"... Bock geschossen"

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Joseph Zoderer legte zu seinem 70. Geburtstag einen Erzählband vor: "Der Himmel über Meran".

Der Himmel über Meran" ist der poetische Titel des schmalen Erzählbandes, den Joseph Zoderer zum 70. Geburtstag vorlegt. Titel wie Thema der sechs Prosatexte können durchaus als eine Art programmatischer Kommentar zum Erzählwerk dieses Autor gelesen werden.

Zoderers Geschichten behalten häufig etwas eigenartig Fremdes; es bleibt ein unauflöslicher Rest, in dem Erstaunen über das Hier und Jetzt mitschwingt, das die Figuren wie ihren Autor an einer finalen Beheimatung zu verhindern scheint. Und Zoderers Prosawerk ist über weite Teile eng an seiner Autobiografie entlang geschrieben. Beide Momente bestimmen auch Rhythmus und Charakter des neuen Buches, das nicht zufällig eine Art Kreisstruktur aufweist.

Die erste und die letzte Erzählung handeln von der Lebenswunde, die zum Zeitpunkt, als sie empfangen wurde, gar nicht als solche erkannt wird. Der Ich-Erzähler war - wie der Autor - gerade vier Jahre alt, als der Vater die verhängnisvolle Entscheidung traf: er votierte "Deutsch", und das hieß Aussiedlung ins Großdeutsche Reich. Auch wenn der Alptraum Polen, in dem die Hitlertruppen gerade den Zweiten Weltkrieg eröffneten, nicht Realität wurde und die Familie vergleichsweise beschaulich in Graz landete - das prägende Gefühl der Fremdheit nahm wohl hier seinen Ausgang. Es ist diese frühe Erfahrung, deren Details sich der Ich-Erzähler mangels eigenem Erinnerungsvermögen vom älteren Bruder erzählen lassen muss, die den Himmel über Meran nie zu einer Selbstverständlichkeit werden ließ. Woran das Kind sich erinnert, ist der immer wieder ausgerufene Satz des Vaters "Ich habe einen Bock geschossen!"

Es ist das Erstaunen über diesen Satz - schließlich war der Vater kein Jäger -, der dem Kind in Erinnerung blieb, das von der metaphorischen Dimension des Ausspruchs noch nichts wusste. In doppelten Sinn nichts wusste: sprachlich und die eigene Lebensprägung betreffend. "Unter diesem Südtiroler Himmel wandere ich mit dem Bewußtsein, daß alles Teil eines Lebensabenteuers ist", heißt es gegen Ende der letzten Erzählung.

Der Schmerz über die unüberwindbare Distanz zur Welt und zu den Menschen ist auch den beiden Erzählungen eingeschrieben, die vom Sterben der Eltern handeln. Während die Mutter sich in ihrem stets sorgfältig verschlossenen Zimmer ein Schachtelhaus mit Wolldeckendach errichtet, um sich vor der zunehmenden (Todes)Panik zu schützen, erlebt der heranwachsende Sohn den Tod seines Vaters im Krankenhaus parallel mit einer kindlichen Liebesgeschichte zur Krankenschwester, die möglicherweise Laura hieß. Auch auf die Namen als verlässliche Verbindungsbrücken zwischen den Menschen ist bei Zoderer kein Verlass. Dass wir von der Suchtkranken des Dorfes, deren allmähliche Selbstzerstörung Zoderer beschreibt, den Namen schon im Titel erfahren - die Erzählung heißt "Monika" -, macht von vornherein stutzig. Auch die Geliebte in der verzweifelten Trennungsgeschichte "Die Nähe ihrer Füße" bleibt nicht namenlos, dass sich die Erinnerung auf ein physisches Detail konzentriert, zeigt bei aller emotionalen Schräglage aber auch die Größe der einstigen Nähe. Zoderers Geschichten haben häufig eine Distanz und Härte, die mit poetischen Bildern eine eigenartige Verbindung eingehen. Daraus entsteht eine Erzählmagie, der man sich schwer entziehen kann.

Der Himmel über Meran

Erzählungen von Joseph Zoderer

Hanser Verlag, München 2005

139 Seiten, geb., e 15,40

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