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Billinger und Beatrice

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Zu Richard B i 11 i n'g e r s siebzigstem Geburtstag inszenierte Heinz Hilpert in der Josefstadt das Schauspiel „Der Gigant“ dessen Thematik weit bekannt wurde durch seine Verfilmung in „Die goldene Stadt“. Es ist schon etwas Merkwürdiges um dieses Stück, wie um seine Zeit, die dreißiger Jahre:, wieviel Falsches, Unechtes lag damals in der Luft und im Mund, so hier in der Sprache, dieser „Bauern“, die Billinger sich erfand. Manche Samen, im Guten und Bösen, sind da sichtbar; Kitsch eines Blut-und-Boden-Mythos, falsche Magie, bösartiges Ressentiment gegen die „große Stadt“, und doch auch ein anderes: eine echte Kraft, eine wirkliche. Dramatik, und lebensvolle Figuren, Menschen aus. Fleisch und Blut; und ein handfestes Drama. Er-; innern wir kurz den Inhalt: ein reicher und reifer Großbauer in der Hanna„ im reichen mährischen Land, hat eine Tochter Anuschka und eine Magd Marusdhka. Die Tochter soll bald heiraten und den Hof übernehmen, er, der Gigant, soll ins Ausgedinge' gehen. Die Tochter geht in die Stadt, verdirbt dort, kehrt zurück, um ins Moor, zum Wassermann, zu gehen. Der starke Alte aber reißt triumphierend die ihm leidenschaftlich zugetane Magd an sich: als seine Frau wird sie mit ihm den Hof regieren, nach dem Untergang der Jungen. Die Jungen kommen fast alle schlecht weg: da ist der böse Cousin, der Anuschka in Prag zugrunde richtet, da sind es zwei ebenso rührende wie unbeholfene junge Paare, die Anuschka helfen wollen und vorübergehen. — Gespielt wird bis in die kleinsten Rollen ganz prächtig. Georg Bucher ist der klobige Überbauer, dem man seine Kraft glaubt, Sigrid Marquardt ist eine vitale und überlegene Magd-Herrin Maruschka. Maria Emo gibt viel echter als Kristine Söderbaum seinerzeit im Film das Mädchen Anuschka, stark, unmittelbar in seiner Hoffnung, seiner Liebe, im Zerbrechen. Die Prager Szenerie ist ganz köstlich besetzt: Walter Kohut als charmant-gefährlicher Prager Filou, seine Mutter Elisabeth Markus als Trafikantin und blind-törichte Liebhaberin ihres Freundes und Sohnes; Susi Nico-letti gibt eine bis ins Letzte durchformte Studie einer Frau des Geschäfts und der Gier, die weiß, was sie will. Sehr reizvoll, farbig und lebensnah in „kleinen“ Rollen: Vilma Degischer, Leopold Rudolf, Gretl Elb, Kurt Jaggberg und Luzi Neudecker. Das Publikum begrüßte mit viel Beifall Heinz Hilpert, den „Heimkehrer“ aus Göttingen, und den Dichter.

Im Kleinen Theater der Josef Stadt im Konzerthaus erlebt der Erstling einer jungen Wiener Schauspielerin, Beatrice Ferolli, seine Uraufführung: „Alphabet in der Ewigkeit.“ Ein sehr frauliches Lustspiel: behutsam auf

Mannes, der aber als erziehungsrämg ersehen wird. Da es auf Erden daran oft noch fehlt, fühlt diese heitere Beatrice, vielleicht eingedenk ihrer großen Namenspatronin bei Dante, „ihre“ fünf Männer in ihrem Stück in einer besseren Welt einer Läuterung zu: zwei Landsknechte aus dem Dreißigjährigen Krieg, Caesar, einen Wiener Schauspieler und einen Pariser Dichter. Regie führt „der Chef“, der liebe Gott, Regieassistentin ist Eva, in drei Rollen. Elfriede Irrall gestaltet anziehend und klug, eine kluge Wienerin, das Ewig-Weibliche in drei Frauenrollen, die Männer werden von Paul Verhoeven als Caesar und Regisseur angeführt, wobei Günther Tabor, Carl Bosse, Otto Schenk und Hans Messner mit Humor und Mut zur Selbstentlarvung des Mannes assistieren. Viel Beifall. Friedrich Heer

An den Nebenschauplätzen der Festwochen gab es so manche Überraschung: Die eine betraf (in den Kammerspielen) Ödön von Horväths „Hin und her“, die weinselig-ernste Satire über die Intoleranz und Subalternität der Menschen mitsamt ihrer sehr begrenzten Menschlichkeit und unbegrenzten Gemütsroheit und Staatshoheitsgesetze — dies liebenswerte Stück, halb märchenhafte Ballade, halb volksstückhafte Parodie aus den dreißiger Jahren mit Anklängen an Nestroy und Brecht, der 1946 anläßlich der Wiener Erstaufführung soviel Erfolg beschieden war, kam diesmal nicht mehr so recht an. Zu einem Teil trug die uneinheitliche, stilbrüchige und streckenweise zerdehnte Inszenierung Franz Reicherts Schuld, zum anderen Hans Längs , süßliche, undistanziert sentimentale Musikkulisse — zum Großteil aber auch das Publikum selbst: es verstand Horväths Doppelbödigikeit nicht mehr und verhielt sich desinteressiert an dem Schicksal jenes legendären Drogisten Havlicek, jener staatenlosen Kreatur im Niemandsland der bürgerlichen Existenz, die da zwischen zwei Kontrollorganen auf einer Brücke über einen Grenzfluß ihrer Hilflosigkeit preisgegeben wird. Die ganze, eher aggressiv demonstrierte Fragwürdigkeit des feuchtfröhlichen Schauplatzes, der Konflikt zwischen der sentimentalen kleinbürgerlichen Idylle und dem Machtanspruch der amtshandelnden Begrenztheit — das alles blieb ungestaltet, unbewältigt, mißverstanden. Trotz Ernst Waldbrunns bewährtem Menschenantlitz, trotz Hugo Lindingers berserkerhafter Inkompetenz der Menschenwürde und trotz so mancher liebenswürdiger Gestaltung am Rande: von Alfred Böhm und Heidelinde Weiß bis zu Bibiana Zeller und Guido Wieland.

Die überaus erfreuliche positive Überraschung vollzog sich im Theater der Courage, woselbst man ein Zeitstück uraufführte: „Das Leben meines Bruders“ der Österreicherin Lida W i n i e w i c z. Dramaturgisch hat dies Erstlingswerk so manche schwache Stelle aufzuweisen; der Zufall spielt eine zu große Rolle und die Zuspitzung des Konflikts bedarf allzu deutlich eines Kniffs — aber immerhin: das Problem kommt unvermittelt und stark im Dialog, präzise, zügig, durchdacht und klarsichtig in der Trennung der Standpunkte (und in der Formulierung der nicht eben großen Chancen der besseren Gesinnung) zu uns herunter: der Rassenwahn, die Segregation in den Südstaaten der USA, die Unver-söhnlichkeit zwischen Weiß und Schwarz. Das Vorurteil und die Verachtung, nicht minder aber auch das Argument des Existenzkampfes — und daneben die Überheblichkeit der mildtätigen Toleranz auf der einen Seite — und die zwischen Unterwürfigkeit und dem Stolz und Rechtsanspruch schwankenden Gedemütigten auf der anderen. Hans Joachim Schmiedl, Georg Lhotzky, das schwarze Schauspielerphänomen Charles E. Johnson. Henriette Hieß und Rudolf Röß-ner .tragen zu dem Erfolg des Stückes entschieden bei.

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