Gelb  - © Illustration: Rainer Messerklinger

"Der junge Mann und das Meer" von Hanno Millesi: Harter Aufprall auf dem Boden der ­Realität

19451960198020002020

Hanno Millesi zeigt sich in seinem ­Erzählband „Der junge Mann und das Meer“ wieder als Meister der Möglichkeitsform.

19451960198020002020

Hanno Millesi zeigt sich in seinem ­Erzählband „Der junge Mann und das Meer“ wieder als Meister der Möglichkeitsform.

Werbung
Werbung
Werbung

Können wir unseren Sinnen trauen? Was prägt unsere Wahrnehmung der Welt, unser Denken und Handeln? Wie steht es um unsere Urteilskraft, unser Verantwortungsbewusstsein und unser Einfühlungsvermögen? Wie groß ist unser Spielraum? Es sind gewichtige Fragen, die Hanno Millesi in seinem neuen Erzählband „Der junge Mann und das Meer“ stellt. Er spielt sie auf virtuose Art durch: gelehrt und feinnervig, komisch und ironisch, mit einer Dosis Gesellschaftskritik.

Der mehrfach ausgezeichnete österreichische Autor und Kunsthistoriker ist ein Meister der Möglichkeitsform. Viele seiner Figuren sind Beobachter und Sinnierer, ausgestattet mit teils überschießender Fantasie, um in die sogenannte Wirklichkeit zu zoomen, sie zu zerlegen oder zu erweitern.

In der Titelgeschichte „Der junge Mann und das Meer“ jongliert der Autor mit den Klassikern der Weltliteratur und des Films, mit dem Zauber von Mythen, Märchen und Sagen. In kunstvollen Variationen tauchen die Nibelungen (Siegfrieds Lindenblatt) auf, die Meereshelden von Melville, Jules Verne – und von Ernst Hemingway („Der alte Mann und das Meer“). Doch anders als Hemingways alter Fischer Santiago kämpft Millesis junger Anonymus mit keinem Riesenfisch. Er ringt auch mit keinem Monsterkraken wie etwa Victor Hugos „Meeresarbeiter“ Gilliatt. Nein, Millesis Protagonist ist ein Reisender in einer fremden Stadt. Bei einem Hafenbesuch fällt ihm ein Tintenfisch gleichsam zu, als das Geschenk eines Fischers. Jener Hafen steht ganz oben auf einer Liste nicht­touristischer Sehenswürdigkeiten, erstellt von der mystischen Gastgeberin des jungen Mannes.

Das Los des Tintenfischs als Abendmahl scheint besiegelt. Seine Galgenfrist hängt davon ab, wie viele empfohlene Orte der junge Mann zu besuchen gedenkt. Freilich, Letzterer könnte sich genauso gut fragen, was passieren werde, „wenn er eines Tages am Ende jener Liste angelangt sein wird, die das Schicksal (so etwas wie sein Gastgeber auf Erden) für ihn angefertigt hat“.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung