Liebesgeschichten, Hassgeschichten, "nachgetragene Liebe" (Peter Härtling) und vorgeworfene Ungerechtigkeit -im Nachdenken über ihre Väter geraten Autorinnen und Autoren in Aufruhr. Ihre Bücher schäumen über unter dem Druck der Gefühle, die sich ein Ventil suchen. Die einen wüten und toben, die anderen kommen ins Grübeln und biegen all ihre Emotionen in Analyse und Reflexion um. Manche stellen ihre Väter, setzen sich mit ihnen - zumindest literarisch - Auge in Auge auseinander, während andere des Fluchtwegs der Fiktion bedürfen, um ihrer eigenen Geschichte den Anstrich der Allgemeingültigkeit zu verleihen. Meine Geschichte ist auch deine Geschichte, lassen sie uns wissen. Aber alle wissen, dass, wenn sie sich mit der scheinbar so privaten Geschichte ihrer Beziehung zu ihren Vätern auseinandersetzen, gesellschaftliche Verhältnisse auf dem Prüfstand stehen.
Zwei Bücher, denen Schlüsselcharakter zukommt, stehen in extremer Opposition zueinander. Das eine ist eine Abrechnung mit dem Vater, das andere seine posthume Ehrenrettung. Zwischen dem Romanessay "Die Reise"(1977) von Bernward Vesper und der literarischen Recherche "Wäre es schön? Es wäre schön! - Mein Vater Rudolf Herrnstadt" (2008) von Irina Liebmann gibt es keine Brücke.
Liebe und Hass
Liebmann, Jahrgang 1943, und Vesper, Jahrgang 1938, gehören der gleichen Generation an, aber sie wirken wie zwei Gestalten aus verschiedenen Welten. Beide schreiben über Männer von öffentlichem Interesse, die sich aktiv ins Zeitgeschehen einmischten und am Ende als Verlierer dastanden. Die Kinder haben keine Chance, sie können die Vergangenheit der Väter nicht wegstecken. Im Schreiben über die Väter finden sie zu sich selbst. Bei Vesper läuft ein Hassprogramm ab, Liebmann findet zu Liebe und Verehrung. Beide Haltungen haben ihre Gründe.
Bernward Vespers Vater war der im Dritten Reich hochgelobte Schriftsteller Will Vesper. Er muss als einer der Unverbesserlichen genannt werden. Er ließ eine Katze als "undeutsches Tier" erschießen und hielt noch in den fünfziger Jahren den Kindern Vorträge über die Katzen als "die Juden unter den Tieren". Nach dem zweiten Weltkrieg war Will Vesper als Autor verschwunden. Er wurde 80 Jahre alt und starb ohne Zweifel an seinem Tun. An den Zweifeln ging der Sohn zugrunde, der 1971 in einer Klinik an einer Überdosis Barbiturate verstarb. Dabei plante Bernward noch in den frühen sechziger Jahren, das Gesamtwerk des Vaters herauszugeben. Gudrun Ensslin, damals eine aufstrebende Germanistikstudentin, unterstützte seine Arbeit mit hymnischen Rezensionen zum Werk Will Vespers. Einige Jahre später probt Bernward den Aufstand im Schreiben: "Und Gott war mein Vater und mein Vater war Gott, morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt, mein Vater hieß Will", so räumt er in "Die Reise" auf mit den langen Schatten der Vatermacht. Ensslin hatte sich da schon Andreas Baader angeschlossen und in den politischen Untergrund verabschiedet.
Aufschrei und Anklage
Bernward Vespers Buch ist der Aufschrei einer kaputten Seele. Ein Aufschrei ist Irina Liebmanns Buch auch. Auf der Anklagebank sitzt aber nicht ihr Vater, sondern die Politprominenz der frühen DDR, die das Leben des aufrechten Kommunisten Rudolf Herrnstadt zerstörte. In den fünfziger Jahren fiel er auf als ein gewandter Redner und Intellektueller mit der Kraft zu eigenen Gedanken. Das wurde ihm zum Verhängnis. Walter Ulbricht, ein stalinistischer Hartschädel, machte ihn verantwortlich für den Aufstand vom 17. Juni 1953, was zum Ausschluss des Unbequemen aus der SED führte. Liebmann beschäftigt sich kritisch mit wunden Punkten deutscher Geschichte und legt obendrein ein Stück großartiger Prosa vor. "Er wollte ein freier Mensch sein und meinte damit wahrscheinlich frei von allen Bestimmungen, in die man hineingeboren wird -frei. Er wollte es so sehr, dass er in die Dienste einer Armee trat, sich anketten ließ als Spion, Mitglied einer Partei wurde, aus der man nicht austreten konnte, sich festlegte als Journalist und Schuld auf sich nahm - das alles für die Freiheit. Mein Papa."
Vespers Buch löste einen wahren Boom an Vaterbüchern aus. Man denke nur an Barbara Bronnen ("Die Tochter", 1980), die schwer damit zurande kam, einen so widersprüchlichen Charakter wie Arnolt Bronnen zum Vater zu haben. Er war Expressionist, befreundet mit Bert Brecht, dann NSDAP-Mitglied und befreundet mit Goebbels, später Kommunist, der in die DDR auswanderte. Von diesem Menschen, der "schrieb und sich schreibend entzog", kam die Autorin nie los. Eines der ersten Vaterbücher der Zeit aber entstand in Österreich, Peter Henischs Roman "Die kleine Figur meines Vaters"(1975). Der Vater ist hier kein Fremdkörper oder Rätsel, das gelöst werden muss, in der Auseinandersetzung mit dessen Biografie erkennt der Autor allmählich sich selbst. Nahe stand Peter Henisch sein Vater nie. Kurz vor dessen Tod ließ er ihn Band für Band vollsprechen, um die Geschichte des körperlich so kleinen Juden zu erfahren, der sich während des Krieges als Kriegsfotograf durchmogelte.
Bei all diesen Texten handelt es sich um Arbeiten, die zum literarischen Kanon des 20. Jahrhunderts zählen wie das Werk Josef Winklers, dessen Schreiben von allem Anfang eine autoritäre Vaterfigur zur Strecke zu bringen sucht. Der Kalbstrick, an dem sich zwei Jugendfreunde des Autors erhängten, wird zum Züchtigungsinstrument des Vaters an einem widerständischen Sohn.
An Schuld würgen
Wie schauen die Vatertexte der Gegenwart aus? Ein schrecklich beklemmendes Beispiel ist "Veit" des Schriftstellers und Filmemachers Thomas Harlan. Der trägt eine schwere Bürde, ist sein Vater doch Veit Harlan, der Regisseur des berüchtigten Nazi-Propaganda-Films "Jud Süß". Bis heute ist der Streifen wegen seiner zum Hass aufrufenden Ästhetik im Giftschrank weggesperrt. Der Sohn übernimmt das schlechte Gewissen, an dem es dem Vater fehlt. "Sage es nicht, Vater, sage es nicht zu oft, es würde sonst wahr werden, sage nicht, Vater, ich könne deine Schuld oder das, was sie gewesen ist, nicht übernehmen, als wäre sie die meine. Ich kann." Das Buch legt Zeugnis ab von einem zerrissenen Menschen, der Liebe und Hass in sich vereint, zwei Mächte, die heftig miteinander ringen und den davon betroffenen Menschen gnadenlos aufzureiben drohen. Der Band ist gespickt mit Vorwürfen gegen einen Uneinsichtigen, und doch gelingt es dem Sohn nie, sich abzugrenzen. Er macht sich stets zum Teil der Geschichte. Er würgt an fremder Schuld, was sich in einem von Pathos gesättigten Text Ausdruck schafft. Im vorigen Herbst verstarb Thomas Harlan im Alter von 81 Jahren kurz nach Beendigung der Arbeit an diesem seinem letzten Text. Den Frieden hat er nicht gefunden.
Auf Versöhnlichkeit gestimmt sind andere Vaterbücher heute. Liebevoll und verständnisbereit geht Arno Geiger in seinem jüngsten Buch "Der alte König seinem Exil" mit seinem demenzkranken Vater um. Auf die Frage, ob es Widerstände gibt, den lebenden Vater zum Thema eines Buches zu machen, antwortete er: "Ja, das ist auch der Grund, warum ich mir sehr viel Zeit gelassen habe mit dem Buch. Dass ich über meinen Vater schreiben wollte, wusste ich schon seit etlichen Jahren, und doch hatte ich Berührungsängste. Ich hatte bisher nur fiktionale Bücher geschrieben. Das ist schon eine ganz andere Herangehensweise, ob ich Herr über ein ganzes Ensemble bin oder ob ich es mit Fakten zu tun habe und der Person meines Vaters gerecht werden soll. Für mich war klar, dass ein schlechter Roman verzeihlich ist, aber ein schlechtes Buch über den eigenen Vater nicht. Wenn ich meinem Vater nicht gerecht werde, ist das nicht zu entschuldigen."
Vollkommen verschieden von dem, was Geiger sonst unternimmt, ist das jüngste Buch nicht. Die Figuren, die in den früheren Romanen durch ihre Verweigerung auffielen, bekommen jetzt in dieser Vatergestalt eine reale Ausformung. Worüber die Bücher früher handelten, vom Unwillen zur Macht, der Unfähigkeit zur Anpassung und dem Unvermögen, aus sich etwas zu machen, nimmt in diesem August konkret Gestalt an.
Schönschreiben
Als der Erzähler in Albert Hollers Roman "Entfernte Heimkehr" (2011) sich in einer Stadt auf dem Balkan umsieht, kann er sich des Ansturms seiner Gedanken nicht erwehren: "In den dreißiger Jahren marschierten hier Menschenmassen, nein, Männermassen, nein, Leute in schlottrigen Hosen und hoch zugeknöpften Jacken. War mein Vater unter ihnen?" Vater ist gestorben, jetzt sucht der Erzähler mit den Augen der Liebe nach Spuren von ihm. Der Sohn traut dem Vater nichts Schlechtes zu. Der war bei Verhören der Nazis als Dolmetscher dabei, jetzt legt der Sohn ihm Sätze der Reinwaschung in den Mund. Der Sohn denkt sich einen integren Vater zusammen. Das ist jedenfalls neu.
Veit Von Thomas Harlan Rowohlt 2011 155 S., geb., € 18,50
Die kleine Figur meines Vaters Von Peter Henisch Deutscher Taschenbuchverlag 2008 272 S., kart., € 9,20
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