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Bild der spanischen Frau

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Es müßte einmal die Geschichte der Fehlmeinungen geschrieben werden, die durch Schlager, Film und Operetten in den Völkern verbreitet werden, nicht zu vergessen die Kitschliteratur. Ganze Länder werden der Verlogenheit preisgegeben, geraten in ein schiefes Licht im Bewußtsein von aber Millionen Menschen, alles eine Folge billiger Simplifi-kationen im Interesse von Geschäftsleuten, die mit einer Skala immer gleicher Reize umzugehen wissen.

Wie empörend ist es doch für den Spanier, das Bild der Spanierin im Auslande zu dem eines leichtlebigen Weibchens, nicht weit von der Dirne aus Passion entfernt, verfälscht vorzufinden. Die Wirklichkeit ist anders, ganz anders.

Gewiß blüht der Eros in unserem Lande, jedoch wurzelt er in echter, im Grunde einfältiger Unschuld, im Gefüge gottgewollter Ordnung, gewiß verfügt das spanische Mädchen über lockende Schönheit, Grazie und lebensvolle Reize, die ihresgleichen suchen, aber all dies ist durchdrungen von Sitte, geheiligter Tradition, von Zucht und Maß. Wer mehr von dem Wesen der Spanierin erahnen will, das erst ganz aus Mutterschaft und Frauentum verstehbar wird, begleite eine jener unzähligen Prozessionen, lasse sich die aus dem unerschöpflichen Born der Volkspoesie ständig neu emporquellenden Liedchen, die „coblas“, übersetzen, die von den Männern gesungen werden, suche das verwirrende Treiben um das Standbild der Muttergottes, das mitgetragen wird, zu verstehen. In den Liedern kristallisieren sich die lebendigen Reste des uralten Mütterkultus der Mittelmeermenschen.

Verschieden wie die Landschaften der Halbinsel sind auch die Frauen. So verschlossen und herb die Asturierin an der wildtobenden Küste des Atlantiks ist, so beweglich, zu Fülle und Freigebigkeit neigend ist dagegen die aus bunterem Gemisch geborene Mittelmeerbewohnerin, in deren Blut Goten und Franken, Sueben, Karthager, Phönizier und Römer das keltisch-iberische Erbe aufgelockert haben. Früh entwickelt -'st die Andalusierin, oft schon mit fünfzehn Jahren und früher verheiratet und Mutter (bis vor wenigen Jahrzehnten gab es ein Gesetz, welches dem Mädchen die Ehe bereits als Zwölfjährige erlaubte). Klein und schmal von Gestalt, beherrscht, mit einem wohlausgewogenen Sinn für Harmonie und Farbe ausgestattet, ist die reinblütigste der Spanierinnen, die Kastilierin, deren einfachste Landmädchen an Scharm der Pariserin und Mailänderin zu vergleichen sind, über alle solche Verschiedenheiten aber dominiert die große Gemeinsamkeit: die Beschränkung auf das Mädchen-Muttertum, die innere Sammlung in den Kreis der Familie, in dem die spanische Frau einspruchslos herrscht.

Sollte man in einer ernstgemeinten Betrachtung eine Bemerkung unter schlagen, nur weil sie vom Eros spricht, eine Bemerkung über eine Erscheinung, die Raum genug einnimmt im Denken der Tausende von Fremden, die im wieder zunehmenden Strome alljährlich das Land besuchen? Gewiß nicht. Da sind viele, die von den oben ausgeführten Dingen nichts wissen, die, aus bösem Leichtsinn und von den verbreiteten Fehlmeinungen genarrt, leichte Abenteuer suchen. Sie fühlen sich geprellt und sind verstimmt, wenn spanische Mädchen nach Tagen eines bravourös erscheinenden, schier circenhaften Spiels von einem bestimmten Punkte an plötzlich kalt und ablehnend werden. Hier aber ist der Kern des Rätsels. Die Spanierin kennt nur ein Ziel: die Ehe. Keusch vor den Altar zu treten ist eingeborene, strenge Selbstverständlichkeit, an der zu rütteln niemandem einfällt. Der Fremde, der durch leiseste Anzeichen merken läßt, daß er gegen dies Gebot verstoßen möchte, ruft Erschrecken hervor, Entsetzen, hinter Starrheit verborgen, schleunige Flucht. Das junge Mädchen verlangt, geheiratet zu werden, mit einer Unbedingtheit, die überliefert ist, und der die Entwicklung des Volkes tausendfach recht gibt, wenn man schon von ethischen und religiösen Wahrheiten absehen wollte. In einem Dezennium hat das spanische Volk nicht nur die Lücken des Bürgerkriegs ausgefüllt, sondern darüber hinaus seine Zahl um sieben Millionen erhöht. Streng werden die alten Formen der

Schicklichkeit gewahrt. Der junge Mann betritt das Haus der Erkorenen erst, wenn- er bei ihren Eltern um ernstgemeinte „relaciones“ (Verbindungen) angesucht hat. Wenn auch in den Großstädten etwas laxere Sitten eingebrochen sind (die als „amerikanisch“ bezeichnet werden!), so sieht man doch nie ein junges Paar allein ins Kino oder Theater gehen, immer noch muß der Verliebte oder Verlobte für zwei Damen bezahlen, denn es ist unerläßlich, daß eine Tante oder Schwester oder sonst eine ältere weibliche Verwandte mitgeht. Zeichen höchsten Vertrauens bedeutet es, wenn der junge Verkäufer, Friseur oder Büroangestellte seine kleine Stenotypistin oder das Schneidermädel bis vor die elterliche Haustür begleiten darf, wenn sie gemeinsam von der Arbeit kommen. Die Eifersucht des Liebenden kann so weit gehen, daß er der Angebeteten verbietet, in der Straßenbahn zu fahren, damit sie nicht von einem anderen angesprochen werde. Kleine Zärtlichkeiten oder Liebkosungen in der Öffentlichkeit werden als höchst unschicklich mit Entrüstung zurückgewiesen.

Ist die Heirat erfolgt, so zieht der Mann seine Gattin nicht in die Sippe seiner Familie hinüber, sondern wird von der Sippe seiner Frau aufgenommen, was zahlreiche Verpflichtungen mit sich bringt. Der Mann heiratet — wessen sich Ausländer meist erst spät und mit Entsetzen bewußt werden — im übertragenen Sinne sämtliche unversorgten Schwestern der Gattin, ihre verwitweten Tanten und kranken Großmütter mit. Alles lebt lustig zusammen wie in einem Bienenhaus, eine späte Form des Matriarchats.

Die Durchschnittsspanierin, die nach der Ehe drängt, tut es im Rahmen der sich verändernden Gesellschaftsordnung heute nicht mehr um der Versorgung willen, weiß sie doch genau, was ihr bevorsteht. Sie tut es aus Instinkt und Sitte, ja aus Sittlichkeit, um der Mutterschaft, um der Familie willen. Sechs, acht, ja zehn Kinder sind nicht selten. Für deren Versorgung reicht das heutige Einkommen des Gatten bei weitem nicht aus. Die Frau muß mitarbeiten, in einem Maße, welches in Mitteleuropa ungewöhnlich wäre. Selten zwar arbeitet die Ehefrau außer Hause, dafür existieren aber die unglaublichsten Industriezweige durch die Heimarbeit. Hochachtung muß jeden erfüllen, der einen dieser einfachen Haushalte kennenlernt, wo die Mutter, umgeben von der großen Kinderschar, das Haus besorgt und den verschiedensten, nur zuwenig Geld bringenden Nebenarbeiten nachgeht, von frühmorgens bis tief in die Nacht hinein, wenn der Mann sdion längst schläft.

Um den Schulzwang für Kinder kümmert man sich kaum, sie gehen nur dann zur Schule, wenn der .Vater es sich leisten kann, sie als Arbeitskräfte dem Hause zu entziehen. Es gibt vom Laufmädel bis zum Kindermädchen so vielerlei Verdienstmöglichkeiten, daß die Kinder weniger als Last, denn als Segen empfunden werden. Dementsprechend ist die Bildung der Spanierin gering. Nicht zu wissen ist ihr Lebenszweck, sondern das Sein zu haben, naturhaft, instinktsicher. Und rein zu sein wie die Jungfrau Maria es war. Laotse sagt: „Gebären ist Hinabneigen zum Erzeugenden.“ Ein uneheliches Kind, fürchterliche Schande für die Familie, wird, wenige Tage alt, in der Drehtür eines Klosters hinterlegt. Kein Name, kein Datum, keine Ortsangabe verrät, wessen Kind es ist. Eine bekannte Auslegung des wohl klügsten lebenden Spaniers, Ortega y Gasset, nimmt das metaphysische Prinzip der Reinheit der Frau als Ausgangspunkt einer völlig neuen Don-Juan-Deutung, vie sie nur ein Spanier für diese spanischste und oft so frivol verstandene Figur finden konnte, und durch die er auch das Wesen der spanischen Frau in seiner“. Kern traf, wo es in der Nähe des Kreuzes steht.

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