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Bolschewistischer Alltag und kommunistischer Kircherlkampf

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Wie leben die Sowjetmenschen nun wirklich? Dokumentarbericht aus dem Petschora-gebiet von Stefan Sturm. Marienburg-Verlag, Würzburg. 191 Seiten. Preif 9.80 DM. — Gesetz und Taktik des kommunistischen Kirchenkampfes. Von Francois Dufay, überfetzt und bearbeitet von Josef Stierli. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main. 260 Seiten

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Wie leben die Sowjetmenschen nun wirklich? Dokumentarbericht aus dem Petschora-gebiet von Stefan Sturm. Marienburg-Verlag, Würzburg. 191 Seiten. Preif 9.80 DM. — Gesetz und Taktik des kommunistischen Kirchenkampfes. Von Francois Dufay, überfetzt und bearbeitet von Josef Stierli. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main. 260 Seiten

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Europa befreundet sich mit den Bolschewisten durch Sport, Ballett und gegenseitige Besuche, und steht anderseits gegen sie auf, wie in Polen und Ungarn. Diese Dinge sind noch im Fluß. Koexistenz und Aufstand, wie reimt sich das zusammen? Man soll dii Sünde hassen und den Sünder lieben — den Bolschewismus hassen wie die Pest, und den (einzelnen) Kommunisten, der oft in seiner Art weit opferfreudiger ist als wir, lieben wie ein Mensch den anderen. Ich sage „den einzelnen“, denn wenn auch nur zwei Kommunisten beisammen sind, ist bei ihnen der Kommunismus bereits stärker als das Menschsein.

Das erste der beiden Bücher besteht nur aus Dokumenten: wörtlich übersetzten Abschnitten aus Zeitungen, wie „Sapoljarje“, „Kräsnoje Snämjä“ und „Ssehwer“, die nicht für europäische Augen, sondern mehr für den Hausgebrauch bestimmt sind. Blätter aus dem riesigen, gegenwärtig aufgesiedelten Petschöragebiet, wozu auch das berüchtigte Workuta gehört. Es sind Zeitungszuschriften über Mißstände — die einzige dortige Möglichkeit, sich zu beklagen —, wobei aber nie der Hauptschuldige, nämlich das System; in Frage gestellt werden darf. Immer wieder werden als die Schuldigen faule, nachlässige, betrügerische, korrupte, gewalttätige Menschen angegriffen — aber das gehört ja eben zu den Mängeln des Systems, daß es Ideal-menseben voraussetzt. Und was funktioniert denn schlecht? — Eigentlich alles. Schlechtes Essen, schlechte Wohnungen, nichts zu kaufen, schimpfende Funktionäre, kurz, es ersteht das Gesamtbild eines miserablen Lebens. Es ist sozusagen noch heute ein ständiges Material für Sostschenko — sein Stoff blieb, gerade darum mußte er selbst verschwinden. Von tausend Menschen denken im Westen weit mehr Köpfe darüber nach, wie sie ihre Lebensbedingungen, ihre Arbeit, ihr Werk, ihr Geschäft verbessern könnten, als in Rußland, und das macht den Unterschied. Woher dann aber, könnte man fragen, die großen Erfolge der Russen zum Beispiel im Flugzeugbau oder im Sport? Gerade die Verknechtung ermöglicht dem System, riesige Energien auf bestimmte Punkte, wie eben Flugzeugbau oder Sport, zu dirigieren. Glanz und Elend der Bolschewiken!

Doch das wahre Elend besteht erst ifi der geistigen Ausweglosigkeit. In Millionen Lehrgängen, Studienzirkeln und Gehirnwäschen wird hier e in neuer Mensch geschaffen, der von Gott nichts weiß und wissen will: der nicht betende Mensch. Daß er zur Misere verurteilt ist, weil er das Paradies auf Erden schaffen will, ist ja eine Satire für sich. Ein Mensch ohne Gott aber ist ein Mensch im Gefängnis. Dieser neue Mensch bleibt gegen “ das Christentum unempfindlich: das ist, wie wenn man Weizen säen wollte auf blankem Granit.

Das andere Buch, „Gesetz und Taktik des kommunistischen Kirchenkampfes“, schildert sozusagen das Einbrechergerät, den Explosivstoff und den Schweißapparat nebst Sauerstoffgebläse, womit auch der stärkste Tresor christlicher Ueberzeugung aufgebrochen werden kann. Das Material wurde aus tausend Beobachtungen chinavertriebener Missionäre gewonnen. Die Chinesen führen denselben Kampf gegen die christliche Kirche wie die Bolschewiken, jedoch belehrt durch deren Irrtümer.

Ueberaus wichtig ist in dem Buch die kurze, simple Darstellung der marxistischen Weltanschauung, wie sie überall auch den einfachsten Gehirnen gepredigt wird: weil der ganze Kampf und auch dessen Taktik aus dieser Wurzel hervorwachsen.

Die chinesischen Kommunisten (wie auch die der Satellitenländer) greifen die Kirche nie direkt an, weil sie wissen, daß sie da einem festen Widerstande begegnen. Auch wollen sie keine Märtyier machen (wiewohl sie anderseits natürlich Priester massenhaft quälen, umbringen oder gefangenhalten). Hingegen ist der Punkt, bei dem sie einhaken, der N a t i o-nalismus. Man ist patriotisch, man ist national — warum soll ein Christ das nicht auch sein? Sodann wird darauf hingewiesen, daß die nichtkommunistische Welt in den Fängen des „kapitalistischen, imperialistischen Gangstergesindels“ sei. Sodann, daß gerade der Papst in Rom in Händen dieser imperialistischen Räuber sei — weshalb es die Pflicht jedes patriotischen Chinesen sei, seine Klrche von dieser empörenden Knechtschaft zu befreien. Ist es aber einmal so weit, hat der chinesische Christ sich vom Papst losgesagt, so ist das kommunistische Spiel gewonnen. Denn das alles geschah mit Hilfe von sogenannten „Studienzirkeln“, welche in stetigem Durchdringungsprozeß die marxistischen Prinzipien ganz heimlich, still und leise an Stelle der christlichen setzen. Ritus, Messe und Sakramente werden als. unschädlicher Kinder-Schnickschnack noch bis auf weiteres beibehalten, doch in Wirklichkeit ist aus der Kirche eine marxistische Propagandastelle geworden.

Die Darstellung der kommunistischen Lebensmisere, wie im ersten Buch, birgt bei aller großen Nützlichkeit eine Gefahr: die, den Kommunismus zu unterschätzen! Man denkt: diese Mängel sind doch zu offensichtlich; auch ein Kind müßte merken, daß sie gegen das System sprechen. Und ebenso geht es uns in bezug auf die Religion. Wir denken: die Fülle und Tiefe unserer christlichen Offenbarung gegenüber der beschränkten Armseligkeit des Marxismus muß uns doch, sagen wir im Disput, die Oberhand geben. Aber das sind gefährliche Illusionen! Die gefährlichste vielleicht die, daß es eine aufrichtige Koexistenz mit dem Kommunismus geben könne. Im Falle eines Mißlingens wird der Kommunist alle Konzessionen machen — so wie ein verlassenes Kohlenfeuer sich mit dicken, schützenden Aschenschichten umgibt —, doch im nächsten Augenblick kann es aus dem verborgenen Funken wieder emporflackern! Illusionen, die um so gefährlicher sind, weil sie zwar im Wesen rechthaben, während sie doch mit ihren Argumenten in der Praxis vom Marxismus meist überwunden werden. Denn der Marxist kann alles wegerklären: ist er doch in jahrelanger Arbeit daraufhin geschult, alle Nichtmarxisten mit den simpelsten Argumenten scheinbar zu überwinden! Der Parteikommunist glaubt seinen Marxismus weit, inbrünstiger als wir, im allgemeinen, unser Christentum. Kommunisten sind nicht bloß simple Bösewichter, sondern fanatische Menschen, die oftmals teuflisch handeln, wie sie andere — unmoralische — Moralbegriffe haben als wir. Hübsch artig sein und sein Brot verdienen genügt eben nicht: man muß den Kommunismus wirklich bekämpfen. Aus dem einfachen Grunde, weil er dasselbe unausgesetzt gegen uns tut.

So ergänzen sich diese beiden Bücher, indem das erste die Früchte des Kommunismus zeigt, das zweite aber seine Wurzeln und seinen Säftekreislauf. Es sind Handbücher mit unwiderleglichem Material. Gute Handbücher im Geisteskampf.

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