, verborgener Kostbarkeiten, Bildstöcke und Hauszeichen bleiben den Schülern unvergessen und verleiten den Fremden zu immer neuen Entdeckungsfahrten. Freundliche Kaufhäuser und Hotels verlocken zu Besuch und Aufenthalt, Sportplätze und Kinos, das städtische Bad und die stets wache Festesfreude der Horner sorgen für Unterhaltung und Kurzweil.

ALTENBURG. Ist Horn das geschäftliche Zentrum des Poigieichs geworden, so war und blieb das Stift Altenburg dessen kulturelle Hochburg. Seit 1144 leben, beten und arbeiten hier die Söhne St. Benedikts. Und haben auch schwerste Schicksalsschläge ihr Haus heimgesucht und wiederholt bis zur totalen Zerstörung geführt, in zäher Lebenskraft hat sich das Kloster immer wieder behauptet und ist aus Schutt und Trümmern meist schöner und größer wiedererstanden als zuvor. Wer dieses Kloster 1946 nach dem Abzug der Besatzungstruppen gekannt hat, steht heute vor einem Wiederaufbauwunder eigener Art und Prägung. In alter Schönheit strahlen die weiten Höfe, überwältigen die Kunsträume durch ihre eigenartige Ausstattung an Fresken, Stukkos und figuralem Schmuck. Es soll hier nur erwähnt werden, daß nach Ansicht der Kunsthistoriker das Stift Altenburg in seiner Bibliothek den schönsten und in seiner Krypta den originellsten Raum eines österreichischen Klosters besitzt. Daß die Behauptung derselben Fachgelehrten, wonach Altenburg die wertvollsten Stuckräume Oesterreichs besitzt, der Wahrheit entspricht, finden zehntausende jährlicher Besucher immer wieder zu ihrer LIeberraschung bestätigt.

Das Glanzstück des Stiftes aber ist für dieses Jahr seine „Ausstellung barocker Kunst aus Waldviertler Klöstern“, welche in dem glanzvoll restaurierten Marmortrakt des Stiftes untergebracht ist. Den Besucher empfängt eine überwältigend schöne ..Feststiege“, deren Kuppelfresko ebenso wie die meisten anderen Deckengemälde des Stiftes von Paul Trogcr stammt. Der künstlerisch einwandfreien Restaurierung dieses Stiegenaufganges entspricht die ebenso gelungene Wiederherstellung der „Marmorzimmer“ und die raffiniert ausgeklügelte Aufstellung der ausgestellten Kunstwerke, so daß diese Ausstellung mit Recht zu den gelungensten Veranstaltungen des heurigen Jahres gezählt wird. Trotzdem vernimmt man mit Staunen, daß trotz der relativen Abgelegenheit des Stiftes Altenburg bereits 20.000 Besucher durch diese Räume gegangen sind. Man versteht es aber, wenn man hört, daß zahlreiche Teilnehmer sogenannter Gemeinschaftsfahrten sozusagen „privat“ wiederkommen, um in aller Ruhe und Beschaulichkeit von Raum zu Raum, von Objekt zu Objekt schreiten zu können, unabhängig von drängenden Programmen und Reiseleitern.

ROSENBLIRG. Dort, wo der ostwärts strebende Kamp plötzlich scharf nach Süden biegt, steht auf ragendem Fels die mächtige Rosenburg. Sagen und Lieder berichten von ihr und preisen die Schönheit des waldigen Flußteils, aus dessen Dunkel die Burg wie eine Blüte des „gewachsenen“ Steins zum Lichte strebt. „Schönste Burg“ des Kamptals, ja, des an Burgen so reichen Waldviertels nennt man sie, und sie trägt diese Bezeichnung mit Recht. Das beweisen die Zehntausende, welche Jahr für Jahr hier Eintritt begehren. Das beweist allein schon der ausgedehnte Villenort, der sich seit der Erschließung des Tales durch die Kamptalbahn (1889) zu ihren Füßen entwickelt hat.

MARIA-DREIEICHEN. Im Jahre 1656, also vor genau 300 Jahren, stellte der Horner Kürschner Mathias Weinberger nach einer wunderbaren Genesung aus langjährigem Siechtum sein Vesperbild auf einer Drillingseiche des Molderberges zur öffentlichen Verehrung auf. Der Zulauf zu dem Gnadenbild führte erst zum Bau einer kleinen Kapelle, 1735 wurde vom Stifte Altenburg ein ständiger Vikar angestellt und für das Jahr 1740 finden wir bereits 40.000 Wallfahrer genannt. 1744 wurde mit dem Bau der heutigen Wallfahrtskirche begonnen, deren Vollendung sich jedoch bis 1819 hinauszog. Die weithin sichtbare Kirche ist eine Stätte des Glaubens, gewachsen aus den Scherflein der Marienverehrer, welche hier Trost und Hilfe gesucht und gefunden haben. Ein trutziges Denkmal solider heimatlicher Handwerkskunst, tief verwurzelt im Herzen der Waldviertler und darüber hinaus der Wiener und Oesterreicher; unserer Zeit aber ein Mahnmal, dessen ernste Sprache wir viel zuwenig beachten.

FRAUENHOFEN. Der Ort war im Mittelalter. der Sitz eines Rittergeschlechtes, das sich „von Vronhofen“ schrieb; erstmals tauchte sein Name 1187 auf. Im Verlaufe des 15. Jahrhunderts ist das Geschlecht ausgestorben. Die Filialkirche St. Wolfgang gehört stilistisch mit ihrem ältesten Teil, dem gotischen Chor, in das Ende des 14. Jahrhunderts. Bemerkenswert in dieser Kirche sind wohl die Fresken von Hans Alexander Brunner, gemalt 1948 auf der östlichen Landhauswand und in den Gewölbejochen. Niemand sollte versäumen, sich genau den Hochaltar anzusehen; in der Mittelnische befindet sich ein Bild des heiligen Wolfgang — ebenfalls eine zeitgenössische Arbeit (1954). Die Kosten der Restaurierung dieses Gotteshauses sowie die Neuanschaffung der Glocken wurden von Landeshauptmann Oekonomierat Steinbock in Erfüllung eines Gelübdes nach schwerer Erkrankung getragen. So ist Frauenhofen künstlerisch und menschlich eine wundersame Verknüpfung des Gestern und Heute, ein Mahnmal für das Morgen.

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