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BITTE IN DEN MUSIKSALON

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Vorbei sind die Zeiten der schwellenden Diwane, auf denen juwelenschimmernde Primadonnen und Matronen hingegossen dem munteren pianistischen Treiben renommierter Virtuosen lauschten, vorbei die Zeiten der monströsen, mit Säulen, Troddeln und Schnitzwerk bewehrten Flüschfau- teuils, in denen die Creme de la Creme sich dem lyrischen Wortgeklingel exzentrischer Sprachmagier voll Verzücken hingab; die Epoche der kunstvoll stilisierten bis banalisierten Salonplauderei ist längst versunken. Es war einmal…

Den musikalischen, literarischen, politischen oder aus allen Richtungen gemischten Salon kennt man fast nur noch aus der Kulturgeschichte. Er ist Legende geworden. Restbestände dieser attraktiven Spezies haben sich am ehesten noch in der Form erhalten, von der Oscar Wilde sagt, daß sie als Salon geplant war, indes sehr rasch zu einem Restaurant mittlerer Kategorie entartet sei.

Nun, gerade in Wien, das auf dem Sektor des „artistischen” Salons seine Meriten hat und einst gewiß höchst Apartes bot, erinnerte man sich erst jüngst dieser Form des Sich- treffens in kunstgeschwängerter Umgebung. Indes, der Salon von 1900 ist für die heutige, eminent sensationslüsterne, raschlebige, mobil gewordene Gesellschaft, die allerdings genauso auch in manierierten Bluff verliebt ist, wie es die von 1900 war, längst nicht mehr attraktiv. Er wurde sozusagen restauriert, nein, besser: entrümpelt, zeitgemäß gestaltet. Die klinisch saubere, von geraden Linien, glatten Flächen, blankgescheuertem Weiß bestimmte Atmosphäre des Wiener Museums des 20. Jahrhunderts stellte gerade den richtigen Rahmen bereit. Ein paar Relikte aus dem Salon von Anno dazumal, ein Brokatfauteuil, in dem der Herold seines Abends, der applausumspülte „Star” mit der Nelke im Knopfloch ruhte, eine Stehlampe, üppigster „Seconde Empire”, alles Souvenirs, die in dieser fremden Unwelt ihre bombastischen Reize um so drastischer entfalten, lenkten den Zuschauer gleich aufs richtige Gleis: Allons, spielen wir Salon 1968!

Wer hatte die Idee? Ein junger Wiener, Jahrgang 1935, Pianist, Komponist. Sein Steckbrief: Für Freunde hört er auf „Otti”. Sonst auf „Otto” plus „M”. Er trägt Vollbart, plaudert gern, spontan, amüsant. Durchaus ernsthafte künstlerische Ideen, Pläne, skurrile Scherze sprudelt er in Kaskaden und Arabesken hervor. Otto M. Zykan, Darmstädter Klavierpreisträger von 1958, und auch sonst mehrfach preisbeladen, der Vater der von der Jeunesse Musicale veranstalteten „Salonkonzerte”, ist längst in Wien entdeckt, im Wiener Gesellschaftsleben sozusagen ein Faktor, mit dem man rechnen kann. Das haben nicht zuletzt seine Erfolge im Ausland bewirkt. Seit der spektakulären Premiere seiner Oper oder Ode oder Opernode „Singers Nähmaschine ist die beste” — jeder Versuch, eine Gattungsbezeichnung für dieses Werk zu finden, ist in diesem Fall von vornherein zum Scheitern verurteilt — ebenso nach der Uraufführung seines Klavierkonzerts und der „Chansons, die keine sind” hat er fast ausschließlich Lorbeeren eingesammelt. „In ganz Europa hab’ ich Bombenkritiken gekriegt. Und aus mehreren deutschen Städten wurde ich angerufen, die Singer-Oper für ein Gastspiel herzuleihen”, kommentiert er munter. Aber Zykan arbeitet inzwischen längst an einer Neufassung, in der seine musikalisch-choreographischen Ideen deutlicher, präziser werden sollen.

Zykan ist ein Unentwegter, einer, der, obwohl er Plüsch- fauteuils liebt, in ihnen nicht ruht. So ist er vor kurzem von einer ausgedehnten Tournee heimgekehrt. Von einer Showtour, die ihn, den Pianisten und Arrangeur, die Chansonniere Eva Pilz und die Singer-Singers, ein mondänes „Commedia dell’ arte”-Quartett aus den Gründungstagen der Singer-Oper, nach Paris, Rouen, Köln, Salzburg, Linz, Kla- genfurt geführt haben. Berlin, München, London stehen schon ante portas. Außerdem studiert er eisern, mit heißem Bemühen, seinen Schönberg und Berg, täglich ein paar Stunden, und zwar für die geplante Orienttournee und für eine Galasoiree im Rahmen der Innsbrucker Jugendkulturwoche 1968.

Mit seinem Salonkonzert im Museum des 20. Jahrhunderts ist Zykan, trotz mehrerer anderer ähnlicher Veranstaltungen — wie er selbst versichert — zum erstenmal genau das gelungen, was er sich immer vorstellte: echte Salonatmosphäre zu schaffen, artistische Leistungen zu präsentieren …

Die Devise „Peripatetik gegen Plüschsessel-Lethargie” in lebendige Szene umzusetzen …

Wer nun alle Schulweisheit zusammenkramt, Aristoteles, die Säulenhalle des Lykeions assoziiert, sich des Grundgedankens erinnert: umherwandernd im Gespräch mit anderen lernen, geht gar nicht fehl. Was Zykan sich vorstellte — und wie er es ausgeführt hat — ist folgendes: „Für ein paar Ehrengäste werden pompöse Fauteuils aufgestellt. Das übrige Publikum schart sich stehend um die Künstler, die sich produzieren, mit ihren neuesten Werken aufwarten. Man muß umhergehen, das Ereignis auskosten. Cocktails werden serviert. Die Gesellschaft rotiert um die musikalische Szene, muß mittun, plaudert, kann Gemälde und Plastiken betrachten, amüsiert sich.” Vor TV-Kameras und Mikrophonen des Rundfunks zerplatzen denn auch wirklich nacheinander Show- Seifenblasen. Schillernde, geschickt fabrizierte Minipiėcen. Kaskaden literarisch-musikalischer Gags, die Zykans alte Lieblingsidee von der Verselbständigung von Musik und Bewegung in x-facher Version demonstrieren.

Oder wie der Komponist dies, ein wenig pseudowissenschaftlich gefärbt, erläutert: „Ich versuche Stücke auszuwählen, deren Ursprünglichkeit einerseits geeignet sein soll, ihre Katalogisierung unmöglich zu machen, und deren Methodik anderseits bei der Mehrzahl der Stücke annehmen läßt, daß sie sich nicht zum Stil erhärten werden. Da ich gleichzeitig bemüht bin, höchste Ansprüche, was die Qualität der Stücke anbelangt, zu stellen, hoffe ich, den Maximen der Salonkonzerte zu entsprechen. Meine Salonkonzerte wollen nicht informieren, sondern legitimieren. Es erübrigt sich somit, daß die Stücke nach ganz subjektiven Gesichtspunkten ausgewählt sind, für die ich die volle Verantwortung tragen will.”

Zykan kann sie, id) meine die Verantwortung, getrost und leicht tragen. Um so mehr, als er hier in lockerer, anmutiger Weise einem zeitgemäßen Anspruch in der Entwicklung der Neuen Musik wie des Musiktheaters folgt. Daß er diese Idee von der Kontrapunktik von musikalischer und choreographischer Bewegung und Entwicklung, ebenso die Collage- und Montagetechnik in die Bereiche sinnbefreiten Spielens über- oder zurückführt und das Publikum — wenn auch nur in sehr geringem Maße — aber doch eben mitspielen läßt, ist konsequent. Gerade das Salonkonzert bietet da vielfältige Möglichkeiten; noch dazu, ohne daß der Hörer und Zuschauer vor allzu große Probleme des Wie-Eingrei- fens in die Stückabfolge gestellt, sozusagen kybernetisch strapaziert wird.

Das beste Beispiel zur Illustration seiner Ideen bietet wohl Zykans technisch eminent schwierige „Inszene 2”, ein minuziös abschnurrendes Stück, in dem metronomisch genaue Bewegungen zu wie von Automaten regulierten Wortkombinationen in Beziehung gesetzt werden. Die kompositorische Idee wird so optisch und akustisch sinnfällig gemacht: Die Abschnittsbezeichnungen „Vorsatz”, „Satz”, „Umsatz”, „Nachsatz” erfahren ihre Deutung gewissermaßen auf verschiedenen Ebenen, ihr Strukturmaterial wird stets in zweierlei Weisen durchleuchtet. Durchaus art- und sinnverwandt auch Alfred Pescheks Stück „Zy…”, in dem Fragmente, Modelle, Strukturen der im letzten Salonkonzert aufgeführten Werke zu einer Collage vereinigt wurden.

So uneinheitlich, durchaus nicht geistes- und wahlverwandt, sich auch die neben- und nacheinander präsentierten Kompositionen erweisen, sie fügen sich doch — ähnlich wie in den Vorstellungen im Dada-Club „Cabaret Voltaire” — zu einer Einheit; sie verwachsen zu einer Show, in der aktuelle Ideen und kompositorische Techniken mit kabarettistischen Effekten, mit Gags des „Brettls”, komödiantischen Spielereien gemixt werden. Symptomatisch für diesen Konzerttypus, dessen Wurzeln im Salonkonzert des 19. Jahrhunderts und in den „spectacles provocations” Tristan Tzaras gleichermaßen wohlverteilt sind, ist das reichlich benützte und zitierte sogenannte Chanson. (Gleichgültig ob es auf Texte moderner Lyriker fabriziert ist oder nur, pro forma, den Gattungsnamen trägt.)

Für das Chanson hat nun Zykan viel Ambition und zugleich eine hinreißende Interpretin: Eva Pilz. Wie es für eilte derartige Soiree nottut, ein charmantes, quicklebendiges Persönchen Mit spitzer, dünner Stimme kreiert sie da Schwert- siks „Blattläuse, Schnecken, Ohrenkreiser”, rasant exerziert sie Peter Greenhams Zungenbrecher-Lautgedicht „Piffpatf- poing, Joe” vor, mit lyrischem Sentiment schmachtet sie über dem Spektrum eines Regenbogens, den Zykan kreiert hat. Zwischen den Songs hört man Klaviermusik, an denen zumindest die Titel einen Hauch von Manierismus atmen.

…und wie im Salon von 1900 ist das Publikum mit viel künstlerischer und sonstiger Prominenz gewürzt: Wie man einander mit Programmheft und Cocktailglas in Händejn formvollendet zu begrüßen hat, verzeichnet Zykan zwar nicht in seinen Partituren. Dennoch zählt dieses Agieren der Gäste zu den wichtigsten Aktivitäten eines Salonkonzerts. Vorgestern wie heute.

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