7110556-1995_48_37.jpg
Digital In Arbeit

In der Fremde seit der Geburt

Werbung
Werbung
Werbung

Der seit 1950 nieist in England lebende, in Oxford ausgebildete Vidiadhar Surajprasad Naipaul wurde 1932 in Trinidad geboren, war aber auch dort kein Eingeborener. Er stammt aus einer der weit über hunderttausend indischen Familien, die vor dem Ersten Weltkrieg von den Briten als Kontraktarbeiter in die Karibik gebracht wurden, billiger Ersatz für die Schwarzen nach Abschaffung der Sklaverei. Der Erzähler ist besonders bekannt geworden durch seinen „Prolog zu einer Autobiographie” (1984) und den Rückblick „In den alten Sklavenstaaten” (1990). Mit einer Reihe von Romanen hat er Furore gemacht, doch immer wieder schlägt direkt oder indirekt schmerzlich die Heimatlosigkeit durch.

„In a Free State” (1971) liegt nun deutsch vor und ist auch in der Ubersetzung nach der längsten der fünf Geschichten betitelt: „In einem freien Land”. Das klingt selbstbewußt oder gar stolz und ist doch bitter melancholisch. Wo immer die jeweilige Hauptfigur hinkommt: Sie befremdet, ist befremdet, Heimat läge anderswo, wäre leider auch total ungewohnt, also fremd. „Der Tramp in Piräus” auf der Überfahrt nach Alexandria bleibt ebenso „Einer der vielen” wie der Ausgewanderte aus Bombay in Washington, dessen Geschichte mit der Feststellung beginnt: „Ich bin jetzt amerikanischer Staatsbürger” und von dem die Leute meinen, „daß ich es zu etwas gebracht habe. Aber...”, und damit beginnt die persönliche Leidensgeschichte.

Im Vielvölkerland Trinidad gibt es Schwarze, Chinesen, Inder sowie absolut Weiße. Der junge V. S. Naipaul ist ausgewandert, nachdem er das Queen's College absolviert hatte, hat inzwischen viele Völker und Staaten kennengelernt und blieb überall rettungslos fremd. Rettungslos, denn selbst Indien ist nicht sein Herkunftsland, es ist das ihm fremd gebliebene Stammland seiner Vorfahren.

Zumal in den zahllosen Gesprächen kommt alle innere Sprachlosigkeit zur Sprache. Am ausführlichsten bei der langen Autofahrt durch Südafrika, zu der Bobby, Verwaltungsbeamter, Linda mitnehmen mußte, die Frau eines englischen Kollegen. Man redet und redet, immer aneinander vorbei, Bobby und Linda, Bobby und die Farbigen (von denen ihn einer plötzlich insultiert, man weiß nicht, warum) und bleibt, was man ist: befremdet. Beinahe ununterbrochene Konversation, die unausgesprochene Wortkargheit ausdrückt. Man muß freilich in der Sprache zuhause sein, um die Unbehaustheit derart deutlich machen zu können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung