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Brief an einen jungen Buchhändler

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Lieber Freund — nun haben Sie also einen Posten in einer Buchhandlung gefunden. Ihre Freude darüber, die aus Ihrem Briefe auf mich zuspringt, mache ich gerne zu der meinen. Wer sich so ganz mit dem Herzen dem Buche verschrieben hat wie Sie, wird nicht bloß sein Diener, sondern auch sein Förderer und Verteidiger sein. Was aber gut und schön ist, das — glaube ich — wissen Sie schon oder, wo das Wissen noch ausbleibt, fühlen Sie es. Vergessen Sie niemals, daß eine Buchhandlung kein gewöhnlicher Verkaufsladen ist, eine Buchhandlung kann wie ein Tempel sein, und ich erinnere mich gern daran, wie ich oft mit dem Hute in der Hand scheu ein Gewölbe betrat und in stummer Ehrerbietung nach den hohen Regalen blickte, von denen ich die Stimmen von Jahrhunderten zu vernehmen glaubte.

Auf Sie kommt es an, lieber Freund, ob Sie den Eintretenden erkennen, ob Sie den Grad seines geistigen Tastsinnes erraten und wie Sie ihn — wenn er recht unentwickelt ist — beleben, ihm eine gesteigerte Empfänglichkeit vermitteln. Haben Sie niemals Eile, ein Geschäft abzuschließen! Schon Ihre ersten Worte, die ein entscheidendes Gespräch einleiten können, sind wohl zu überdenken, Gespräche in einer Buchhandlung können unvergeßlich bleiben wie ein Spaziergang im Frühling. Man nimmt ihn mit sich nach Haus.

Wie oft denke ich an den Angestellten einer Wiener Buchhandlung zurück — er war an Jahren ungefähr so alt wie Sie —, der hatte die Lyrik zu seinem Lieblingsfach gemacht, und in der Abteilung des Ladens, in der er zu arbeiten hatte, wurden von ihm ständig Kostbarkeiten aus vielen Sprachen zusammengebracht, man sychte dort nicht vergebens nach seltenen Neuerscheinungen. Damals hatte er sich vorgenommen, jeden Tag eine Anzahl Bücher von Rilke zu verkaufen und ebenso von Christian Morgenstern, von diesem aber nicht „Die dummen kleinen Schmetterlinge von der Wiese geistiger Freiheit“, sondern seine Sonette und Epigramme und all die ernsten Gedichte, die seinen „Pfad“ des Lebens säumten. Wie eine Spinne lauerte er auf Kundinnen und Kunden, er vermochte es, ihnen einzelne Gedichte vorlesen zu dürfen, sie aut die Ertorschung von Schönheiten neugierig zu machen. Abends kam er stets ins Cafe Museum, saß beglückt im Kreise von Schriftstellern und Künstlern und berichtete mit Befriedigung über die Anzahl der abgesetzten Exemplare.

Sehen Sie, mein Lieber, das ist ein Beispiel für Sie. Auch in Ihnen ist diese Begeisterung, ich spüre es. Sie werden es auf jene übertragen, in denen sie bloß ein Flämmchen ist und angefacht werden muß. Um dies mit Erfolg tun zu können, muß man den Inhalt' seines Ladens auch wirklich kennen. Das ist doch natürlich. Wie würden Sie einen Schnittwarenhändler beurteilen, der seinen Kunden nichts über die Art seiner Stoffe zu sagen wüßte, der den Unterschied von Baumwolle und reiner Seide nicht verstünde? Oder einen Teehändler, der von seinen Sorten nur Namen und Preis bekanntgeben könnte, der sie niemals kostete und nicht die Fähigkeit besäße, den Geschmack von der Zunge zu nehmen und in ein Wort zu verwandeln oder wenigstens in eine Geste, der aber auch nichts von den magischen Zeremonien der Zubereitung zu erzählen wüßte? Wie armselig wäre ein solcher Kaufmann! Und nun erst Sie, der den wahren Geist verwalten soll, wie könnten Sie mit einem wortleeren Mund und aus einem sinnleeren Herzen zu Ihren Kunden sprechen?

Ich weiß nicht, ob Ihnen schon das schmale Bändchen von Carl J. Burckhardt in die Hände kam — es erschien vor Jahren in der Europäischen Reihe des Basler Verlages Schwabe —, er hat das Gespräch aufgezeichnet, das eines Vormittags bei dem Pariser Buchhändler Augustin geführt wurde, und zwar von Rilke, einem Kunsthistoriker und einem Bibliothekar. Es beginnt bei Ronsard, dem Dichter aus dem Kreise der sehnsüchtigen Plejaden und es geht weiter zu dem strengen Versometer Malherbe, zu Racine, Shakespeare und — Lafontaine. Zuletzt bringt Monsieur Augustin einen ins Fran-sösische übertragenen Johann Peter Hebel daher, er selbst liest die alemannischen Gedichte vor, aber in der Fassung des Oberelsaß, und nun folgt ein Gedankenaustausch über Dichtkunst und über die Geheimnisse der Sprache, der die Welt und die Zeit draußen vergessen macht.

Lesen Sie dieses wertvolle Büchlein, lesen Sie es am frühen Morgen als Vorbereitung für Ihren Gang in die Buchhandlung, es wird Sie kräftigen und bestärken. Zeigen Sie es auch Ihren jungen Kollegen, das wird gut sein. Wir wünschen uns wieder solche Buchhändler wie Monsieur Augustin oder wie Monsieur Blaizot aus der Rue Saint-Jacques, der auf sein Firmenschild die heilige

Katharina malen ließ, und dessen Bekanntschaft Sie sicherlich schon durch Anatole France gemacht haben. Aber auch in dem alten Wien werden Sie ähnliche Gestalten finden.

Und nun wünsche ich Ihnen, lieber Freund, eine unbeirrbare Beständigkeit, einen festen Glauben an die Wirkung guter Bücher, von der stets überzeugt ist Ihr

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