Illustration - © Illustrationen: Rainer Messerklinger

Gantner und Federmair: Bücher über die Abschaffung des Menschen

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Florian Gantner und Leopold Federmair schreiben über das Thema Überwachung – als Romancier der Eine, als Essayist der Andere.

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Florian Gantner und Leopold Federmair schreiben über das Thema Überwachung – als Romancier der Eine, als Essayist der Andere.

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Es lässt sich nicht behaupten, dass die österreichische Literatur der Gegenwart aufreizend politisch sein will. Auch leidet der Blick hinaus unter einer freiwilligen Selbstbeschränkung. Erstaunlich, dass – wenn sich zwei dann doch den drängenden Problemen unserer Zeit stellen – sie es nicht einmal auf die Longlist für den Österreichischen Buchpreis schaff en. Dabei sind Florian Gantner und Leopold Federmair Namen, auf die man stoßen muss, wenn unsere Verhältnisse einer kritischen Refl exion unterzogen werden sollen. Geheimtipps sind sie längst nicht mehr, und in renommierten Verlagen veröff entlichen sie obendrein. Kein Grund, sie zu übersehen. Zum Thema Überwachung, das uns alle angeht, leisten beide ihren eigenständigen Beitrag, als Romancier der eine, als Essayist der andere. In jedem Fall ist von einem bemerkenswerten Stück Literatur die Rede.

Auftritt Gantner: Sie wohnen in der Quellenstraße 63 in Wien und haben untereinander kaum Kontakt. Sie stehen für unterschiedliche Milieus und verschiedene Herkunft, Generationsunterschiede trennen sie. Jeder in seinem abgeschotteten Bereich, jeder hängt seinen eigenen Obsessionen nach. Und die lassen sich alle darauf zurückführen, dass alle wissen, dass sie unter Beobachtung stehen oder sich selbst auf den Beobachterposten begeben müssen, um die Kontrolle zu wahren. Alle haben bereits ihre Schäden davongetragen mit unterschiedlich verheerenden Auswirkungen. Gantner bedient sich in seinem jüngsten Roman „Soviel man weiß“ eines schweifenden Blicks, der sich wechselweise die Charaktere vorknöpft, um zu sehen, wie sie mit dem Phänomen Überwachung umgehen.

In einer Wohnung versammelt sich eine konspirative Anarcho-Truppe, die vorerst gegen öff entlich platzierte Kameras vorgeht, sich zunehmend radikalisiert und gewalttätig wird. Große Zukunft hat diese Sorte von Stadt-Guerilla nicht, sie zerfl eddert allmählich, Jugendliche ohne Plan und Perspektiven. Eine Zerstörungswut tobt in ihnen, die sich an Symbolen der Kontrolle zu schaff en macht, der bürgerliche Alltag wird sie einholen. Das ist absehbar, als eine von ihnen eine erhebliche Erbschaft macht, diese nicht zu teilen oder sie politischem Aktionismus zur Verfügung zu stellen gedenkt. Verführbar geworden, sucht sie ihren eigenen Vorteil in einem unbeschwert angenehmen Leben. Anders Marek, der zwar als verbummelter Student selbst keinen Fuß auf den Boden bringt, aber im Ansatz die Fähigkeit zur Analyse aufbringt: „Der Algorithmus sagt dir, was hinter den vorgezogenen Vorhängen los ist.“

Der Algorithmus! „Zu bequem sind wir, […] um Entscheidungen zu treff en. Algorithmen treff en sie für uns“, schreibt Leopold Federmair, dessen jüngster Essayband wie eine Ergänzung zu Gantners Roman aussieht. Er bietet das theoretische Rüstzeug für all das, wofür der Roman die Anschauung liefert. Für Federmair befi nden wir uns in einem Zeitalter der Bequemlichkeit, weil wir die Anstrengung meidend „das Einfache dem Komplexen[…], das Bild dem Text […], das Triviale dem Elaborierten, die Verschwörungstheorie der Analyse, den Slogan dem Zweifel, das Poppige der Klassik, das Flüchtige dem Traditionsbeladenen“ vorziehen. Ein verheerender Befund, der von der Abschaff ung der Refl exion und vom Triumph der Sensation spricht. Zu einer Art von Maschinenwesen sind wir degeneriert, wenn wir Entscheidungen über unser Leben an technische Errungenschaften delegieren.

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