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Bilder der Erlösung

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Zwei Mädchen, Celie und Nellie, spielen in einem Feld voll roter Mohnblumen. Sie lachen und klatschen in die Hände. Eine unausgesprochene Gewißheit verbindet die beiden: Ihre Freundschaft wird ewig währen. Und das warme Licht einer großen Sonne scheint ihr Bündnis zu segnen. Wie in allen seinen Arbeiten beschreibt der amerikanische Filmregisseur Steven Spielberg auch am Beginn von Die Farbe Lila eine Idylle.

Das Leben in einer kleinen Küstenstadt in Der weiße Hai, der Tanz der Verliebten in einer Pilotenkneipe in Always, das grenzenlose Staunen über die wiedererstandenen Dinosaurier in Jurassic Park: Spielbergs Grundton bei der Einführung seiner Hauptfiguren und der Schauplätze ist von einem Rhythmus der Ironie und der Leichtigkeit geprägt, der trotzdem große Genauigkeit in der Beobachtung des Alltags, seiner spezifischen Zeichencodes und Symbole zuläßt.

Doch die heiter-gelöste Atmosphäre, die der Regisseur auf solche Weise aufbaut, erweist sich nur allzu bald als trügerisch. Es sind Vorzeichen des nahenden Unheils, wenn eigentlich vertraute Gegenstände aus der Umgebung der Charaktere ihre Dekodier -bärkeit verlieren und geradezu dämonische Züge annehmen: Der Kasperl verschwindet von seinem Platz am Brett, ein Flugzeugmodell geht verloren, ein Fernlaster entpuppt sich als veritable Gefahr. Und Oskar Schindler beginnt zu ahnen, daß es so nicht geht: nichts von all dem wissen zu wollen, was um ihn herum vorgeht, und dabei ein aufrechter Mensch zu bleiben.

Schon bricht die Katastrophe mit einer Gewalt über die Figuren herein, die sie eine Zeitlang orientierungslos herumtaumeln läßt. Feuersbrünste wüten durch die Wälder, ein Gewittersturm verwandelt einen Baum in ein kinderverschlingendes Monster, in den schwarzen Tiefen des Meeres lauert ein heimtückisches Ungeheuer. Ein Neugeborenes wird seiner Mutter entrissen und in die eisige Kälte des Winters hinausgetragen, ein Junge im Menschengewühl von seinen Eltern getrennt.

Unter Aufbietung immer wieder verblüffender visueller Sensationen reißt Spielberg seinen Protagonisten den Boden unter den Füßen weg und stößt sie in einen Kampf mit den Elementen: in den archaischen Konflikt zwischen Gut und Böse. Dies geschieht stets in einer Bildsprache von höchster emotionaler Dramatik, die Spielberg mitunter, etwa bei der Bäumung des jüdischen Ghettos in Schindlers Liste, zu surrealer Bitterkeit gerät.

„Warum?" weint Nellie, als Celies brutaler Ehemann sie von der Freundin trennt und von der Farm verjagt. Seine Antwort ist die zum Schlag erhobene Faust. Die Gewalttätigkeit der Menschen und Umstände stellt Spielbergs Charaktere an einen Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: den kleinen Außerirdischen sterben zu lassen oder seine Entführung zu riskieren; die Gefahr, die von dem Riesenhai ausgeht, scheuklappenartig zu ignorieren oder das eigene Unbehagen vor dem Wasser zu bezwingen; die Augen vor grenzenlosem Unrecht zu verschließen oder eine Liste zu verfassen, die über tausend Menschen das Leben retten könnte; schlichtweg aufzugeben oder den Kampf gegen seine größten Ängste zu wagen.

Es ist dies ein Kampf, der die Figuren zu anderen Menschen macht. In Das Reich der Sonne wird der Junge Jim durch den Krieg aus seiner Kindheit gerissen; von den Eltern getrennt, muß er lernen, auf sich allein gestellt zu überleben. Dabei verliert er auf gewaltsame, auf überstürzte Weise seine Unschuld: „Ich habe heute ein neues Wort gelernt: Atombombe. Es war ein weißes Licht am Himmel, als ob Gott ein Foto machte."

Als die US-Bomber im Angriff über das japanische Gefangenenlager brausen, in dem auch Jim inhaftiert ist, jubelt der Junge ihrien zu. Er steigert sich in eine fast hysterische Euphorie und bricht dann jäh zusammen: „Ich weiß nicht mehr, wie meine Mutter aussieht!" Später unternimmt er Wiederbelebungsversuche an einem Kameraden; er schreit: „Ich kann jeden zum Leben erwecken!" -und sieht das Kind in der roten Schuluniform vor sich, das er selbst einmal war.

Steven Spielbergs Filme sind nichts weniger als sehr konkrete Versuchsanordnungen über die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen und über die innere Stärke, die sie bei der Überwindung dieser Abhängigkeit gewinnen. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ihrer Träume sind diese Figuren gezwungen, sich ihre wahren Gefühle einzugestehen. Sie gehen den schmerzlichen Weg vom fremd- zum selbstbestimmten Wesen, von der Marionette zum eigentlichen Individuum. Die Kämpfe, die sie dabei zu bestehen haben, stellen die Möglichkeit einer Reinigung dar, einer Katharsis, die den Weg zu echter Reife weist. Und am Ziel angelangt, sind sie nicht mehr auf der Flucht vor sich selbst, sind sie zur wahren Solidarität mit anderen Menschen fähig.

In diesem Sinne hat Steven Spielberg einige der schönsten Erlösungsphantasien der Filmgeschichte gedreht: berührende Augenblicke der Menschlichkeit, wundersam-mystische Visionen von Licht und Wärme, vom Fliegen als dem Sich-Erheben-Können über menschliche Unzulänglichkeiten, von tiefer Freundschaft und Liebe. Das Sich-Fallenlassen in die reine Liebe, ins Licht, dieses Eins-Sein mit der Schöpfung zelebriert Spielberg in der ihm so eigenen Weise. Und am Ende seiner Filme ist aus dem gewaltigen Kampf der Elemente ein neues, ein überirdisches Element hervorgegangen.

Die Außerirdischen in Unheimliche Regegnung der dritten Art treten aus dem gleißenden Licht ihres Raumschiffes, und K. T. fährt in einem weißen Feuerstoß zu den Sternen auf. Der erwachsene Peter Pan erinnert sich daran, welch „wunderbarer Gedanke" es ist, Vater zu sein, er nimmt seine Kinder an der Hand und fliegt mit ihnen in den strahlend blauen Himmel (Hook). Und Oskar Schindler erhält vom Juden Stern die Absolution: „Wer das Leben eines Menschen rettet, der rettet die ganze Welt!"

Wenn am Schluß von Die Farbe Lila Celie und Nellie als alte Frauen wieder zusammentreffen, wenn sie wie in ihrer Jugend einander in einem Feld gegenüberstehen und in die Hände klatschen, dann sind sie wieder jung, und all die Demütigungen und das Leid in den Jahren zuvor haben ihre Selbstachtung nicht gebrochen. Und über all dieser Weltverzauberung thront der riesige rote Son -nenball wie ein Auge Gottes, der seine Schöpfung betrachtet und sie gutheißt.

Der Autor ist

Lehrer und Autor von Kinderbüchern, die unter dem Pseudonym Peter Horn erscheinen

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