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Blutrotes Algerien

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Die Algerierin Assia Djebar schreibt Französisch, es ist, wie in Algerien üblich, seit je ihre Umgangssprache, und auch ihr jüngstes Buch „Weißes Algerien" - Originaltitel: „Le blanc de l'Algerie" - ist Französisch geschrieben und erschien 1996 in Paris. Der Züricher Unionsverlag und der Übersetzer Hans Thill waren schnell, und das ist gut: Dieses Buch hilft, zu verstehen, warum gerade im modernen, westlichen Algerien, das so gar nicht dafür prädestiniert schien, so viele Menschen den Islamisten zulaufen. Obwohl es in klarer Frontstellung gegen diese geschrieben wurde, wird aber vieles in diesem Buch in Frankreich vielen nicht schmecken.

Assia Djebar ist eine überzeugte Gegnerin der Islamisten. Sie geht, auch das wird man in Frankreich gern hören, mit jenen hart ins Gericht, die, kaum, daß sie die französischen Unterdrücker aus dem Land geworfen hatten, sofort ihrerseits zu Unterdrückern wurden: „Das schmutzige Raubtier ist also zurückgekehrt, die Folterer sind die Gefolterten von gestern". Sie erinnert aber auch an all das, was Frankreich unter den Teppich kehrte, statt es aufzuarbeiten, an die Ungeheuerlichkeiten, die sich die Franzosen in Algerien zuschulden kommen ließen. Das verallgemeinernde „die" ist hier am Platz: Mit jener Amnestie, die alle von Franzosen in Algerien begangenen Delikte umfaßte, übernahm Frankreich die Verantwortung für Untaten, die auch nach 35 Jahren und allem, was seither geschah, fassungslos machen. Solche Amnestien riechen nach Identifikation. Im konkreten Fall auch mit Mördern, die ihre Maschinenpistolen zuerst auf die Unterschenkel ihrer Opfer, dann auf die Oberschenkel und erst zuletzt auf die Köpfe richteten.

Mit Wut und Ironie wendet sich die Dichterin gegen die Diktatoren, die die Kolonialmacht beerbten: „In ihren Reden rufen sie bei jeder Gelegenheit die Toten an - und indem sie immer wieder diese ,eine Million Tote' herbeizitieren, schenken sie nur dem Quantitativen Beachtung, sie, die Überlebenden, die Wohlbestall-

ten, die Jahr für Jahr ihren Platz einnehmen, an Bauch und an Selbstgefälligkeitzunehmen, deren Bankkonto wächst wie ihre Machtfülle, wobei manche einer wohlmeinenden, demonstrativen und bequemen Religiosität zuneigen und andere einem moralischen Verfall, der sie zu einer um so größeren Heuchelei zwingt ... So wird die Vergangenheit zu einer Karikatur, in der sich lautere Helden und Brudermörder unterschiedslos vermischen."

Die Toten, die Frankreichs verbissenes Festhalten an der lächerlichen Doktrin, Algerien sei genauso ein unverbrüchlicher Teil Frankreichs wie Languedoc oder die Provence, gekostet hat, die Grausamkeiten, die im Namen dieser Doktrin begangen wurden, die Feigheit der Politiker, die es nicht wagten, den „pieds noirs", den Algerienfranzosen, zu sagen, daß Algerien verloren war - die algerische Tragödie der fünfziger und frühen sechziger Jahre ist gewiß in keine direkte Kausalbeziehung mit der heutigen zu bringen, und die Autorin tut das auch nicht. Aber klar wird doch, daß damals Voraussetzungen für die Perpetuierung der Gewalt geschaffen wurden.

Das Buch ist eine Folge von Schilderungen verschiedener Todesfälle und an den Todesfällen aufgehängter Lebensgeschichten. Es ist ein Buch der Trauer und des Zorns. Assia Djebar ist am besten, wenn sie berichtet und direkt Stellung bezieht. Wo sie ihre Beziehungen zu den Verstorbenen überhöht, mystizistisch wird, Grenzgängertum zwischen Leben und Tod inWorte zu fassen versucht, mögen die Gefühle, die sie auszudrücken versucht, echt sein, aber die Sprache überzeugt davon oft nicht, mitunter stellt sich Peinlichkeit ein. Manches mag einfach auf Deutsch falsch klingen. Doch als Chronik willkürlich - besser: eigenwillig - herausgegriffener algerischer Ereignisse und ihrer Spiegelung in einem hellwachen Bewußtsein ist „Weisses Algerien" unbedingt lesenswert.

WEISSESALGERIEN

Von Assia Djebar. Unionsverlag, 7.ürich 1996. 280 Seiten, geb., öS 266,-

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