Kunst Forschen - © Foto: Jungbrunnen

„Kunst! Forschen“ von Sigrid Eyb-Green: Das Faszinosum auffächern

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Sigrid Eyb-Greens illustriertes Sachbuch lässt hinter die Kulissen der bildenden Kunst blicken.

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Sigrid Eyb-Greens illustriertes Sachbuch lässt hinter die Kulissen der bildenden Kunst blicken.

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Gibt es Bilderbücher für Erwachsene? Selbstverständlich. Nicht nur die Graphic Novel oder der illustrierte Roman bergen das Potenzial eines faszinierenden Miteinanders von künstlerischer Bild-Textgestaltung und beziehen dabei kunst- und kulturgeschichtliche Traditionen mit ein. Auch das Bilderbuch hat sich seit der Kunstbewegung der Jahrhundertwende (zum 20. Jahrhundert) als Kunstform etabliert und lenkt den Blick über das ästhetische Moment hinaus auf Papiere, Formate und künstlerische Techniken.

Die historischen Wurzeln solcher Bilderbuchkunst reichen zurück bis zu den per Hand illustrierten Ausgaben religiöser Schriften. Aber auch zu Schnittstellen, die Malerei und Buchkunst seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. William Turner zum Beispiel hat einen Gedichtband von Sir Walter Scott mit Landschaftsskizzen begleitet. Möglich wurden Projekte wie dieses erst durch unterschiedliche lithografische Verfahren und Drucktechniken, die einer nicht weniger spannenden Frage folgen: Wie übersetzt man Farbe in Schwarz-Weiß?

In Sprechblasen gesetzt, lenken Leitfragen wie diese durch das illustrierte Sachbuch, das mit seinen ausklappbaren Doppelseiten selbst Teil jenes Faszinosums ist, das es aufzufächern versucht: Kunst wird erforscht, indem ihre Materialität wortwörtlich untersucht wird. Es wird sozusagen hinter die Kulissen der bildenden Kunst geblickt: Das Objekt wird im übertragenen Sinn aus dem Rahmen genommen, untersucht, seziert, durchleuchtet. Neun solcher „Rahmenwechsel“ (so der Name jenes Graduiertenkollegs der Universität Konstanz und der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, in dem die Projekte angesiedelt sind) werden vor diesem Hintergrund zum Ausgangspunkt, um Kunst zu erforschen.

Woraus ist Kunst gemacht? Um die Einzelprojekte literarisch aufzubereiten, könnte niemand geeigneter sein als eine Autorin und Illustratorin, die sich einst selbst mit der Materialität von bildender Kunst befasst hat. Sigrid Eyb-Green weist in ihrem Lebenslauf ein Studium der Konservierung und Restaurierung an der Akademie der Bildenden Künste aus. Nun fügt sie unterschiedliche Erforschungen der Kunst zu einem Wissensbuch, das mit dem Altarfalz zentraler Doppelseiten selbst besondere Materialität aufweist. Und sehr schön in das Jubiläumsprogramm eines Kinder- und Jugendbuchverlages passt, in dem bereits „Das kleine Ich-bin-ich“ gezeigt hat, wie sich das Wesen einer Figur mit der Haptik eines literarischen Genres verknüpfen lässt, das geprägt ist durch das Miteinander von Bild, Text und Buchgestaltung: 1923 wurde der Verlag Jungbrunnen gegründet und fügt seiner nunmehr hundertjährigen Verlagstradition ein Kunstsachbuch hinzu.

Wo ist Kunst zu Hause? Buchstäblich über Jahrhunderte hinweg holt Sigrid Eyb-Green Kunstwerke ins Heute: Hauchzart legt sie weiße Schmetterlingsflügel auf das bordeauxrote Papier einer aufklappbaren Doppelseite, hinter der bereits ein Gemälde von Otto Marseus van Schrieck hervorlugt. (Und ja, beim Aufklappen wünscht man sich, dass man bei der Herstellung mitbedacht hätte, dass der Falz Teile des Kunstwerks verschluckt …) Hier wie auch in allen anderen Kapiteln nutzt Sigrid Eyb-Green erläuternde Skizzen, lenkt den Blick durch Vignetten, streut Werkzeuge zeichenhaft ein, ahmt historische Kunststile nach, hebt Details hervor. Daraus resultiert ein ansprechendes Miteinander von Inhalt und Form, durch das die Textblöcke strukturiert und die neun Einzelaspekte in modellhafter Art präsentiert werden.

Die Aufmerksamkeit wird auf unterschiedliche Aspekte und Verortungen der bildenden Kunst gelenkt: Wunderkammern, Kunst am Bau, sakrale Kunst unbekannter Herkunft oder auch Naturmalerei. Es wird eine kurze Einführung in den historischen Kontexte des jeweiligen Künstlers respektive des Kunstwerkes / der Kunstwerke gegeben. (Und ja, es sind nur männliche Künstler, deren bis ins 14. Jahrhundert zurückreichende Werke erforscht werden.) Der Kontextualisierung des Kunstwerkes folgt der genaue Blick auf unterschiedliche Details: Präsentationsformen, Maltechniken, Farbwahl, Beschaffenheit und Herkunft der Farben, Naturmaterialien und die Beschreibung unterschiedlicher Professionen und Handwerke werden mit rätselhaften Aspekten wie Herkunftsfragen oder der Bedeutung von Bildmotiven verknüpft. Kunst wird damit auch als materiell prekär ausgewiesen: „Kunst! Forschen“ meint auch, Kunst in ihrer Gemachtheit zu erkennen und Kunst damit neu und anders zu betrachten und zu verstehen.

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