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Blick ans andere Ufer

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Es hat mit zum Bittersten des letzten Jahrzehnts gehört, daß uns die Splendid isolation der Politik auch vom lebenden Strom der Kunst und Kultur der Völker absperrte. Wie auf anderen Gebieten, müssen wir uns jetzt auch im Film erst mühsam die Kenntnis vom Stande der Produktion der europäischen Nationen erschließen, um mit offenen Augen zu sehen und zu verstehen, zu genießen — und zu lernen.

Es ist ein dankbar zu begrüßendes Vorhaben der „Gesellschaft der Filmfreunde” in Wien, uns bei diesen Bemühungen vorläufig wenigstens durch Sonderaufführungen zu unterstützen, die einen Weg durch das Gestrüpp unübersehbarer Import- und Devisenklauseln finden. Diesem Ziele dienten auch eine italienische und eine polnische Darbietung der letzten Tage, die begreiflicherweise auch im breiteren Publikum außerordentliches Interesse fanden.

Der italienische Film „Vivere in Pace” ist, nach „Sciuscia” und „Cittä aperta”, der dritte in einer Reihe von Zeitfilmen, deren Gesinnung und künstlerischer Rang in der ganzen Welt Aufsehen erregt hat. Er ist der Beste der drei, der innerlich reifste und künstlerisch geschlossenste. Über seinen Begebnissen, die auf einem Bauernhof der Campagna spielen und in der brüderlichen Begegnung eines deutschen Gefreiten mit zwei abgeschossenen Amerikanern gipfeln, steht das schlichte Wort „In Frieden leben”. Ist es nicht mehr als Zufall, daß sich dieses „vivere in pace” von seiner altrömischen Form bis in die Sprache unserer Zeit auf den Buchstaben getreu unverändert bewahrt hat? Es mutet wie eine allgemein-menschliche Urformei an, so wie es auf der ganzen Erde gleichermaßen verständlich ist und immer bleiben wird, wenn die Menschen beten, oder „Brot” sagen- oder „Liebe”.

Nicht den gleichen umfassenden Blick aufs andere Ufer vermittelte eine unter dem Titel „W arschauer Suite” zusammengefaßte Schau von sechs neueren polnischen Kulturfilmen. Die Unvollständigkeit des Eindrucks mag zum Teil daher rühren, daß das Pathos eines Kulturfilms niemals einen so tiefen Einblick in das Wesen und die künstlerische Spannweite eines Volkes vermitteln kann, wie die realistischen Töne — und Zwischentöne! — des Spielfilms; außerdem war die Zusammenstellung der thematisch und stilistisch sehr unterschiedliehen Filme nicht sehr glücklich. Großartig das lyrische Dramolet „Harmonika” und die Reportage „Inondation”, guter Durchschnitt „Warschauer Suite”, „Zu König Krakus Zeiten”, unter dem Durchschnitt „Chopin- Konzert in Duszniki” und „Die Brücke”. Eigentümlich war allen sechs Filmen ein besonders sorgfältige, ehrgeizige Photographie, an der besonders die nebeligen Hintergründe und Bildränder und eine richtige Bravour der sphärischen Kameraschwenkung (die Kamera fährt sozusagen auf dem Halbrund einer Zylinderbasis entlang) auffielen.

In den letzten Tagen mußten die Freunde der Kunst den Tod zweier markanter französischer Filmpersönlichkeiten beklagen: Louis Lumieres, des „technischen Ahnherrn” der Kinematographie, und Jacques Feyders, eines Regisseurs von hohem Format und spröder Eigenart. Dem Andenken des letzteren galt eine Wiederaufführung des über zehn Jahre alten Films „L a Kermesse heroique” (Titel der deutschen Sprach- und Darstellerfassung mit Paul Hartmann: „Die klugen Frauen”), einer Geschichte von aristophanischem Witz aus dem flandrischen Ort Boom, wo die Frauen auf ihre Art mit einer fremden Besatzungsmacht — pardon: Quartiertruppe — fertig werden. Geblieben ist manches Gewagte des Sujets und Stiles, unverwelkt frisch aber auch die zauberhafte Gemäldeoptik des Films und die entwaffnende Ironie seines nunmehr toten Schöpfers.

Einer amerikanischen Geschichte. „Manila”, von zwei Brüdern, die sich buchstäblich um ein blondes Girl balgen, darf die Absicht zugutegehalten werden, in vergangenen Tagen (der japanfeindliche Film wurde bald nach dem Überfall auf Pearl Harbour gedreht) Patriotismus um jeden Preis zu erzeugen. Doch müßte es auch in solchem Genre Grenzen des Geschmacks geben. Die Hauptrolle des Kriegsberichterstatters aber zum Beispiel ist auf eine Apotheose der Lümmelei angelegt, di , meine ich, auch robusten Naturen keine Freude machen dürft . Die bedenkenlose Art, wie Clark Gable diese Rolle über alle erlaubten Grenzen hinausspielt, sieht ganz nach der verkrampften Geste einer um ihren sinkenden Weltruhm besorgten männlichen Primadonna aus.soll vor allem in den Farben und der Transparenz der Atmosphäre liegen. Es dürfte als Schmuck für ein Möbelstück, vielleicht für eine Brauttruhe, zwischen 1502 und 1504 geschaffen worden sein, als Raffael noch unter dem unmittelbaren Einfluß Peruginos stand.

Ober Beschluß der Regierung der Ukraine wird in Kiew ein staatliches Literatur- und Malereimuseum des großen ukrainischen Dichters und Malers T. G. Schewttchenko geschaffen. Das Museum wird in einem der besten Gebäude im Zentrum Kiews, auf dem Schewtschenko-Boulevard, untergebracht, gegenüber dem Park, in dem das Denkmal des Dichters steht. In den 22 Sälen des Museums wird sein ganzes schöpferisches Erbe gesammelt — bei 800 seiner Gemälde und Zeichnungen, Handschriften und Unikalausgaben von Gedichten usw. Hier werden auch zahlreiche Arbeiten von Meistern russischer Kunst — Brüllow, Kramskij, Repin und anderen — zu Themen literarischer Werke Schewtsdienkos vertreten sein.

Im vorigen Jahre wurde ein Ruinenfund gemeldet, der den Archäologen Helmuth Th. Bossert und Bahadir Alkin in den Ausläufern des Taurus, beim Durchbruch des Dschihan durch das Gebirge, gelungen ist. Zu diesem Fund äußerte sich kürzlich Professor John Garstang, der Erforscher der Frühgeschichte Kleinasiens und gegenwärtige Leiter des in Ankara neugegründeten Britischen Instituts für Archäologie. Seit alters sprachen Ge. rüchte in jener Gegend von im Wald verborgenen Ruinen; die Entdeckung der Fundstelle glückte einem Dorfschullehrer, der sich als Liebhaber mit der Erforschung des Gebietes beschäftigt. Was bisher an dem Ort, der Kara Tepe genannt wird, ans Licht gekommen ist, rühr an Probleme von außerordentlicher Tragweite. Es scheint sich um die Reste eines vielleicht nie vollendeten Jagdschlosses eines Königs zu handele, der nach den Inschriften Aztu- wada hieß und die Danuna beherrschte; die Ruinen stammen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., der Zeit, wo als Überbleibsel der alten hettiti- schen Großmacht noch vereinzelte Königreiche in Kleinasien bestanden. Die Bauten weisen den Charakter der hettitischen Spätzeit auf; die Reliefs sind eigenartig, sowohl in ihrer künstlerischen, vielleicht vom Westen beeinflußten

Bemühung, wie in ihren Darstellungen eines friedlichen, häuslichen und landwirtschaftlichen Lebens, von Jagd und Sport. Von noch größerer Wichtigkeit sind die Inschriften, die zum erstenmal aramäische, wahrscheinlich kanaanäische Schriftzeichen neben hettitischen Hieroglyphen zeigen, so daß die Aussicht, das Hettitische entziffern zu können, ihrer Verwirklichung nahe scheint. Von hier aus öffnet sich dann eine weite Aussicht: während der Königsname bisher unbekannt war, sind die Danuna durch Berichte aus mehreren Jahrhunderten bezeugt und werden allgemein mit den Danaern identifiziert, die mit den Achäern vor Troja kämpften. So können hier neue Entdeckungen über die politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Westen und Osten in der Zeit der ägäischen Wanderungen erwartet werden, wie sie früher aus dem hettitischen Archiv von Boghasköi kamen. Mit Spannung sieht man den weiteren Ergebnissen der Grabungen und der Deutung der Inschriften entgegen.

Von einer neuen Stadt im Transkaukasus meldet „Iswestija” vom 4. Juni aus Eriwan: Der Architekturrat bei der Regierung der Armenischen Sowjetrepublik bestätigte den Generalbauplan der Stadt Oktemberjan. Die neue Stadt liegt im Zentrum des Ararattales. Sie ist an der Stelle von Sümpfen und Salzseen entstanden. Derzeit werden in der Stadt 200 Häuser gebaut.

Ein mechanisches und ein Baumwollputzwerk, eine Fabrik ätherischer öle und andere Unternehmungen bilden den Industrierayon der neuen Stadt. Es wird eine große Konservenfabrik errichtet, die jährlich 12 Millionen Dosen Fruchtkonserven liefern wird. Die erste Serie des neuen Unternehmens produziert bereits.

Es ist auch eine weitere Entwicklung der Stadt vorgesehen. Hier entstehen große Unternehmungen der Lebensmittel- und Delikatessenindustrie. Auf Zehntausende Hektar erstrecken sich die Pfirsichwälder, die Weinpflanzungen und Pflanzungen von Baumwolle und Geranium.

Der Samur-Diwitschinski-Kanal in Aserbaidshan wird, wie die „Nachrichten der TASS” melden, eine der gewaltigsten Anlagen des sowjetischen Nachkriegsfünfjahrplans werden. Der Kanal wird die Wüstensteppen der Halbinsel beleben, auf der Baku mit seinen bedeutenden Ölquellen liegt; man verspricht sich, daß die Steppe sich in einen einzigen subtropischen Garten verwandeln wird, wo Wein, Oliven und Gemüse gedeihen. Die Länge des Kanals wird 250 km betragen. Er wird die ganze Halbinsel durchqueren. Der vor dem Krieg fertiggestellte 100 km lange Teil hat das anliegende Gebiet bereits stark verändert. Die Steppe am Kanal hat sich in Felder und Gemüsegärten verwandelt, die Baku rum erstenmal mit eigenem und nicht eingeführtem Gemüse versorgen. Der zweite Abschnitt des Kanals wird in drei Jahren fertiggestellt werden. Es werden große Waldstreifen angelegt, die Schutz vor den starken Winden gewähren sollen, die dort an dreihundert Tagen des Jahres wehen.

Nach Genf von einer Asienreise zurückgekehrt, berichtete der evangelische Bischof Stephen Neill über seine in Asien gewonnenen Erfahrungen: In China meldet sich eine stärker werdende Opposition gegen das Christentum, die in der Hauptsache auf das Umsichgreifen des Kommunismus zurück- zuführen ist. Der Kommunismus sei bestrebt, unter der ländlichen Bevölkerung Fuß zu fassen, wobei die Städte vielfach isoliert bleiben. Einige, vor allem die jüngeren Christen, sind unter dem Eindruck der kommunistischen Politik, die darauf abzielt, die Stellung der Landarbeiter zu verbessern, geneigt, die Ausbreitung des Kommunismus als die beste Lösung für China auf lange Sicht anzusehen. Die älteren Christen hingegen sind überzeugt, daß in den Gebieten unter kommunistischer Kontrolle ein organisiertes christliches Leben sich nicht halten kann und daß der vorrückende Kommunismus für die Zukunft der Kirche eine furchtbare Gefahr bedeute.

In den Räumen des „Union Theological Seminary”, das der Columbia-Universität (New Yersey) angeschlossen ist, wird im September 1948 unter dem Namen „St. Via di mips Russian Orthodox Theological Seminary” die erste Russische Theologische Akademie eröffnet werden. Das neue geistliche Institut soll jedoch seine Aufgabe, die Schulung eines priesterlichen Nachwuchses, in voller Unabhängigkeit durchführen. Bischof Johann von Brooklyn erklärte, daß die neue geistliche Lehrstätte „Licht für den Kampf gegen den Materialismus ausströmen” soll.

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