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Bilanz eines Goldrausches

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Die Menschenschlangen vor dem Hauptmünzamt haben sich verlaufen. Ein paar tausend Österreicher sind heute um ein Dutzend Golddukaten reicher. Morgen werden sie auch um eine Erfahrung reicher sein: daß Gold eine der schlechtesten Geldanlagen ist.

Zuletzt waren der Ungarnaufstand und die Suezkrise zuviel für ängstliche Gemüter gewesen. Wer damals, im Jahre 1956, Dukaten kaufte — die hektische Nachfrage hatte den Preis auf 112 Schilling für den einfachen Dukaten hinaufgetrieben —, bekommt heute dafür 104.50 Schilling. Aber eben (und das macht einen gewaltigen Unterschied, denn seit 1956 ist das Preisniveau um 40 Prozent gestiegen) 104.50 heutige Schilling, und das sind der Kaufkraft nach weniger als 75 damalige Schilling; der Dukatenhamsterer von 1956 hat seither ein Drittel seines in Gold angelegten Vermögens eingebüßt.

Dabei. sind die österreichischen Goldmünzen noch verhältnismäßig billig: Der einfache Dukaten, der heute beim Hauptmünzamt oder am Bankschalter 107 Schilling kostet, ist immerhin fast 100 Schilling wert. (Soviel macht der Goldgehalt aus; den Rest verdient mit dem Prägen der Fiskus.) Bei ausländischen Goldmünzen ist das Verhältnis zwischen Preis und Wert ungünstiger, und wer an Stelle von Münzen sogenannte Medaillen (mit dem Porträt eines berühmten Staatsmannes oder auch als goldenes Faksimile seltener Marken) kauft, bezahlt etwa das Doppelte des Goldwertes; damit sind als Vermögensanlage Medaillen etwa gleich schlecht geeignet wie moderner Schmuck, bei dem nicht selten der — vergängliche — Fassonpreis ebensoviel ausmacht wie der echte Wert des Goldes und der Steine.

Das Wiener Hauptmünzamt war freilich nicht die einzige Stelle, bei der nach der Pfundabwertung fieberhaft Gold gekauft wurde:Auf dem Londoner Goldmarkt stiegen die Tagesumsätze, die normalerweise zwischen fünf und zehn Tonnen (das entspricht etwa 150 bis 300 Millionen Schilling) liegen, an einigen Tagen auf 100 Tonnen und mehr; zwei Drittel dieses Goldes nahmen ihren Weg vorerst in die Schweiz (wo sich die weitere Spur verliert). Erst als der Gold-Pool nicht zögerte, diese spekulativ übersteigerte Nachfrage anstandslos zu befriedigen, machte auch in London der Goldrausch dem Katzenjammer Platz: dem x-ten Katzenjammer derer, die in der Hoffnung auf eine Erhöhung des seit mehr als 30 Jahren unveränderten amerikanischen Goldpreises von

35 Dollar pro Feinunze (= knapp 30.000 Schilling je Kilogramm Feingold) „vorsorglich“ Gold gekauft hatten.

Die Österreicher, die beim Hauptmünzamt Schlange standen oder ihr Sparkonto bis zum letzten Groschen abhoben, um am Nebenschalter Dukaten zu kaufen, haben wohl kaum subtile Erwägungen darüber angestellt, ob die amerikanische Regierung wirklich so ungeschickt sein wird, mit einer Goldpreiserhöhung den Russen und de Gaulle in die Hände zu spielen. Herr Mayer und Frau Müller haben einfach den Kopf verloren und, weil sie es — nicht aus eigener Schuld, sondern weil bei uns selbst die primitivsten wirtschaftlichen Grundkenntnisse nicht Bestandteil der Allgemeinbildung sind — eben nicht besser wissen, wieder einmal die (diesmal wirklich nicht zur Diskussion stehende) Schillingabwertung mit der Schillingabschöpfung in den Jahren 1945 und 1947 verwechselt.

Die Hoffnung, daß die Österreicher aus Schaden klug werden, ist freilich gering. Wahrscheinlich muß eine neue Generation heranwachsen, ehe das Gold seinen Nimbus verliert: den Nimbus, das „eigentliche“ Geld zu sein, für das die Banknote nur ein klägliches Surrogat ist. Und wahrscheinlich muß erst eine neue Generation heranwachsen, ehe es zur wirklichen Binsenweisheit wird, daß jedes Geld — sogar die Goldwährung (un-)seligen Angedenkens — keinen anderen Wert hat als seine jeweilige Kaufkraft, daß also, falls es sie gäbe, eine 1000-Schilling-Münze Jahr für Jahr um dieselben etwa 3 Prozent „schrumpfen“ würde, wie die 1000-Schilling-Note. Weshalb es, in Parenthese vermerkt, auch völlig einerlei ist, zu wieviel Prozent der Schilling in Gold „gedeckt“ ist: Der Hollandgulden ist zu 77,4 Prozent in Gold „gedeckt“, aber die Lebenshaltungskosten sind seit 1958 um 38 Prozent gestiegen. In den Vereinigten Staaten hat der Preisauftrieb nur 16 Prozent ausgemacht, obwohl der Dollar nur noch zu 33,1 Prozent in Gold „gedeckt“ ist. (Zur Beruhigung für Ängstliche: In Österreich ist der Banknotenumlauf zu 64,5 Prozent in Gold „gedeckt“; hätte das etwas zu besagen, müßte unser heutiger Schilling doppelt so „gut“ sein, wie seinerzeit unser „Alpendollar“.)

Vielleicht wird diese nächste Generation ihr Vertrauen statt in trügerische Golddukaten in den nüchternen Rechenstift setzen: Wer 1956, anstatt Goldmünzen zu kaufen, .1000 Schilling auf ein ganz normales Sparkonto gelegt hat, besitzt heute rund 1460 Schilling; damit haben die Zinsen zumindest den inneren Kaufkraftschwund ausgeglichen, denn heute braucht man fast 1400 Schilling, um dasselbe einzukaufen wie 1956 um 1000 Schilling. Wer dagegen 1956 statt Dukaten sechsprozentige Anleihen oder Pfandbriefe erworben hat, verfügt jetzt mit Zins und Zinseszins über rund 1890 Schilling ■— und das ist genau doppelt soviel wie der heutige Erlös für die damals gekauften Goldmünzen.

Das ist die nüchterne „Bilanz“ des letzten großen Goldrausches. Die Bilanz des jetzigen wird nach abermals elf Jahren genauso aussehen. Aber wird das den nächsten dummen Goldrausch verhindern?

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