Illu_s8-9 - © Illustration: Rainer Messerklinger

"Die dritte Hälfte eines Lebens" von Anna Herzig: Düster ist's im Dorf

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Anna Herzig erzählt von einer österreichischen Gemeinde, doch ihre Stärke ist die Beschreibung eines Kindes.

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Anna Herzig erzählt von einer österreichischen Gemeinde, doch ihre Stärke ist die Beschreibung eines Kindes.

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Von Felix Mitterer bis Norbert Gstrein, von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek, von Franz Innerhofer bis Josef Winkler: Wenige literarische Sujets gelten als österreichischer als ein ins Negative gewendeter Heimatbegriff . Der Großstadtroman rund um die Hauptstadt Berlin gehört zu Deutschland, in Österreich wird der Brutalität des Landlebens gefrönt, in einem lustvoll angewiderten Abarbeiten am Mikrokosmos Dorf. Der Anti-Heimatroman gehört sozusagen zur DNA der österreichischen Literatur und wird beständig erweitert und aktualisiert.

Auch Anna Herzig widmet sich diesem Genre in ihrem Roman „Die dritte Hälfte eines Lebens“. Leider hat die 1987 geborene Österreicherin mit kanadischen und ägyptischen Wurzeln dem wenig Neues hinzuzufügen. Die Grundkonstellation kommt einem mehr als bekannt vor, was vermutlich gewollt ist: Es gibt ein uneheliches Kind namens Sepp, das von der Dorfgemeinschaft nicht akzeptiert wird. Sein Vater Jackson geht zurück nach Südafrika, der kaum erwachsenen Mutter Rosa fehlen die Möglichkeiten und auch der Mut, um ihm nachzufolgen. Dann gibt es noch Lorenz Rathbauer, der seine Transsexualität versteckt und unterdrückt, weil ihm schmerzlich bewusst ist, dass in Krimmwing nichts zu lachen hat, wer nicht der Norm entspricht. Sepp scheitert daran, sich von Krimmwing zu befreien. Zwar gelingt es ihm, zum Vater nach Südafrika zu gehen, doch irgendwann zieht es ihn ins Dorf zurück, das ihn nie wollte. Wie die jahrzehntelange Qual für ihn enden wird, erfahren wir gleich am Anfang; ohne einen am Strick baumelnden tragischen Selbstmörder kommt auch dieser Anti-Heimatroman nicht aus. „Der Hängende, der Unerwünschte, der Vertriebene. In gewissen österreichischen Gemeinden ist das oft ein und dieselbe Person.“

Die Entscheidung, den Text als Dorfroman anzulegen, ist vielleicht seine größte Schwäche, in jedem Fall aber eine verpasste Chance. Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie sind tief in die soziale Struktur dieses fiktiven, prototypischen österreichischen Ortes eingeschrieben und mögen im überschaubaren Rahmen eines Dorfes wie unter einem Brennglas noch einmal deutlicher sichtbar werden. Jeder kennt jeden, jeder sieht alles und Menschen, die nicht der Norm entsprechen, können nicht in der anonymen Masse einer Großstadt verschwinden. Es ist nicht so, als wäre Herzig keine genaue Beobachterin oder als würde ihr Anti-Heimat-Konzept nicht aufgehen. Allerdings wurden diese Strukturen der provinziellen Überwachung und Sanktion schon zur Genüge ausgelotet, und diskriminierende Normen und soziale Gewalt sind keine Phänomene, die nur dem kleinkarierten Geist der Provinz entspringen. Der Vater, der den südafrikanischen Freund der Tochter nicht akzeptiert, der Homosexuelle, der den Liebhaber, der Transsexuelle, der sich selbst verleugnet. Das sind wichtige Themen. Sie abermals am Schauplatz Dorf abzuhandeln, damit macht man es den Lesern ziemlich leicht.

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