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Blauweißroter Kommunismus

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Man nannte ihn viele Jahre seines Wirkens den „Freund des Volkes”, denn sein eigentlicher Erfolg — und der Erfolg der Kommunistischen Partei Frankreichs — war, durch sein volkstümliches Wesen und seine Fähigkeit, die Massen mit Charme und Überzeugungskraft anzusprechen und ihnen, soweit sie zur Partei stießen, von der menschlichen Seite voller Verständnis für ihre Nöte und Alltagsprobleme zu dienen.

Maurice Thorez war die Inkarnation des revoltierenden kleinen Bürgers gegen die materiellen Ungleichheiten, sozialen Ungerechtigkeiten und Behinderungen dieser Welt — und seine imposante Statur gab ihm rein optisch Ansehen und Autorität. Erst in zweiter Linie war er für die Mehrheit seiner Anhänger Politiker und Prophet eines diesseitigen Paradieses, das in einer fernen slawischen Welt seine Existenz manifestierte und sich anmaßte, ausschließliches gültiges Vorbild allen menschlichen Strebens zu sein.

Ein Mann wird Idol

Er wird als Volksfreund einer Epoche, die noch der Kämpfer um ein besseres Diesseits bedurfte, in die Geschichte seines Landes ein- gehen — als politische Erscheinung im Auf und Ab des turbulenten Geschehens der Dritten und Vierten Republik wird er bald in Vergessenheit geraten: Der kommunistischen Ideologie fehlt heute der für den Aufruhr geeignete Boden, die psychologischen Voraussetzungen für die kritiklose Hinwendung der unzufriedenen Massen zu einem von den dialektischen Propagandisten so glanzvoll geschilderten Trugbild. Sie wollen nicht mehr für die Zukunft kämpfen, sondern die Gegenwart lebenswert gestalten. Das hat Maurice Thorez schon seit Jahren begriffen, als er sich — seinem Instinkt folgend — vom aktiven politischen Leben fast unbemerkt zurückzog und sich mit der Rolle des Idols begnügte. Natürlich bedeutete seine kürzliche Wahl zum Präsidenten der Partei, bei gleichzeitigem Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs, keinen Verzicht auf die personelle Macht — er blieb bis zum let2tėn Tag oberster Schiedsrichter in der Parteiführung. Aber die 500.000 Franzosen, die seinem Sarg zum Friedhof Pėrė Lachaise folgten, opferten vor allem einer Erinnerung. Es war keine Manifestation für die Partei und ihr Gedankengut. Die Trauernden waren Zeugen einer zu Ende gehenden Epoche.

Gewiß, die Kommunisten stellen noch immer die größte Partei Frankreichs dar, die ein Viertel aller Wähler vereinigt. Aber es ist eine latente, keine militante Opposition. Seit der Umbruchsperiode nach dem Zweiten Weltkrieg, als Thorez 1947 als Staatsminister und stellvertretender Ministerpräsident in den Regierungen de Gaulle, Fėlix Gouin, Georges Bidault und Paul Ramadier in Erscheinung trat und sich seine Partei sogar mit einem Verteidigungsministerium an der Regierungsmehrheit beteiligte, ist sie viele Jahre von der Macht ausgeschaltet geblieben. Ihre zahlenmäßige Größe nutzt ihr nicht, und alle ihre Bemühungen um eine sozialistische Einheitsfront sind — ungeachtet einer wohlwollenden Haltung des sozialistischen Parteiführers Guy Mollet — bisher gescheitert. Die gaullistische und bürgerliche Presse, auch Blätter der Linken, stellt heute gewiß nicht zu Unrecht fest: „Die Franzosen haben keine Angst mehr vor den Kommunisten.” Nach einer Meinungs- befragüng halten 38 Prozent die Rolle dėr Kommunistischen1 1 Partei” seit der Befreiung fiiF ttü&lich, 27 Prozent für schädlich und 34 Prozent verhalten sich gleichgültig. Welchen Wert kann aber eine revolutionäre Partei haben, die dem um seine Ersparnisse bangenden Bürger keinen Schrecken mehr einzujagen vermag?

Abschied von den Barrikaden

Freilich, man kann in Paris Dutzende kommunistischer Publikationen im Straßenhandel kaufen, aber ihre pseudointellektuelle Dialektik erfaßt nur eine verschwindende Minderheit. Die aus Tradition und Gewohnheit kommunistisch wählende Masse steht den von Moskau inspirierten und vermutlich auch bezahlten Zeitschriften fern. Die kommunistischen Studenten haben in diesem Winter offen gegen die Parteizentrale opponiert: Die alten Dogmen erscheinen ihnen in der Gegenwart überholt. Und soweit man überhaupt von einem Erneuerungsprozeß sprechen kann, so tendiert er — dem allgemeinen Trend in fast allen kommunistischen Ländern folgend — zu einer fortschreitenden Liberalisierung und Anpassung an eine Umwelt, die keinerlei Neigung zeigt, ihr Heil im Straßenkampf zu suchen.

Langsam entwickeln sich die französischen Kommunisten dazu, eine „Partei wie alle anderen” zu werden. Und am Ende dieses gewiß nicht kurzen Weges dürfte eines Tages doch das Bündnis mit den Sozialisten stehen. Thorez hatte aber viele Jahre vor dieser Liberalisierung gewarnt und sich gegen Konzessionen an die Sozialisten gewandt. Schon vor dem Krieg stellte er fest, daß die „demokratischen Illusionen” die größte Gefahr für die Arbeiterklasse seien. Und später erklärte er wörtlich: „Wir wollen uns nicht mit den Sozialdemokraten verbinden. Man kann nicht Wasser und Feuer miteinander verheiraten.” Das paßt heute nicht mehr in die Landschaft, ebensowenig wie die bedingungslose Gefolgschaft gegenüber dem Machtfaktor Moskau, die der verstorbene französische Kommunistenführer jahrzehntelang symbolisierte: Er war Stalin und Chruschtschow gefolgt; er hat, 1939, gegen seine empörten Landsleute den Stalin-Hitler-Pakt verteidigt, was ihm mit zerschlagenen Fensterscheiben in der Parteizentrale und einem Dekret quittiert wurde, durch das die Kommunistische Partei aufgelöst wurde.

Er hat nach dem Krieg die antiamerikanischen Angriffe des Kremls unterstützt und Sich 1950 — als die Sowjets noch nicht im Besitz des atomaren Geheimnisses waren — im Aufruf von Stockholm für das be dingungslose Verbot nuklearer Waffen eingesetzt. Keine noch so geschickte Dialektik wird den Zickzackkurs, den diese Gefolgstreue mit sich brachte, aus der Welt schaffen und entschuldigen können — am wenigsten in den Augen der kritischen Franzosen, die einer empirischen Politik nur so lange ihre Unterstützung zu geben bereit sind, als sie ihnen greifbare Vorteile verschafft.

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