6630630-1956_35_06.jpg
Digital In Arbeit

Bloy im Spiegel seiner Tagebücher

Werbung
Werbung
Werbung

Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, da nun die grofjen Tagebuchbände in deutscher Uebersetzung erscheinen (und auch die „Briefe an Veronika“), einmal nicht über den „Pilger des Absoluten“ zu reden und nicht über seine „Mystik der Armut“, auch nicht über seine eigenwilligen Allegoresen und nicht über sein literarisches Werk, sondern nur über den Menschen. Denn dieser Mensch, scheint mir, ist nun ein wenig in Gefahr, von Formeln aufgesogen zu werden und hinter Formeln zu verschwinden, hinter den stilisierten Ideogrammen der Publizistik, die, für den literarischen Gebrauch zrechtgemachf, den Bogen überspannen. Solche Formeln sind Der Feuerkopf“, der „Mann auf der Schwelle der Apokalypse“, der „Pilger des Absoluten“. Ich aber würde es vorziehen, auch einmal von seinem Stockschnupfen zu reden und von seinen Depressionen, von seinen Tränen und den rasanten Umschlägen seiner Gemütsverfassung, von seiner seelischen Allergie und seiner Neigung zu Kurzschlüssen. Um von hier aus vielleicht ein wenig näher an das heranzukommen, was geheimerweise an ihm doch immer das Faszinierende war.

Denn seine Katzbalgereien mit den Pariser Literaten um die Jahrhundertwende haben unser Interesse verloren, sein mystischer Nationalismus hat einen peinlichen Beigeschmack, seine bissigen Meditationen über dieses und jenes (über „L'Arisfocratie des Maqueraux“ zum Beispiel oder „La Revanche de l'lnfame“) sind schon ihrer ungenierten Ausdrucksweise wegen keine sehr erfreuliche Lektüre und seine Romane sind künstlerisch durchaus nichf einwandfrei. Was also bleibt? Es bleibt seine Mystik der Armut, aber sie ist für uns noch immer ein Undurchschaubares, Nichtzubegreifendes. Es bleiben seine „Briefe an seine Braut“. Und es bleibt der Mensch, dieser seltsame schwierige Mensch, der am Ende noch das wirklich Ergreifende ist.

Trotz allem. Denn so selbstverständlich ist das nicht. Oder kann man es denn sympathisch finden, dafj er Tagebücher herausgab, in denen er über Krefhi und Plethi seinen Topf ausleerte? Er meinte zwar: „Meine Stimme taugt nur zum Schmähen und zum Hosahna“ (III. 380), aber das ändert nichts an der Tatsache, dafj er bedeutende und unbedeutende Leute irgendeiner Schwäche wegen dem öffentlichen Spotte preisgab. Er nannte nicht nur den sterbenden Tolstoi einen „moskowitischen Quatschkopf“ (III. 110) und den tödlich verunglückten Zola „ein verächtliches Stück Leichnam, das man inmitten seiner Exkremente vom Boden aufgelesen haben soll“ (III. 226). sondern er schrieb auch in sein für die Veröffentlichung bestimmtes Journal: „Denkwürdiger Tag des Krepierens des ekelhaften altersschimmligen Gestells, das bei Lebzeilen den Namen Königin Viktoria von England trug“ (III. 90). Gewifj, die literarischen Sitten jener Tage waren nicht fein, weder in Berlin noch in Paris. Der naturalistische Rowdy und junge Leute ohne Manieren gaben den Ton an. Aber Bloy schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, in dieser Hinsicht allen voraus zu sein. Er gab immer noch einen Drücker hinzu und glaubte das seinem Rufe schuldig zu sein.

Und doch ging dieser seifsame Mann täglich zum Tisch des Herrn, versäumte an keinem Wochentag die Messe, trug den Rosenkranz in der Hosentasche und sagte von sich: „Ich bin kein Kritiker. Und wenn ich die ganze Wahrheit sagen soll, so bin ich nicht einmal . .. was man einen Literaten nennt . . . (ich bin) ein Pilger zum Heiligen Grabe. Das isf es, was ich sein will und weiter gar nichts“ (III. 100). Und sagte damif keineswegs die ganze Wahrheit, denn sein literarischer Ehrgeiz war durchaus nicht gering und er hat es immerhin fertiggebracht, einen Panegyrikos seiner Frau über den „überragenden und begnadeten Schriftsteller Bloy“ in sein eigenes Tagebuch aufzunehmen und in den 8. Band des Mariani-Albums und dazu zu bemerken: „Es liegt mir daran, die prächtigen Sätze hier an dieser Stelle einzuschalten, da ich mir keinen Schriftsteller vorzustellen vermag, der bessere (über mich) zu sagen verstünde“ (III. 235). Und im ersten Band seiner Tagebücher exzerpierte er eine Lobhudelei von Camille Lemmonier, der im „Gil Blas“ geschrieben hatte: „Ich erhebe auf meinen Schild einen Einmaligen, einen Mann von einsamer Gröfje, das im klassisch-lateinischen Sinne wohl überragendste Genie des französischen Schrifttums seif drei Jahrhunderten: Leon Bloy“ (I. 141). Wundert man sich, dafj es Leute gab, die ihn für einen Poseur hielten und denen auch sein betontes katholisches Christentum elwas unangenehm wurde? Denn von aufjen gesehen, liefj sich nun einmal verschiedenes nicht reimen und in „Cochon sur Marne“ (das war der Deckname für jene Stadt, in der Bloy um die Jahrhundertwende gelebt hat) „empfanden mehrere .Christusbräufe' (wie er ironisch bemerkte) Grauen vor einem gewissen Herrn, der dafür bekannt v/ar, dafj er nichts als .Schmutzereien' schrieb und dabei jeden Tag zur heiligen Kommunion ging.

.Man mufj also durch vieles hindurch und es isf durchaus keine Kunst, enttäuscht auf dem Wege steckenzubleiben und am Ende in Bloy nur einen jener fatalen Selbstgerechten zu sehen von der Art der Brigitte Pian (in Mauriacs Roman „La Pharisienne“), wenn man nicht schon zum voraus dem Unerbaulichen aus dem Wege geht und sich nur in den höheren Sphären seiner Mystik bewegt oder die Ausbreitung des Menschlich-Allzumenschlichen als abgeschmackte Indiskretion verdächtigt, und sich dann mit jenen Formeln behilft, hinter denen ein Mensch in seiner irdischen Nof sehr leicht vergessen werden kann.

Denn seine irdische Not war es, kein Heiliger zu sein und unten zu bleiben und „eingeklemmt zwischen Teufel und Engel“.

Und das alles schrieb sich weither und kam aus dem angeborenen Elend seiner Natur. Denn dieser explosive Mensch war nichf zu temperieren und von dieser hin und her gerissenen Seele jene kanonisierbare Frömmigkeit und Moralifät zu verlangen, die unseren (zu desinfizierten) Vorstellungen von einem erbaulichen Lebenswandel entspricht, wäre nun schlechterdings ein weng ungeheuerlich. Er hatte es mit sich schwer genug und war sich in seinem ständigen Versagen mehr zum Ekel als manches triebschwache Geschöpf, das seine Oepferchen zählt und sich heimlich für etwas bewundert, was noch gar keiner Bewunderung würdig erscheint. Denn einmal schrieb er in sein Tagebuch: „Mich bedrückt aufs tiefste die Bedeutungslosigkeit meines Daseins, der Mangel einer wirklichen Höhe in ihm und ich bin mit mir selbst so unzufrieden wie nur möglich. Das Heilige ist in unendliche Ferne gerückt und scheint immer weiter von mir zurückzuweichen.“ (III. 223). Das aber ist nun keineswegs die Art des Pharisäers, der sich mit der Kerze vor den Spiegel stellt, um sich auf die Fortschritte der Gnade abzuleuchten. Und da wir nun einige der mesquinen Seifen nichf verheimlicht haben, können wir auch einen der grofjen Züge an diesem Menschen erwähnen, diesen, dafj er nichf handeln wollfe mit Gott. Er konnte hassen und lieben, mafjlos und bis in den Tod, er konnte sich täuschen über sich selbst und über das, was Gott mit ihm wollfe, er konnte morgen vergessen haben, was er gestern sagte, er konnte demütig sein und stolz wie ein Pfau, aber er konnte weder lügen noch betrügen, und er konnte keine Geschäfte machen mit Gott. Zwar, wir wollen es nichf zu hoch veranschlagen, dafj er noch in jungen Jahren lang darum gebetet hatte, „zur Ehre Gottes viel leiden zu dürfen“, denn das entsprach zu sehr seinem Temperament, sich immer in Extremen zu verlieren und vom Außerordentlichen fasziniert zu sein (und es gibt unsererseits auch eine geistliche Feinschmeckerei, die sich an solchen Sensationen des leligiösen Lebens biographischerweise und auf wenig verbindliche Art zu delektieren pflegt), aber wie dem nun sei: schon dieser junge Mensch war weit entfernt von jenem bourgeoisen Hedonismus und jener geistlichen Tüchtigkeit, die Zug um Zug denkt: eine Kerze für einen verlorenen Hut und eine heilige Messe, wenn man den Zug noch erreicht und was dieser bemerkenswerten „Tauschgeschäfte“ mehr sind. Er wollte leiden zur Ehre Gottes. Er konnte auch beten zur Ehre Gotfes und nicht nur um irgendwelcher Vorteile willen, wie der Krämer in geistlichen Dingen, der immer zuerst an sich denkt und an die Perfektionierung seines Wohlbehagens.

Aber Himmel und Hölle waren in diesem Menschen zu nahe beisammen und es blieb nicht aus, dafj sie ineinander und durcheinander gerieten. Er konnte 'geifern und wüten und mit den verruchtesten Begriffen der analen Zone um sich werfen und dann, ohne Uebergang, wie eine steile Flamme zum Himmel steigen, ins Gebet versinken, den Höchsten preisen, zum Heiligsten rufen und auf eine tiefersfaunliche Weise demütig und fromm sein. Es gibt der Beispiele mehr als genug. Aber sie zeigen immer dasselbe: die affektive Gespcnntheif, die immer dem brüsken Wechsel unterworfen war, das Triebhafte, Umschlagende, Jähe, das gänzlich Unberechenbare, den wilden Sturm herausgeschleuderter Gefühle, Sympathien und Antipathien. Und heute berauscht von sich und seinem Können, seinem Ruhm, seiner Sendung, seiner aufschäumenden Einbildungskraft, konnte er morgen in tiefsfe Schwermut fallen und schluchzen wie ein kleines Kind, an sich verzweifelnd und mutlos. Um übermorgen gereizt wie ein Stier auf irgend elwas loszugehen, das ihm in die Quere kam.

Und so war er denn weit davon entfernt, ein „erbauliches Vorbild“ zu sein. Aber sein schweres Leben ergreift uns, denn er war dem Lärm und dem Schmerz überliefert, wie einmal Picard gesagt hat, er war im Abgrund und heulte darin und besafj doch die Tugend der Tapferkeit und des Mutes und die tiefe Trauer darüber, dafj er kein Heiliger war.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung