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Geschichten, die einen Roman bedeuten

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Ihre sieben „Geschichten vom Fremdsein” nennt Brigitte Schwaiger nach der ersten „Jaro heißt Frühling”, aber bald merkt man, daß nicht nur die Grenze zwischen Oberösterreich und Böhmen, sondern der ganze Boman einer Nachbarschaft zu verstehen ist und -noch genauer beurteilt - ein Lebenskapitel im Bomanleben der Schriftstellerin Brigitte Schwaiger. Sie kommt aus Wien, besucht nach längerer Zeit ihren grenznahen Herkunftsort Freistadt und die dort lebende Mutter. Die Tochter kommt mit dem „vaterlosen” Sohn Michael, fühlt sich zu Hause so fremd wie der zugereiste Jaro, fährt mit ihrem Auto über die geöffnete Grenze und bleibt für längere Zeit in Böhmen. Was sie dort erlebte, berichtet sie hier.

Als junges Mädchen hat sie Fremdsein in Spanien erlebt, dann das gleiche Gefühl während ihrer kurzen Ehe und seither immer wieder; besonders bei den stets enttäuschenden Männerbekanntschaften. Aus einer stammt der fünfjährige Sohn, der es so haben soll, wie sie es nicht gehabt hat, neben drei Schwestern und mit den Eltern. Sie ist voreingenommen gegen die landes- und familienüblichen Voreingenommenheiten. „Böhmisch sein heißt bei uns blöd sein, sich in der Welt nicht auskennen ... Böhmisch ist immer etwas Schlechtes, und Deutsch ist gut, ist klar”, infolgedessen „werden wir gleich deutsch reden miteinander!” Gegen all das hat sie, von Natur aus oppositionell, den Schwaige^Stil entwickelt, kapitellang ein Schwaiger-Deutsch, in welchem sie ungebrochen in „gebrochenem Deutsch” redende Tschechen zu einer Sprache bringt, die sie mit tschechischen Wendungen anreichert. „Franta”, ein junger Mann, wird ein Kapitel für sich, wieder einmal, das heißt für die mit 42 Jahren unbändige, bei Gefühlsproblemen nie beständige Frau: „Franta, das ist meine Angelegenheit!” Die ist aber nicht von Dauer, es folgt ein anziehender Zahnarzt.

Endlich kommt die Zeit der Heimkehr, vorsichtiger gesagt, der Bückkehr, und die Frage der Zollwache: „Wo haben Sie die Papiere?” Die wären in Ordnung, aber: „Jetzt sagen Sie einmal, wieso fahren Sie so oft nach Böhmen? Haben S' an Freund dort?” Einen, und was heißt bei ihr „Freund”? Sie sagt sich, nicht ihm, und uns: „Das weiß ich selber nicht. Es hat mich hingezogen.” Und: „Führe ich etwas mit? Ja, meine Erfahrungen. Und Franta, an den ich mich immer erinnern werde.” Wenn sie „vom Fremdsein” berichtet. Er bleibt bleibende Vergangenheit, allerdings Literatur geworden, inmitten ihrer Gegenwart, die vor allem Michael heißt.

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