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Blick von Byzanz nach Rom

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Aus dem lebensprühenden Zentrum des alten Stambul führt der Weg in das stille Visrtel des Phanar. In einer menschenleeren Gasse stand ich kürzlich. vor der Residenz des Oekumeni- schen Patriarchen Athenagoras L, Erzbischof von Konstantinopel — hinter einem Torbau ein hinten durch eine Mauer abgeschlossener Garten, der links von der Patriarchalkirche zum heiligen Georg, rechts vom „Palast“ des Patriarchen, einem einfachen schmucklosen Gebäude, flankiert wird.

Das große Arbeitszimmer des Patriarchen —

mit einem prächtigen Blick über das Goldene Horn hinauf auf die Höhen von Pera — ist von spartanischer Einfachheit. Außer den Bildern Kemal Atatürks und des heutigen türkischen Staatspräsidenten Celal Bayar an der Wand, einfachen Drucken, sehe ich eine einzige Photographie: die Eisenhowers, mit eigenhändiger Widmung. Sie erinnert mich daran, daß Athenagoras bis zu seiner 1949 erfolgten Wahl zum Patriarchen achtzehn Jahre lang in den Vereinigten Staaten als Erzbischof beider Amerika lebte. Athenagoras stammt aus Griechenland„ aus dem Epirus.

Der sehr hohen und aufrechten Gestalt sieht man die 73 Jahre keineswegs an. Mit dem wallenden Bart, den lebhaften Augen, der warmen Stimme macht er einen ehrfurchtgebietenden, wahrhaft patriarchalischen Eindruck. In Anbetracht meines schlechten Englisch bitte ich um die Erlaubnis, Französisch sprechen zu dürfen. Der Patriarch beherrscht es vollendet. Offensichtlich hat er auch gründliche Lateinkenntnisse, was sich für einen orthodoxen Prälaten nicht ohne weiteres von selbst versteht.’ Ich stelle mich vor als Katholik, dem durch jahrzehntelangen Aufenthalt in Südosteuropa die orthodoxe Kirche durchaus vertraut sei. Ich erwähnte das große Interesse der katholischen Welt an den Konzilsplänen des Papstes, an den Ideen zur Wiedervereinigung der Kirchen, wobei man in erster Linie an die orthodoxen Brüder denke. Ich wolle nicht das heikle Thema einer Union aufwerfen — die Geschichte der letzten 400 Jahre des Byzantinischen Reiches, die späteren Teilunionen orthodoxer Volksgruppen hätte gezeigt, wie schwierig diese Frage sei. Im Hinblick auf die Konzilspläne des Hl. Vaters würde ich mir aber die Frage gestatten, ob .er die Notwendigkeit einer Annäherung der beiden Kirchen für gegeben halte und ob er die Möglichkeit eines engeren Zusammengehens sehe. Athenagoras I. antwortete in längeren Ausführungen, in denen er u. a folgendes sagte:

„Eine Annäherung der orthodoxen und der katholischen Kirche, eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Kirchen ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig. In der heutigen Weltlage notwendiger denn je. Wir müssen uns bewußt sein, daß wir, das heißt die Orthodoxen und die Katholiken, zwei Zweige der einen wahren christlichen Kirche sind, die ein volles Jahrtausend lang eine gemeinsame Geschichte gehabt haben. Wir müssen von beiden Seiten die uns verbindenden Gemeinsamkeiten) betonen); wir haben den gleichen Glauben, die gleichen Dogmen, dieselben Sakramente. Wir sind Brüder, aber keine getrennten Brüder. Brüder sind immer Brüder. Wir sind Brüder in Christo. Gerade in der heutigen Zeit ist ein Zusammengehen und eine enge Zusammenarbeit notwendiger denn je. Wir stehen beide vor den gleichen Problemen, man denke nur an Fragen wie die Jugend, die Familie, die Arbeiter, die ganze soziale Frage, und den Ansturm der Ungläubigen, dem wir vor allen in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang ausgesetzt sind.“

Der Patriarch erwies sich hier über Vorgänge in der katholischen Kirche als sehr genau unterrichtet, indem .er zum Beispiel ziemlich ausführlich auf die jüngste Tagung der französischen katholischen Aktion für die Arbeiterschaft einging — zu meiner leichten Verlegenheit, da ich, seit Wochen in Zypern und in der Türkei unterwegs, von dieser Tagung noch keine Ahnung hatte. Er fuhr dann fort:

„Ich kenne den Hl. Vater Johannes XXIII. leider nicht persönlich. Als er hier als Apostolischer Delegat tätig war, weilte ich noch in Amerika, und als ich den Patriarchenstuhl' bestieg, war er schon Nuntius in Paris. Ich hege für ihn eine große Verehrung und würde ihn gerne persönlich kennen lernen. Ich hatte hier Gespräche mit dem Apostolischen Delegaten in der Türkei, Erzbischof Testa. Er ist jetzt in Rom — ich habe ihn gebeten, dem Papst meine brüderlichen und ehrerbietigen Grüße zu übermitteln. Zu dem gleichen Zweck entsandte ich auch den neuen Erzbischof von Amerika, Jakobus, zum Papst. Ich habe dem Papst sagen lassen, daß ich ihn gegen eine Zusage, mir in Konstantinopel einen Gegenbesuch zu machen, sofort im Vatikan besuchen würde. Er wäre bei weitem nicht der erste Papst, den der Patriarch von Konstantinopel bei sich empfängt.“

. „Um zu den Konzilsplänen' zu kommen: Wir haben diese Initiative des Papstes gerne vernommen. Wir erwarten aber jetzt vom Vatikan konkretere, substantiellere Vorschläge zu hören, um uns äußern zu können. Eine Union, wie sie manchen Katholiken vorschwebt — also unsere Unterstellung unter den Papst und die völlige Uebernahme der katholischen Lehre durch uns — ist freilich nicht möglich. Dagegen wäre es sehr wohl möglich, au dem Zustand zurückzukehren, wie er vor dem Schisma bestand, daß also der Papst ein Primus inter pares ist, der erste unter den fünf alten Patriarchen von Rom, Konstantinopel', Alexandrien, Antiochia und Jerusalem. Wir lassen euch euer filioque — ihr laßt uns, was wir haben. Wir beide sind dennoch die Kirchen in der unmittelbaren apostolischen Tradition —, in Rom waren Petrus und Paulus, bei uns der Apostel Andreas.“

Zum Schluß sprach der Patriarch nochmals eindringlich über die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer Verständigung und eines engen Zusämmengehns der katholischen und der orthodoxen Kirche. Man dürfe nicht mehr aneinander vorbeileben.

Mir widerfuhr die Ehre, anschließend Mittagsgast des Patriarchen zu sein. Bei Tisch, an dem mehrere hohe Prälaten des Patriarchats, darunter auch deutschsptechende, teilnahmen, kam Athenagoras noch einmal auf seine Ausführungen zurück ünd betonte erneut, wie gerne 'er sich mit dem Papst aussprechen würde und daß er unter der erwähnten Bedingung jederzeit bereit wäre, nach Rom zü fahren.

In griechischen, dem Patriarchat nahestehenden Kreisen Istanbuls erzählte man mir außer dem noch eine charakteristische Aeußerung des Patriarchen. Papst Johannes XXIII. habe öffentlich einige Gründe angegeben, meinte Athenagoras, warum er diesen in der letzten Zeit auf dem Heiligen Stuhl ungewohnten Namen gewählt habe. Einen weiteren Grund habe er nicht erwähnt, obwohl dieser, wie seine Konzilspläne zeigen, offensichtlich auch eine Rolle gespielt habe. Denn die Wahl dieses Namens sfei mehr als nur eine freundliche Geste gegenüber dem Osten. Pius, Benedikt und wie die letzten Päpste alle'geheißen haben: das seien rein lateinisch , dem griechischen Osten völlig fremde Namen. Aber Johannes sei ein dem Osten lieber und vertrauter Name. Der Apostel Johannes habe nicht nur sein Evangelium auf griechisch geschrieben, in der „keine dialektos", die” heute noch unverändert die Sprache der griechischen Kirche ist, er sei auch durch seinen Aufenthalt auf Patmos dem Griechentum besonders eng verbunden.

Der Oekumenische Patriarch hat in der orthodoxen Kirche nicht die gleiche Machtfülle wie der Papst in der katholischen. Was sagen die anderen orthodoxen Kirchen zu den Konzilsplänen und zur Einstellung des Oekumėnischen Patriarchen? Darüber das nächste Mal.

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