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Besuch in Doorn

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Im Jahre 1935, al ich aus England zurückreiste, fragte ich, ob ich in Doorn empfangen würde. Ich hatte das Bedürfnis, von einer ohne Zweifel geschichtlichen und viel verzeichneten Gestalt einen Eindruck zu empfangen. Im Dom zu Utrecht stand ich an der Stelle, wo das Herz Kaiser Heinrichs V. begraben ist. Große Schatten flüchteten über die arme Landschaft, durch die ich von Amersfoort fuhr, niedriges Kiefer- und Laubgehölz, an dem noch vorjähriges Laub hing, Gewässer dazwischen, ein Trupp übender holländischer Soldaten, April: es schneite und regnete zugleich. Das Auto des Kaiser fuhr eben durch das niedrige, klotzige Hoftor aus Ziegelstein. Ein Freund, Freiherr von Sell, treuester, aber keineswegs unkritischer Diener seines Herrn, war aus Berlin gekommen, um mir beizustehn; das ermutigte mich. Er führte mich die Parktreppe hinauf, an der an langer Kette ein weißer Hund zerrte und schäumte: er galt für sehr bös und wurde von den Herren „der weiße Tod“ genannt. In einem düstern Zimmer des unteren Geschosses saß Wilhelm II. am Schreibtisch, scheinbar in drängender Arbeit. Aber die Mappe, die er nun dem eintretenden Grafen Finckenstein von Ecke zu Ecke zuwarf, muß fast leer gewesen sein. Der Kaiser sprang auf; meine Körpergröße amüsierte ihn un- gemein; er lachte, daß das fast überreiche, in eine hohe Welle aufstrebende Haar zitterte. Aber die Augen waren wie blinde blaue Spiegel. Sofort begann er ein weltpolitisches Gespräch; vom Verhältnis zum gegenwärtigen Rußland, hinter dem er schon ein ganz anderes zukünftiges als geschichtliche Wirklichkeit sah, war er in wenigen Augenblicken bei den Azteken und altafrikanischen Kulturen — Frobenius begeisterte damals den ganzen Hof, was für die alten Generale nicht einfach gewesen sein mag —, dann im Mittelalter und in der Ordensgeschichte; es war ein nicht aufzuhaltendes Kreisen von Bildern, Ideen, Erinnerungen, Phantasien, das ein jedes etwa eingeworfene Wort — wenn ein solches glückte — sofort weiterschleuderte in neue Kombinationen. Und doch war auf der Stirne Wilhelms II. ein Schimmer von Souveränität, den ich kein zweitel Mal gesehen habe. — Darauf führte mich die Fürstin — wir mußten sie „Majestät“ nennen und taten es nicht gerne — im oberen Geschoß an das Sterbebett der Kaiserin Augusta Viktoria; es stand von Blumen überdeckt in dem wohl schönsten Raum des Obergeschosses, der unberührt erhalten wurde.

Der Kaiser geleitete seine Gemahlin zu Tisch; ich sah, neben ihm sitzend, daß das Fleisch ihm zerschnitten, mit Soße überdeckt, vorgesetzt wurde; doch verstand er, beabsichtigte Hilfe witternd, etwa eine Streichholzschachtel zwischen die schlaffen, verkrüppelten Finger der linken Hand zu klemmen und das Streichholz mit der andern anzufachen. Das Gespräch kam auf die Insignien, die echte Krone. Sein Vater, erzählte er, habe ihm, wenn er ihn belohnen wollte, ein Werk zum Betrachten überlassen, in dem sie abgebildet waren; Bismarck habe wohl gewußt, daß die echte Krone in Wien sei und seine eigenen Absichten gehabt. Nach Tisch, am Fenster des Nebenraumes stehend, die Mokkatasse, die Zigarette haltend, sprach er fort: vom Reich, nur vom Reich. In den Kathedralen Süditaliens sei er mit Gesängen empfangen worden, die seit den Tagen der Hohenstaufen nicht mehr erklungen waren. Hinter ihm fielen Regen und Schnee in den schwarzen Schloßgraben, Wasser in Wasser.

Die Einrichtung war, von Erinnerungsstücken abgesehen, kostbar und würdig, wenn auch die Enge der Räume, der schmalen Gänge und steilen Treppen überfüllt war. Er empfing uns am Nachmittag im Turmerker, in dessen Rund sich drei Menschen kaum bewegen konnten. Hier stand er, einen gefangenen Vogel fütternd, dessen Käfig über Türmen von Schriften schaukelte. Sein Reden, Phantasieren, Fragen waren ein Protest gegen den Käfig, der ihn umschloß. Die Verhältnisse in Deutschland, die Spieler schien er klar zu sehen: sein Sohn August Wilhelm war dreist und töricht genug, ihn mit erhobenem Arm zu begrüßen: „Das habe ich ihm abgewöhnt.“ All sein Suchen ging um eine feste Mitte: es war keineswegs ordnungslos; beängstigend war nur die Schnelle des Wechsels. Die Mitte war: di neue geistige Begründung der Monarchie aus dem Glauben und der Geschichte. Für sich selbst hatte er, wie mir schien, resigniert; die letzten Enttäuschungen hinsichtlich einer wenigstens ehrenvollen Rückkehr — etwa nach Homburg — hatte er wohl eben durchlitten. Ich wollte mich verabschieden. Aber das ließ er nicht zu: ich sei müde und müsse in Doorn übernachten.

Am Abend trug er Generalsuniform; er wolle mir, sagte er nach Tisch im Nebenzimmer, aus meinem Buch vorlesen. Er wählte das Kapitel, das Friedrich den Großen in Rheinsberg zu schildern sucht; an den Wänden hingen Pėnes Bilder der Freunde, der Vorlesende wies leicht auf sie hin, wenn ihr Name fiel, als redete er sie an. Draußen rasselte der „weiße Tod“ an der Kette, und Schnee und Regen stürzten gewiß noch immer in den Schloßgraben: die alten Generale waren froh, sich dieses Mal nicht an- »trengen zu müssen; ihre weißen Mittelscheitel nickten über herabsinkenden Augenlidern leise vornüber. Der Kaiser las leiden- »chaftlich-theatralisch; wenn ihm ein Ausdruck zu schwach war, steigerte er ihn oder er führte einen Satz weiter. Ich suchte nach dankenden Worten. „Bin gelobt worden. Kommt selten vor.“ Nun sank das Gespräch in kleine Dinge von Menschen, Familien ab. Ich begriff die tödliche Monotonie dieser Abende, Wochen, Monate, Jahre. Er erhob sich; ich sah noch einmal in die gleichsam ausgeweinten Augen; sie erschütterten, weil sie keinen Ausdruck mehr hatten. Dann bot er der Fürstin den Arm.

Aus „Verhüllter Tag' al.oh-Hegner-V erlag, Kdie

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