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BOND - VON VOLKES GNADEN

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In seinem neuesten Film Feuerball eröffnet James Bond, Agent 007 im britischen Geheimdienst, die Serie seiner Kampfakte damit, daß er einen Gegner im Faustkampf besiegt und mit dem Kopf in den brennenden Kamin schiebt Dann aber, in einer Art pietätvoller Aufwallung, nimmt er Blumen aus einer Vase und breitet sie sanft über den Besiegten. Das erste Gelächter bricht im Kino los — viele andere werden folgen.

Genau genommen kopiert Bond hier allerdings nur den Auftakt seines früheren Films Goldfinger. Dort ist es ein Rasiermessermörder, der ihn im Boudoir einer Dame überfällt, die nur mit einem Badetuch bekleidet ist. Auch in diesem Falle reagiert er mit jener Mischung von Grazie und Grausamkeit, die man von ihm erwartet — er schiebt die Dame ins Rasiermesser, den Mörder in die Badewanne und einen elektrischen Heizofen hinterher. Feuerzauber, die Badewanne wird zum elektrischen Stuhl. „Einfach widerlich“, murmelt 007, streift den makellosen Smoking über und verläßt den Raum, ohne zurückzublicken.

Längst ist das Schwelgen in solchen Szenen dem 007-Kon- sumenten zur lieben Gewohnheit geworden. Er erwartet eine besondere Kraftkost und empfindet als Leerlauf, was nicht um die Pole Sex und Sadismus kreist. Beides bieten die Bond-Filme in Comic-Strip-Fasson. Ständig werden in ihnen athletische Jungmänner von üppigen blonden Starlets massiert (Symbol für verfeinerten Luxus), immer folgt auf Autoj agd, Pistolenduell, Flugzeugabsturz und Tortur die Schlafzimmerszene oder das türkische Bad, die Liebe unter Palmen oder an Bord der Luxusjacht. Doch das Liebesnest wird rasch zur Leichenhalle, denn die Damen in Bonds Gesellschaft leben gefährlich. „Meine Freundin wird Sie nicht stören. Sie ist nämlich tot“, sagt er zu dem jungen Paar in der Nachtbar und deponiert auf einem freien Stuhl den entseelten Körper einer Agentin, die er während des Tanzes in die Schußlinie eines anderen Agenten manövriert hat. Dann verschwindet er. Das Mädchen, das ihn eben noch umarmte, ist dreißig Filmsekunden später tot — man hat sie mit Goldbronze bestrichen. Die Mitkämpferin im Wald wird von dem Eisenhut eines koreanischen Gangsters niedergemäht. Kadavergeruch umweht Bond, das melancholische Manntier mit den Hundeaugen, während er lustig von einer Falle in die andere tappt. Denn er ist nicht übermäßig intelligent; er ist lediglich feuerfest. Alle Versuche, ihn mit Laserstrahlen zu zersägen, mit Napalbomben zu rösten oder als Haifischfutter zu verwerten, mißlingen; nicht weil er der bessere Mann wäre, sondern weil das Drehbuch ihm Unsterblichkeit garantiert.

Welchen Reiz der hundertachtzigpfündige Perückenträger auf das weibliche Geschlecht ausübt, kann kein. Mann beurteilen. Mit welchen Duftstoffen die Drehbuchautoren arbeiten, ist spürbar. Während Bond in seiner sparsamen Freizeit liebt als entledige er sich einer Pflicht und keineswegs einer Kür, rekrutieren sich die Damen seiner Filme verdächtig oft aus dem psychopathologischen Untergrund. Da ist die männerfeindliche Agentin aus Rußland, eine verdrießliche alte Jungfer, die einen blonden, dreiviertelnackten Muskelmann umschleicht, einen Schlagring überstreift und ihn unversehens damit in die Magengrube boxt. Wellen von Männerhaß und Frustration wehen bei diesem Schlag durchs Kino. Da ist der Klub von lesbischen Gangsterinnen, die eine Art SS- Uniform tragen und kaltblütig eine ganze Stadt mit Nervengas entwesen. Bond kann sie nicht alle auf den Pfad der Natürlichkeit zurückführen, nur die oberste der Todesgöttinnen läßt sich von ihm bekehren. Im Publikum herrscht darüber Genugtuung. Der gerade Weg ist immer der nichtige. Nymphomane, Nixen, Frigide oder tumbe Jungfrauen, er nimmt mit, was am Weg liegt. Die Frauen dieser westlichen Welt sind zerbrochen. Bond richtet sie wieder auf, flüchtig, im Vorbeigehen, ohne darüber nachzudenken. Nur die Sekretärin seines grämlichen Geheimdienstchefs „M“ bleibt unberührt. Immer wenn sie gerade Anstalten trifft, den hübschen Berufsmörder zu umgarnen, ruft sie der Chef zum Diktat.

Das Publikum hat entschieden, daß es seinen Bond so und nicht anders haben will. Das Publikum, wer ist das? Nicht die dummen Halbstarken und steilen Zähne im Parkett, denen es an kritischem Verstand mangelt; die sind zufrieden, solange sie Flammenwerfer, Maschinenpistolen oder auch der Arbeit einer Schrottpresse, die einen Gangster samt seiner Luxuslimousine zermalmt und paketiert, zuschauen dürfen. Nein, es sind die feiner besaiteten Zeitgenossen, die Intellektuellen, die wie Seismographen reagieren, sobald die Bondküche nicht mehr scharf genug würzt. Als nach drei überharten Streifen der vierte ein wenig gemäßigter ausfiel, klagte der Spiegel sofort: „007 ist nur noch eine Null… Die Handlung ist im Flemingroman spannend, im Bond-Kino nicht mehr… Bei den Bettszenen blendet Regisseur Young so bald ab, als drehe er für die Produktion Saubere Leinwand.“ Und er nennt den Film verächtlich „einen optischen Kalauer“. Besorgt fragten amerikanische Kritiker bei dieser Gelegenheit: „Wo ist der ,he-man‘ Bond mit seinen männlichen Lastern geblieben?“ Um was betrügt man uns hier? Solche Reaktionen verraten, wo die eigentlichen Abnehmer zu suchen sind.

Natürlich gilt das nicht für alle. Es gibt eine Anti-Bond-

Fronde, die den mörderischen Untertanen der Königin Elizabeth herzlich haßt und moralisch zur Strecke bringen möchte. Doch hier ist Vorsicht geboten; der Übereifrige gerät nur zu leicht in die eigenen Fallstricke. Einen „Kleinbürger in Waffen“ nannte Bond kürzlich der Kritiker einer namhaften Zeitschrift, „trivial“ ein Kollege in der gleichen Ausgabe. Beide schlugen den Sack und meinten den Esel. Ihre Vorwürfe — Bond sei unintelligent, genußsüchtig, unerträglich normal in seinem Triebleben, empfinde Freude an Gefahr und rede meist in Allgemeinplätzen — waren nicht auf die Gestalt des Mister 007, sondern auf seine Zuschauer gemünzt. Man fragt sich, auf welchen Zeitgenossen diese Analyse nicht zutrifft.

Hier wird etwas deutlich, was schon lange vor dem ersten Auftritt des James Bond bemerkt werden konnte. Bestimmte Filmtypen entziehen sich der herkömmlichen Kritik, weil sie nicht mehr Persönlichkeiten darstellen, sondern nur noch wie ein Spiegel die Impulse, heimlichen Wünsche, verdrängten Komplexe und Süchte des Publikums reflektieren. Seit Jahren laufen in jedem Bauerndorf der Bundesrepublik Streifen, die auf einfältigere Weise Brutalität im Umgang der Geschlechter, Rohheit, kaltblütigen Mord oder ganz einfach das Verbrechen verherrlichen, und unsere Gerichte achten bekanntlich darauf, daß sie nicht Von irgendeinem Bürgermeister leichtfertig verboten werden. Alle diese Filme kaschieren ihre wahre Absicht, indem sie sich sozial tarnen und mit dem Anspruch auftreten, Mißstände der Zeit anzuprangern, die Situation der Jugend zu zeigen oder das Seelenleben der Verbrecher bloßzulegen. Die Hersteller der Bond-

Serie lösten sich von diesem Pseudorealismus und drehten ihre Filme in der ehrlichen Absicht, niemand als dem Publikum zu dienen. Sie fragten sich, wieviel Anteile Sex, Sadismus, Wohlleben, Glücksspiel und abenteuerlichen Nervenkitzel die Aktionäre ihres Unternehmens — die Kinobesucher — erwarten, und sie lieferten die Anteile mit der Stoppuhr.

Als Glücksfall durften sie die Tatsache werten, daß der von Autor Ian Fleming erfundene Held James Bond im Entwurf bereits eine defekte Persönlichkeit aufwies. Fleming haßte sein Geschöpf Bond wie ein echter Puritaner den Teufel, von dem er dauernd spricht. Er unterwarf ihn mitunter Torturen, in deren Vollzug Bond an dem gestraft wurde, womit er am meisten sündigte — was ausgezeichnet in die alte, puritanische Höllenvorstellung paßt. Ob Fleming, wenn er schrieb, völlig normal war, läßt sich nach der Lektüre von „Casino Royale“ und einigen anderen Werken füglich bezweifeln. Doch die Drehbuchautoren enthob dies der unangenehmen Pflicht, eine Persönlichkeit filmisch neu zu gestalten. Sie brauchten weder einen Old Shatterhand noch einen Kommissar Maigret zu entwerfen, ihnen genügten tatsächlich neunzig Kilo Heldenleib mit haariger Brust, ein Tarzan, der aber wie ein Gourmet speist und wie ein Held der Matte rauft, und sie konnten ihre restliche Energie der Frage widmen: Was wollen die Leute sehen? Die Ergebnisse dieser Gewissensforschung wurden dem passenden Modell andrapiert und umgesteckt wie einer Schaufensterpuppe.

Damit geschah aber nun etwas Unerwartetes: Held Bond, frei von der Verpflichtung, die Psychologie asozialer Jungschweden nachzuempfinden, verwandelte sich unversehens in eine echte Gestalt der Volksbühne. Er wurde zum Kasperle — einer Standardfigur, die bekanntlich nur existiert, weil sie mit Polizisten, Krokodilen oder Teufeln raufen, die Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen oder zum Lachen bringen soll. Gerade weil Bond keine Persönlichkeit besitzt, weil er frei agiert, unverständlich handelt in einem Rahmen, der auch für simple Seelen nicht wahrscheinlich erscheint, weil er (und seine Hintermänner: Autoren und Regisseur) nicht an irgendwelche sozialen oder psychologischen Schemata gebunden ist, statt dessen nur sucht, was die Seele des Zeitgenossen beschäftigt oder bedrückt, um es durch groteske Übersteigerung zu entwerten, wird er fast liebenswert. Er entgiftet eine Atmosphäre, die uns bis zum Ersticken umgibt, er ist der Mister Overkill, die männliche Übersexbombe, aber zugleich auch ein Schwejk, der geduldig von Marterpfahl zu Marterpfahl latscht und sich zwischendurch an Kaviar und eisgekühltem Wodka delektiert. Selbst Eddie Constantine, der pockennarbige Katzenkrauler, kann da nächt mit. Bond hat ihn deklassiert.

Kasperle Bond ist ein Holzkopf, aber er ist von des Volkes Gnaden. Die Enthüllungen seiner Seele mögen nicht schön sein, doch sie enthüllen gnadenlos, was in den Seelen der Zuschauer vor sich geht, und von was sie sich entlasten, wenn sie laut lachen, weil das Gas zischt, das die Gangster umbringt, die von Goldfinger einberufen wurden, um das Gold von Fort Knox zu stehlen. Hier wird Psychologie mit dem Sandstrahlgebläse betrieben, aber es ist Psychologie; denn es trifft ins Schwarze. Kasperle hat immer nur von dem gelebt, was die Zuschauer sehen wollten; früher waren es äußere Feinde, heute sind es die Neurosen der Überwohlstandsgesellschaft. Grausamkeit verkauft sich gut, Grausamkeit mit Sex noch besser. Daran ist nicht zu rütteln. Doch kann man Bond nicht dafür verantwortlich machen. Wenn die Zuschauer seine Filme verlassen, lachen sie unbefangen und heiter. Für einen Augenblick haben sie in seiner Gesellschaft abreagiert, was sie ständig durch unterschwellige Reize beunruhigt. Gelassen treten sie der nächsten knallharten Illustriertenreportage und dem nächsten Sittenskandal in ihrer Kleinstadt entgegen. Wie weit Bond allerdings die Folgen dieser ständigen Berieselung kuriert, ist eine ganz andere Frage.

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