Umberto Eco - © Foto: Getty Images  / Leonardo Cendamo

Umberto Eco: "Der Friedhof in Prag" - Macht der Fälschung

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Umberto Ecos Roman über Verschwörungstheorien und die Kraft des Feindbildes.

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Umberto Ecos Roman über Verschwörungstheorien und die Kraft des Feindbildes.

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In seinen "Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus" (1798-99) führte Abbé Barruel die Französische Revolution auf eine Verschwörung der Templer und Freimaurer zurück. 1806 schrieb ihm ein gewisser Hauptmann Simonini einen Brief: Barruel habe die Rolle der Juden übersehen. Antisemitische Verschwörungstheorien griffen um sich - und eine nicht unwichtige Rolle spielten die "Protokolle der Weisen von Zion". Diese 1905 im zaristischen Russland erschienene Schrift behauptete, ein Geheimtreffen jüdischer Verschwörer in Prag zu protokollieren, die Eroberung der Welt sei geplant.

Umberto Eco hat bereits in den vergangenen Jahren in mehreren Essays darauf hingewiesen, dass diese "Protokolle"" aus recycleten Stoffen des populären Schauerromans" fabriziert wurden: Eugène Sue etwa hatte in seinen Romanen den Welteroberungsplan den Jesuiten zugeschrieben. Und die Geschichte der Auswirkungen dieser Protokolle erzählt von der "Kraft des Falschen"(wie sich auch ein Essay Ecos nennt). Obwohl 1921 von der Londoner Times als Fälschung erkannt, wurden die "Protokolle" immer wieder (auch in Hitlers "Mein Kampf") als echt publiziert - bis heute, wie ein Blick ins Internet, den neuen Tummelplatz für Verschwörungstheorien, beweist. Eco erklärt sich das in seinem Essay "Das Komplott" mit dem tiefen Bedürfnis "nach einem klar identifizierten Feindbild". Man glaubt, was man glauben will; je besser die Geschichte erzählt ist, desto leichter glaubt man sie.

Eco beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Fälschungen der Geschichte, die Geschichte schrieben -etwa der karolingischen Schenkung oder dem Brief des Priesters Johannes, der Eingang in Ecos Roman "Baudolino" fand. Er musste für seinen Roman viel lesen, aber wenig erfinden: Dem Briefschreiber Simonini erfand Eco einen Enkel, er ist Ich-Erzähler und Urkundenfälscher für welchen Auftraggeber auch immer, einmal gegen die Freimaurer, einmal gegen die Juden, was gerade mehr einbringt, und laut seinem Schöpfer Eco die "zynischste und unsympathischste Figur der ganzen Literaturgeschichte ".Ansonsten arbeitet Ecos Roman mit historischen Personen und schier unglaublichen Quellen und Ereignissen: Verschwörungstheorien und Komplotte gegen Jesuiten, Freimaurer, Juden, Templer; Intrigen, Mord und Totschlag, zerstochene Hostien und schwarze Messen - so sieht die Geschichte des Abendlandes aus, das sich heutzutage einige auf die Fahnen schreiben wollen, um es ihren Feindbildern als Vorbild entgegenzuhalten.

Verstörende Lektüre

Aus diesem Flickenteppich aus historischem Wahnsinn eine zusammenhängende Romanhandlung zu kreieren, will aufgrund der Stofffülle nicht so recht gelingen, da hilft auch das Abspalten der Hauptfigur in ein Alter Ego nicht oder die zusätzliche Erzählerfigur, die Eco zwar zum Zeitraffen nützt, aber leider nicht dazu, die Perspektive des zynischen Ich-Erzählers zu brechen. Die Last der Geschichte scheint den Roman zu erdrücken, und dennoch liest man weiter, immer verstörter. 500 Seiten hetzerische und antisemitische Töne wollen erst einmal verdaut werden, vor allem wenn man weiß, dass dieser Unfug geglaubt wurde und wird - und wohin das führte. "Aber warum zielen Sie gerade auf die Juden?", fragt Simonini seinen zaristischen Auftraggeber, bevor er jene "Protokolle" verfertigt, die die Massen empören sollen. "Wir brauchen einen Feind, um dem Volk eine Hoffnung zu geben", entgegnet ihm der Russe. Und: "Wäre ich in der Türkei, würde ich auf die Armenier zielen."

Dieser Roman ist eine verstörende fiktive historische Dokumentation der historischen Kraft von Fälschungen. Ecos Anliegen geht im Wirrwarr der Geschichte ein wenig unter, findet sich (vielleicht weil Eco das selbst ahnte) im Anhang dann aber dezidiert erwähnt: Der fiktive Simonini sei eine Collage aus dem, was verschiedene Personen getan haben, und vor allem ist er "immer noch unter uns."

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