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Bewegung bewirkt noch immer wahre Wunder

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Chronische Überbelastung führt zu Dauerstreß und schadet dem menschlichen Körper. Aber man kann lernen, mit Streß richtig umzugehen.

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Chronische Überbelastung führt zu Dauerstreß und schadet dem menschlichen Körper. Aber man kann lernen, mit Streß richtig umzugehen.

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Kein Wort wird heute mehr benützt, kein Thema nicht auch unter dem Gesichtspunkt „Streß" gesehen. Es scheint, als stünden wir alle konstant unter „Streß". Der Tormann vor dem Elfmeter und der mitfiebernde Fußballfan zu Hause vor dem Fernsehgerät; der Schüler, der in Mathematik Pobleme hat, und seine Mutter, die sich um sein Fortkommen Sorgen macht, der Arbeiter, dem der Job über den Kopf wächst, und sein Chef, der mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Sie stehen alle unter Streß.

In der Steinzeit waren die Dinge noch einfach: Immer wenn der Homo Sapiens sich bedroht sah (vor einem feindhchen Stamm oder einem wilden Tier beispielsweise), dann gab es nur zwei möghche Reaktionen: entweder Flucht oder Kampf. Für beides stellte sich der Körper auf absolute Höchstleistung ein: Der Blutzuckergehalt wächst und führt so den Muskeln die nötige Energie zu. Der Atem geht schneller, der Puls beschleunigt sich, um den erhöhten Sauerstoffbedarf zu decken, die Blutfette steigen und sorgen auf diese Weise für erhöhte Energiezufuhr. Alles Veränderungen, die der Kampfbereitschaft dienen. Oder der Flucht.

Heute sind die Dinge wesentlich vielschichtiger. Gleichgeblieben ist lediglich der urzeitliche Streß-Alarm. Aber die Reaktion hat sich geändert. Schließhch kann der moderne Mensch bei Ärger im Büro wohl kaum davonlaufen oder dem Chef einen Uppercut versetzen.

Dennoch bereitet sich unser Kör-)er immer noch vor auf Kampf oder ^'lucht. Auch heute weiten sich unsere Pupillen, beschleunigt sich der Atem, wird die Hautfarbe blaß und der Mund trocken. Aber heute können wir den Streß nicht ausleben, nicht sinnvoll abbauen.

DIE ENERGIE STAUT SICH

Die Folge: die bei der Generahno-bilmachung unseres Körpers bereitgestellte Energie wird nicht verbraucht, staut sich an und wird so zum gesundheitsschädlichen Faktor. Denn zuviel Fett im Blut beispielsweise erhöht das Infarktrisiko.

Der moderne Mensch kann viel. Er kann in das Weltall fliegen, er kann in Stundenfrist von Kontinent zu Kontinent Jetten, die kompliziertesten Maschinen erdenken und bedienen und er kann unendlich kreativ sein. Aber eines kann er meist nicht: mit Streß sinnvoll umgehen. Vorrang sollte dabei die kurzfristige Streßkontrolle haben: Rauchen, fett essen, alkoholische Getränke. Alles Reaktionen, die zwar im ersten Moment helfen mögen, auf Dauer aber zusätzliche Risikofaktoren für die Gesundheit darstellen.

Und der Streß kehrt zurück. Schon bei nächster Gelegenheit machen wir wieder Bekanntschaft mit dem hektischen Gesellen namens Streß: in der Schule vor der Prüfung. Im Haushalt, wenn die Zeit zu kurz zu werden droht. Im Beruf, wenn sich alles wieder einmal nicht ausgeht. Oder einfach im Auto, wenn sich der Stau nicht und nicht auflöst.

So paradox es scheinen mag: Streß ist eigentlich eine positive Reaktion, denn Streß ist lebensnotwendig. In der Urzeit gab's ohne diesen „Turboschub" für die Sinne kein Durchkommen, in der Gegenwart verleiht Streß dem Hirn manchmal sogar Flügel. Ohne Streß wäre vieles eintönig, wäre kaiun Leistungsbereitschaft vorhanden, gäbe es wahrscheinlich keinen Fortschritt.

Denn Streß entsteht immer dann, wenn der Mensch eine Situation als unangenehm empfindet. Er motiviert zum Nachdenken über Auswege und Lösungen. Streß gibt so richtig Gas, bringt den Motor auf Hochtouren. Aber Vollgas auf Dauer schadet selbst dem stärksten Motor, und Dauerstreß dem menschlichen Körper. Dann wird aus dem „guten Streß" ein schlechter, dann wandelt sich, wie es die Mediziner nennen, der „Eustreß" zum „Distreß". Der liegt meist dann vor, wenn es zu chronischer Über- oder Unterbelastung kommt (auch extreme Langeweile kann Streß verursachen).

SICH SELBST ÜBERWINDEN

Eustreß ist also grundsätzlich positiv. Vorausgesetzt, man lernt ihn abzubauen, bevor er sich zum schädlichen Distreß wandelt. Und hier kennt die Medizin ein vielversprechendes Rezept: Bewegung. Nach einem langen aufreibenden Arbeitstag fühlt man sich meist ausgebrannt, erschöpft und müde. Die erste (verständliche) Reaktion: Alles fallen lassen, sich aufs Sofa knotzen und keinen Finger mehr rühren. Die Konsequenz: andauernde Schlaffheit, fehlende Initiative, Gleichgültigkeit.

Die Therapie: Sich selbst einen Rempler geben, den „inneren Schweinehund" überwinden und sich kurz aber intensiv austoben: Eine abendliche Joggingpartie oder eine Ausfahrt mit dem Rad wirken wahre Wunder. Fühlte man sich eben noch müde und abgekämpft, legt ein wenig Bewegung ungeahnte Energien frei. Dazu ist freilich nicht immer Zeit. Aber es hilft meist schon, rasch ein paar Treppen zu steigen oder einen kleinen Spurt-einzulegen. Der Körper kann so die bereitgestellten Energien abbauen, das Blutfett wird sinken, der Bio-Haushalt gerät wieder ins Gleichgewicht, und der Streß wird erfolgreich abgebaut.

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