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Blick vorn Hausleitenhgel

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Die selbstgerechte, bedeutungsvolle Welt hält sich dies Bauernland nicht im Bewußtsein. Voll Fruchtbarkeit kümmert es in guten Zeiten keinen. Dies hat sein Sdalechtes: niemand schenkt dem Land ein Aug'. Dies hat sein Gutes: man läßt uns in Frieden.

Ihr steht auf dem Hausleitenhügel, eine halbe Gehstunde nördlich der Pulkau und etwa dreißig Meter darüber. Hinter euch Wellen Korn, Wellen Wein. Zuletzt eine mächtige steile Stirn, der Lamplberg, ehemals Schauplatz berühmter Weinmärkte. Tief rückwärts ein erdblauer Streif: mäh-risdier Boden.

Der Lamplberg mißt 295 Meter, doch siehst du von ihm aus im welthellen Herbst Sdaneeberg, Rax, ötscher, Hochschwab, Aflenzer Staritzen, siehst von der niedcrösterreidiischen Nordgrenze hinein ins Steirische.

Im Westen Weingärten, Weingärten. Millionen Stöcke bis hin zur untergehenden Sonne. Niedriger, dichter, endloser, schopfhellgrüner Wald, sprühend, flirrend im starken, sich neigenden Licht. Vor dir das schön gefaßte, reiche Tal. Quer durda hundert, aberhundert, tausend Äcker. Flam-p mende Bänder, zwei Gehstunden lang, goldflimmende Kornseen, Kornteiche. Da zwischen grüner Klee, grünes Krautwerk, blitzend im letzten, lichtschüttenden Strahl.

An der Pulkau, in der Talmitte, die Orte. Große, gute Dächer, ein starker breitschultriger Turm, rundum Baumkränze. So liegen sie enggezeilt, die Weinbauernmärkte und -dörfer, lang, groß, mannbar. Ihr sollt sie aufsuchen und in ein Flaus treten. Starker, schmiegender Geruch von Hausbrot, schwelenden Kesseln, Mehltruhen, federprallen Tuchenten, Atem von Tier und Mensdi, Stroh- und Scheunenwärme umfängt euch gütig, mütterlich bergend.

Drüber dem breiten Talboden wieder hellgrüne, hohe Schwellen, Lehnen, Gstetten, Hügel — Wein, Wein. Darauf ein kraftvoll hochgemuter Wurf: vier Berge in einer Welle, anmutig ausschwingend vom stattlichen Maiiberger Budiberg bis zur leise verklingenden Unruhe am Gunters-dorfer Kamm — laubwaldmilde, kronengrüne Male. Unter dem Budiberg, weit hinten, zarte, helle, sanft verblauende Töne — das erste Atemholen der großen Wälder gegen LeLs zu und Ernstbrunn.

Im Osten versinken rasch die Talwände, weit, breit wird das Land. Immer seltener grünt ein “Weinberg. Das herrenfeste Seefelder Schloß steht am Anfang der Weite, viereckig, geräumig wie ein mächtiger Schüttkasten. In der Ebene, der machtvollen korngelben Tafel, liegen seine landgroßen Ackerbreiten, seine einschichtigen Höfe. Dort ist Herrenland. Bei uns ist Bauerngrund. Hellgrüne, kronstarke Akazien ziehen dort an Straßen, an Feldwegen, an Rainen, als war das Land schon eine breite, ungarische Tür. Doch da stellt sich der Staatzer Klippenspitz mitten hinein, scharf gekantet, blauweiß. „Ich, ein Berg, bin da“ sagt er, „das Land ist unser!“ Doch immer weiter hinaus verrinnt der tiefe, ackermächtige Boden, bis die Pollauer, die Falkensteiner Berge ihn gebietend begrenzen.

Der Sommerabend ist zierliche Schärfe. Klar, stäubchensauber zeichnen sich Felder, Wege, Häuser, Türme. Weithin sieht man jeden Rain, auf dem Buchberg drüben jeden Baun. Farbsattes, glosendes Leuchten ruft, strömt aus Weinlaub und Korn. Landweiter, goldgrüner Segen ist das schimmernde, ackerträchtige Tal.

Glaubt nicht, dies Land der Bauern und Früchte sei ohne gesdiichtliche Macht. Was die Jahrhunderte her für, was wider den Kaiser focht, zog hier durch. Hussiten, Schweden, Polen, Franzosen, Preußen, die Kaiserlidien selbst. Zu Mailberg und Staatz brachen Schwerter, Babenberg gegen Böhmen! Laa, dem „Schlüssel Habsburgs“, lag zur Schau der ersdilagene Ottokar. Im Dreißigjährigen Krieg wurden Dörfer zu Äckern. Was daran erinnert, sind Wegkreuze, Statuen.

Der Bauer ist der größte Oberwinder der Gesdiichte durdi seine zwei Hände. Die Menschen hier sind die fleißigsten, arbeitsreichsten der Welt. In Pelzen noch, über dem letzten Schnee, schneiden sie die Reben. In bedrängenden Nächten wehren ihre Rauchfeuer die Fröste. Und ist auch gegen Nässe, Dürre und Insekt der Weinstock bewahrt, in mürbendem Wettlauf gehen sie müd und hager in die schnittreifen Felder. Unter schwarzen Wolken bangen sie um beides. In unruhvollen Nächten ringen sie mit dem gebärenden Vieh und selbst aus den warmen Winterstuben scheucht sie Unerbittlichkeit. Wer um Waldeichen fährt, füttert eine Stunde nadi Mitternacht die Rosse.

Die Menschen haben keine Tracht. Man sagt, die allzu vertrauende Weite ihres Landes, seine alten und neuen Weltstraßen und die große, hochmütige Stadt hätte sie ihnen verdorben. Etwa aber haben sie nie ein ziervolles Kleid erdacht. Unter unbarmherziger Härte und Schwere gedeiht nicht gut träumerische, behutsame Hege. Nicht sonderlich zahlreich sind hier die Lieder, sdimal die Sagen, fast stumm die Märchen. Aber seine altertümliche Rede, die Ui-Spradie, hat sich das Volk an vielen Orten beharrlich bewahrt wie einen funkelnden, meertiefen Reichtum. Hildebrandslied und Nibelungensang sprechen daraus mit beschwörender, geschichtlicher Treue. Jahrtausendferne Mädite und Urheimaten leuchten auf in Wort und Brauch. Hochzeitszier, Kirtaglustigkeit, Weinlestanz, Weizauslösen (Kukurruz) und Federnsdileißen schenken uns farbige Tag und Nächte.

Unsere Almhütten sind Keller und Preßhaus. Männerrat, Besinnung, Fürwitz, verscheuchte Lieb', Zwielicht, Verhängnis, Humor und Rumor leben dort und warten noch auf ihren Gestalter.

So werken und feiern unsere Menschen sdilichte, unbelobte Tage. Ihre zerrissenen, erdverkrusteten Hände, die gebeugten Rücken, die schweißgenetzten Stirnen der Männer, die Kindbettrunzeln der Frauen, diese herben, schmucklosen Zeichen eines Ordens der Härte, die sind ihr Lied und ihr Spruch, ihr Wappen und ihr Weistum.

Möge ihnen das Schicksal einmal ihre Kreuze schmälern. Aber nicht um soviel, daß ihr taugliches Beständigsein in falschem Behagen verdürbe.

Die Sonne berührt den Horizont. Das Korn glüht noch satter, das Weinlaub umzünden gleißende Säume. Weit drüben liegt ein Streif Weizen inmitten von Wein und Wald. Stechend blitzt er aus der flammgrünen Fassung, leuchtstark wie Geschmeid.

Sagt nicht, Fruchtbarkeit sei nicht schön!

Sagt nicht, bäurisches Land schenke keine feierliche Stunde.

Sagt nicht, „diese gottverlassene Gegend, dieses elendige Nest!“

Seid ehrfürditig vor der Schönheit des Brotes!

Das Glühen ist hinter der Millionenflur des Weines hinabgetaucht. Alle Farben sind noch tiefer geworden. Abendhauch greift mählich über Hügel und Talgrund. Feierlich ruht das Korn, sternkühl dunkelt der Wald.

Nodi trilliert Lerchensang, leuchtender, schallender als am sdiimmernden, werkenden Tag.

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