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Besuch in Lubowitz

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Strahlende Sommersonne liegt über dem oberschlesischen Land. Tiefblau leuchtet der Himmel. Weiße Haufenwolken ziehen ruhig ihre Bahn. Friedliche Stimmung überall. Früh breche ich auf, um Eichendorff zu suchen, seinen Geburtsort, seine romantische Landschaft und vielleicht auch das, was heute noch von ihm dort bekannt ist. Hat doch Polen den größten deutschen und zugleich oberschlesischen Dichter der romantischen Schule nach 1945 totgeschwiegen. Erst jetzt scheint sich ein kleiner Wandel anzubahnen, wie ein Aufsatz von Irena Slawinska in der in Kattowitz-Oppeln erscheinenden Zeitung „Przemiany“ vom 4. August 1957 zeigt.

Das Eichendörff-Denkmal in der Bahnhofstraße in Ratibor steht nur noch als leerer Sockel, die Inschrift übertüncht, aber noch lesbar, sein Wohnhaus in Neiße, wo er die letzten Tage seines Lebens verbrachte, ist im Chaos der Kriegs- und Nachkriegstage untergegangen, und nur noch auf dem Friedhof in Neiße wird sein Grab mit Blumen von den letzten ansässigen Deutschen geschmückt. All das war mir bekannt. Nun war ich auf Lubowitz, seinen Geburtsort, gespannt.

Ich hatte mir ein Fahrrad geliehen und radle jetzt über die holprigen Straßen Ratibors, an der Altendorfer Kirche vorüber, hinaus in die Weite der Oderlandschaft. Kirchgänger kommen mir entgegen. In der Mutter-Gottes-Kirche ist heute „Ablaß“. Die Frauen tragen zum Teil noch eine Art Tracht. Teils auf Bauernwagen, teils zu Fahrrad, aber oft auch zu Fuß begegnen mir die Gläubigen. Sie alle sprechen noch deutsch. Sie sind aus den Dörfern der Umgebung Ratibors, also fast nur deutsche Bewohner.

Ueber Oderfurt geht die Fahrt. Die Straße steigt zu den linken Oderhöhen ein wenig an. Weites fruchtbares Land liegt zu meinen Füßen. Deutlich ist der verschlungene Lauf der Oder zu sehen. Drüben auf den rechten Höhen die grüne Obora. davor die Silhouette der Ostroger Industriewerke. Dann das immer noch türmereiche Ratibor, allerdings mit meist geknickten Türmen. Mitten in der zweiten Oderniederung wird das Naturschutzgebiet des Lenschoks sichtbar. Beiderseits des Weges wächst Gemüse über Gemüse. Der herbe Duft des Selleries mischt sich mit dem des Krautes, dazwischen das Bild von Zwiebeln, Karotten und Gurken. Jedes Fleckchen Erde ist ausgenützt. Hin und wieder ein frisch geweißtes Haus, auch einige Neubauten, alles aber zeugt vom Fleiß der deutschen Bevölkerung.

Nach dem Verlassen des Straßendorfes Oderfurt geht es auf einer typischen deutschen Landstraße weiter. Rechts und links Obstbäume, dahinter weite, schon abgeerntete Felder, am Straßenrain hin und wieder eine alte Bäuerin, die ihre Kuh oder ihre Ziege hütet. Und immer wieder schweift der Blick in die Weite, man kann sich kaum sattsehen an diesem sommerlich friedlichen Bild.

Vor Eichendorffmühl kommt eine große schwarzbunte Kuhherde des staatlichen Gutes über den Weg gezogen, gefolgt von einer alten Hirtin. Auf einem halb zerfallenen Schornstein thront ein Storchennest mit drei jungen Störchen; dann geht es hinab, wieder in den Talgrund. Das Dorf Eichendorffmühl liegt langgestreckt da. Ueberall vor den Häusern grüßen blumenbestandene Vorgärten. Es herrscht eine dörfliche Ruhe und Stille wie an einem Feiertag.

Noch einmal führt die Straße hinauf auf die Höhe und dann leuchtet bereits von weitem die Backsteinkirche von Lubowitz herüber und aus dem Grün des Parkes ragen einzelne Zinnen des Schlosses heraus. Man möchte ein Eichendorff- Gedicht zitieren, doch ein schmerzhaftes Gefühl preßt die Kehle zu. Aus der Kirche erschallt Gesang und Orgelspiel, die jungen Männer des Dorfes stehen vor der Kirchen tür und warten den Gottesdienst ab. Eine kaum in Ordnung gehaltene Dorfstraße biegt zum Park ab. Vor seinen Umfassungsmauern erhebt sich rechts ein scheußliches Gebäude, eine genossenschaftliche Spodzelnia, ein Laden, in dem es anscheinend in erster Linie nur Schnaps zu geben scheint. Gerümpel liegt beiderseits der Parkeinfahrt herum, hier ist jahrelang nichts aufgeräumt worden; und plötzlich stehe ich vor dem Schloß Lubowitz!

Ausgebrannt! Nur noch die Fassaden stehen. Durch die leeren Fensterhöhlen scheint die Sonne in das zusammengestürzte Innere. Sträucher und kleine Bäume wachsen aus den Trümmern, davor Brennesselhecken. Alles verwildert, und doch ist ein letzter Hauch romantischer Stimmung spürbar. Ich gehe hinüber auf die Parkseite. Auch hier Verfall. Die Mauern werden nicht mehr lange stehen. Auch sie werden zusammenfallen. Jetzt noch künden sie von der verflossenen Pracht. Der weiträumige Park ist fast zu einem Urwald geworden. Keine Menschenseele kümmert sich mehr um ihn. Das Gras steht hoch, vereinzelte Blumen blühen; aber dazwischen steht wieder eine alte Holzbude,

die beweist, daß scheinbar hin und wieder dörfliche Festlichkeiten stajtfinden, zerstreute Papierfetzen und sonstige Reste dürfen natürlich nicht fehlen. Geschändetes Lubowitz!

Stille ringsum, feiertägliche Stille. Ich wandere durch den Park. Kleine Pfade sind hier und da noch sichtbar. Erhalten aber ist in seiner ganzen Schönheit der Haselgang, dieser verträumte Weg, gesäumt von Haselnußbüschen, die oben zusammengewachsen sind und eine Art grünes Dach bilden. Er führt an das Ende des Parkes, und von hier schlängelt sich ein kleiner schmaler1 vebnabhlässigter Steig ‘hinab zw Eieherf- dorff-Linde: Wildiirs? kanm ein Durchkdthnftüi; man muß sich mühsam einen Weg bahnen. Ich klettere auf den untersten Absatz der Linde. Dichtes Laub und Bäume verhindern fast die Aussicht. Hier oben saß der junge Eichendorff und blickte über die Oderauen, die Dörfer, das weite blühende Land, bis sich seine Augen weit drüben, jenseits der Oder, in Pogrebin niederließen, wo seine junge Liebe wohnte und er mit heißem Herzen hinüberschaute. Welch romantische Stimmung ergreift den Besucher und wie leicht versteht man jetzt das Gefühl Eichendorffs, wie es in seinen Liedern zum Ausdruck kommt.

Auf dem Rückweg zum Schloß spricht mich ein älterer Mann an und berichtet über Eichendorff, sein Schloß und beklagt den Verfall. „Lange wird es nicht mehr dauern und alles ist verfallen; wer kümmert sich auch darum?“ sagt er dann. „Vergessen Sie ja nicht den alten Friedhof zu besuchen, ehe Sie weitergehen“, fügt er hinzu. Richtig, dort sollen ja Vorfahren Eichendorffs begraben liegen

Dieser alte Friedhof liegt etwas abseits, ein eisernes Tor schließt ihn von der Umwelt ab, so daß die Zerstörung wenigstens etwas davor Halt machte. Hohes Gras steht in ihm, ein schön gepflegtes Soldatengrab von 1945, überwucherte Grabsteine, die Schriften sind verblaßt. Das ist alles, was ich finde.

Es ist inzwischen Mittag geworden, ich -fahre wieder zurück nach Ratibor. Noch einmal grüßen die Zinnen von Lubowitz, dann versinkt alles im hochsommerlichen Dunst. Am Ausgang von Eichendorffwald benütze ich einen kleinen Seitenweg, mitten durch blühendes Land, schwer behangene Obstbäume beiderseits des kleinen Weges, daneben murmelt ein winziger Bach, von Weiden und Erlen umstanden, ein paar Windungen des Weges noch, und in einem unbeschreiblich schönem Idyll liegt die uralte Mühle, die den Anlaß gab zu einem der schönsten Lieder Eichendorffs „In einem kühlen Grunde". Auch hier Verfall, romantischer Verfall, der Wassergraben der Mühle ist versandet, aus ihm wachsen heute bunte Sommerblumen, das alte mächtige Holzrad ist bemoost und hängt schief in seiner Achse. Wildnis drum herum, es grünt und blüht in verschwenderischer Fülle.

Doch dann muß ich Abschied nehmen. Es geht wieder auf der bekannten Straße zurück nach Ratibor.

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