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Botschafter des Friedens

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Reinhold Schneider: Ausgewählte Werke. 4 Bände. Verlag Jakob Hegner, Köln und Ölten. (1. Band: Das getilgte Antlitz. 347 Seiten. — 2. Band: Der fünfte Kelch. 290 Seiten. — 3. Band: Dichter und Dichtung. 348 Seiten. — 4. Band: Herrscher und Heilige. 293 Seiten.) — Reinhold Schneider: Gedanken des Fliedens. Verlag Herder, Freiburg. 155 Seiten. Preis 7.50 DM

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Reinhold Schneider: Ausgewählte Werke. 4 Bände. Verlag Jakob Hegner, Köln und Ölten. (1. Band: Das getilgte Antlitz. 347 Seiten. — 2. Band: Der fünfte Kelch. 290 Seiten. — 3. Band: Dichter und Dichtung. 348 Seiten. — 4. Band: Herrscher und Heilige. 293 Seiten.) — Reinhold Schneider: Gedanken des Fliedens. Verlag Herder, Freiburg. 155 Seiten. Preis 7.50 DM

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Mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1956 und der Neuausgabe einer ganzen Reihe seiner älteren Schriften haben die Verantwortlichen des deutschen Volkes das zu sühnen begonnen, was weite Kreise von Unverantwortlichen, aber Einflußreichen dein Manne in den Jahren des kalten Krieges angetan haben, „bis in die Gegenwart hinein, die in Reinhold Schneider immer mehr einen der großen Deutschen unserer Zeit erkennt“.

Wenn man, so mitten zwischen Büchern und Publikationen prominenter deutscher Literaten der Jetztzeit, nun wieder Reinhold Schneiders Werke zur Hand nimmt — die in den Ausgewählten Werken gesammelten Erzählungen, Dramen, Essays und Betrachtungen sind im Zeitraum zwischen 1929 und 1956 entstanden —, dann kommt man aus der gleißenden Hitze und affektierten Kälte, aus Straßen, die in Neonlicht und Reklame leuchten, in eine andere Welt. Stille, Schweigen, Reinheit umfangen uns. Ein großer Advent. Es ist kein Zufall, daß Schneiders Werke die vorzüglichste Adventlektüre vieler Menschen sind. Sie gelten alle dem großen Weltadvent, der Ankunft des Gottmenschen auf Erden. Die Menschen aber nehmen ihn nicht auf. Es ist ein Hauptverdienst Reinhold Schneiders, der das Ringen um die christliche Dramaturgie selbst als „das Problem meines Lebens“ anspricht, immer wieder aufzuzeigen, wie gerade die Spitzen der Menschheit, die am reichsten begabten und begnadeten Menschen. Dichter, Künstler, Männer der Macht und weltpolitischen Verantwortung, große, reiche, kluge Köpfe und Herzen, hier versagen, sich in einem Innersten verwehren. Schneider ist ein Antipode Schillers, dem er in seiner Rede zum Schiller-Jahr eine unvergeßliche Würdigung zuteil werden ließ, die zugleich die behutsamste Distanzierung darstellt. Schiller, und mit ihm nicht nur Dichter, sondern auch viele Philosophen, Historiker, Theologen (man vergleiche Schneiders Nachworte zu den Bänden „Herrscher und Heilige“ und „Dichter und Dichtung“), verwehren sich, im letzten, sowohl der Wucht des Tragischen wie der Wucht des Kreuzes. Die Geschichte geht nicht auf. Die „Helden“ und ,.Heiligen“ lassen sich genau so wenig wie die unzähligen Bettler, Kleinen, Namenlosen erklären. Sie lassen sich eben deshalb auch nicht verklären; sie entziehen sich dem Lob und dem Tadel, dem Rühmen und der Absage. In ihrem Tun und Laasen, r,ihrem Lebenswandel,, in der eigentümlichen Weise, in der sie ihre Substanz einsetzen, wachsen lassen und verkümmern, erweisen sie sich als schonungslos ausgesetzt der Versuchung, dem Versagen, der Niederlage und dem Untergang. Dem Gericht. Eben im Gericht aber kommt ihnen die Gnade zu. — Schneiders Beitrag zu einer christlichen Anthropologie, zu einem Wissen vom Menschen, wird in den vier Bänden der Ausgewählten Werke sehr klar sichtbar. Der Mensch ist kein System, und eben deshalb kann ihn keine Ideologie erreichen. Wohl aber können Bild, Gesicht, Vision, Bericht des Dichters und Sehers anzeigen: sieh da, wie offen ist da alles, am Menschen, im Menschen. Offen nach unten zu: Abgründen der Schuld, der Sünde zu. Und offen nach oben hin: dem Heile und dem Heilen, der Ankunft des Reich Gottes. Reinhold Schneider besitzt ein im ganzen deutschen Raum der Dichtung und wohl darüber hinaus einzigartiges Vermögen — es ist Ausdruck seiner Spiritualität —, Schuld, härteste Schuld, und jammervollstes Versagen — der Blüten der Menschheit, von begnadeten Dichtern, Königen, Päpsten, Frommen und Unfrommen — in einer Weise darzustellen, die weder den Menschen noch Gott denunziert. Das ist eine Leistung, die gerade unserer Zeit, die allzugern in billige Apologie, Apologetik und unbillige Anklage verfällt, einen unschätzbaren Gewinn einbringt. Unnachahmlich — nur bei Gertrud von Le Fort finden sich verwandte Strukturen — zeigt Reinhold Schneider in seinen offenen Bildern und Gesichten auf, wie da der Mensch sich verschuldet, gerade auch in seinem edelsten Bemühen. Wie da die Reiche und Völker und die legitimen gesalbten Träger der Macht — Kaiser, Könige, Kirchenfürsten — scheitern. — Man muß Schneiders Wissen um die Kommunikation aller Menschen und aller Zeiten in Schuld, Sünde, Gericht zur Kenntnis nehmen, will man sein Gesamtwerk als eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung verstehen. Friede und Versöhnung zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Gläubigen und „Ungläubigen“ ; Friede und Versöhnung des deutschen Volkes mit sich selbst, mit seiner eigenen Geschichte. Friede und Versöhnung sind an Sühne gebunden. Es gehört zum schmerzlichsten Erleben des Dichters, ab 1945 sehen zu müssen, wie diese Chance vertan, auch zerredet wurde. Deshalb erneuert sich seit 1945 sein heißes und inniges Bemühen, seinem geliebten Volke und allen Brudervölkern der einen Menschheit vorzustellen, welche Kräfte der Gesundung, der Stärkung dieser Einsicht in die eigene Mitschuld entbunden werden können. Die Ueber-windung der Angst, und damit der Versuchung, nach vorne hinein in ein neues Morden, Mitmorden zu fliehen, weil man sich dem Mitleiden entzog, kann ja nur von hier aus überwunden werden. Es ist wichtig, dies zu sehen: Schneiders Friedensmission im, am deutschen Volke, sein Bedenken des Friedens, hat zwar starke Anregung durch die friedlose Welt, unsere Gegenwart, erfahren, wurzelt aber tiefer als die Katastrophen von 1914 bis 19J8, 1945 und unserer unmittelbaren Jetztzeit. Es ist die Katastrophe der Menschheit, ihre Flucht vor der Tragik und vor dem Kreuz (zwei sehr unterschiedliche Phänomene, Wirklichkeiten, die aber eines gemeinsam haben: sie entziehen sich dem Begriff und Begreifen, können nur in der Annahme erfahren werden), die uns alle friedlos macht. Wer glaubt, die großen Menschheitsfragen mit den uns sattsam bekannten vordergründigen Mitteln „lösen“ zu können, verfällt in den Tiefenschichten der Person einem steigenden Unbehagen, Untrost, jener Feindseligkeit und Gereiztheit, jener neidischen Art und Kurzatmigkeit, die heute verhindern, daß der Christ ein „Frieder“ (Zwingli) wird. Wer das Tragische und das Kreuz in der eigenen Brust verdrängt oder auf andere abschiebt, ist kein Mensch des Friedens. Er ist unglaubwürdig. „An der Glaub•tiaiaods? v.'.t . .rtcriif...- nsiisii/üux isb Jja.ä Würdigkeit liegt/alles. Und die kann kaum anders

erbracht werden als durch die Bereitschaft, für den Frieden zu wirken, zu streiten, ihn in den Menschen zu wagen.“ (Im Vorwort zu „Gedanken des Friedens“, 1956 — im Rückblick auf 1945 und im Vorblick auf die Friedensaufgabe des Christen in Gegenwart und Zukunft.) „Wie sollten die Träger des Friedens darüber erstaunen, daß sie in den Graben zu den Raubtieren geworfen wurden? Dies ist ja der Ort, wo der Friede am bittersten not tut, wo allein der Friede helfen kann; hier muß er sich bewähren. Nur die Augen der Liebe sehen das Brüderliche in den von der Gier verschleierten Augen der Raubtiere; die letzte Gnade, die Möglichkeit der Verwandlung ist nicht von ihnen genommen. Und wie viele Opfer auch die Raubtiere schon verschlungen haben, dadurch sich immer mehr berauschend am Blut und immer bitterer leidend am Durst — einmal muß, einmal wird einer kommen, der ihnen auf eine ganz neue Weise begegnet.“ — „So ist kein Ort des Entsetzens, der nicht zum Heiligtum werden kann, zum Schauplatz der Heilsgeschichte, der Heimkehr der verlorenen Welt. Auch dem äußersten Frevel ist noch dieser Sinn zu eigen, daß er den Heiligen ruft, der das Leiden des Frevler erkennt und seine Tat zurn Lobe wendet“ (ebenda, S. 126/127). Dieser Glaube, dieses Wissen um die mögliche Verwandlung des Bösen in ein heilvolles Geschehen, ist die große, unschätzbare Gabe, die Reinhold Schneider seinem Volke einbringt und seiner Zeit: geängsteten, in ihr Ich verbissenen, sich selbst bewahrenwollenden Menschenkindern, die vor dem erschrecken, was ihre große Freude und Zuversicht sein sollte; vor der Ankunft des Herrn, des Gottmenschen, gerade in den schlimmsten Ereignissen des persönlichen und universalen Lebens. Alles ist Advent; besser: alles Geschöpfliche ist berufen, Advent zu werden. Das ist die Trostweisheit Reinhold Schneiders, des deutschen Botschafters des Friedens 1945 bis 1956.

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