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BRIEF AN FELIX BRAUN

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Erlauben Sie, daß ich heute die Geschichte der Begegnungen erzähle, welohe im „Garten der Dichter“, nahe dem Grillparzer-Denkmal, einen so schönen Anfang nahm. Im Dezember des Jahres 1958 bat ich Sie um die Signierung Ihres Buches „Das Licht der Welt“. Es ist dies nicht nur eines der schönsten Bücher, das ich je gelesen habe, es ist zugleich ein Denkmal Ihres Lebens in wahrhaft edler Form. Nach einigen Tagen, wie es Ihrer Gewohnheit entspricht, erhielt ich Antwort. Eine sehr liebenswürdige Zusage. Im Cafe Wunderer, nahe der Hietzinger Brücke, sollte ich Sie erwarten. Eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt betrat ich das Lokal. Nach meinem ersten Rundgang standen Sie plötzlich, gütig lächelnd, wie aus dem Boden gewachsen, vor mir. Sie sagten, daß Sie sich freuen, mich wieder zu treffen, und ich hatte sofort das Gefühl, es waren keine leeren Worte. Als ich Dank sagen wollte für die im Briefwechsel erfahrenen Hinweise und die große Güte, meine Bitte um Signierung so rasch zu erfüllen, spielte um Ihre Lippen wieder das wunderbar jenseitige Lächeln: „Oh, bitte, bitte. Sie machen mir eine Freude, indem Sie für meine Bücher Interesse zeigen.“ Wir nahmen an einem der kleinen Tische Platz. „Daß Ihnen gerade dieses Buch in unserer

überlauten Zeit etwas zu sagen hatte, berührt mich angenehm. Sie müssen wissen, ich bin vom Echo nicht verwöhnt.“ Sie entnahmen Ihrer Tasche einen zierlichen Krayon: „Gestern bekam ich ihn von meiner Schwester.“ Wie liebevoll Sie diese Worte aussprachen. Das innige, auch den geistigen Bereich einschließende Verhältnis wurde deutlich. Neben die erbetene Unterschrift und einen wohlwollenden Wunsch setzten Sie in spanischer und auch in deutscher Sprache das Wort der heiligen Therese von Avila: „Da pena ver lo que somos — Es schmerzt, zu sehen, was wir sind.“

Es war, als hätte diese Stunde in diesem Satz ihre Segnung erfahren. Er hätte dem Buch als Motto vorangesetzt werden sollen. „Die Menschen haben für die Sprache der Stille kein Ohr mehr“, sagten Sie. Sie seien froh, so alt zu sein und von dem Gedränge des Kommenden nicht mehr viel erleben zu müssen. Ohne Bitterkeit sagten Sie das. Wie eine Feststellung, der man als Tatsache ins Auge sehen muß. Ich möchte heute widersprechen, wozu mir damals der Mut fehlte. Viele Menschen kenne ich, die Ihre Werke lieben. Die Ihre Person nicht nur hochschätzen, sondern verehren, wie etwa ein Dichter in Frankreich verehrt wird. Sie legen damit ein Bekenntnis ab zu allem Großen, Edlen und Schönen, das in der Stille wird, wie alles Bedeutende. Albert Mitringer hat in einem Wort über Ihre herrlichen Essays „Die Eisblume“ sehr Gültiges ausgesprochen: „Essay-Sammlungen von einem Dichter sind Biographien des Geistes und der Seele.“ Es ist ein Buch, das man nicht in einem Zug lesen sollte (obwohl es dazu drängt), sondern wie die Witwe des Dichters Anton Wildgans einmal sagte: „Immer wieder nehme ich es zur Hand, immer wieder lese ich darin voll Erhebung.“ In eine Sphäre unendlicher Ruhe und Güte versetzt fühle ich mich, wenn ich in dem Buch lese. Es ist gewiß kein Zufall, daß eines der ersten Kapitel „Einleitung zu einer Diskussion über Güte“ heißt. Güte ist ein Wesenselement Ihrer Persönlichkeit. „Ich soll zu Ihnen über Güte sprechen, das scheint mir eine Anmaßung zu sein. Denn Güte ist zu erweisen, anzuwenden, zu tun; über sie reden bewegt nichts.“ Welch ein herrliches Wort. Sie stehen hinter diesem Wort wie kaum jemand. Ihre Güte ist erwiesen und sie bewegt. Ihrer Güte danke ich, daß dem ersten Kapitel meiner „Kindheitserinnerungen“ mehr und mehr zugewachsen sind. Viele davon durfte ich Ihnen schicken, nicht ohne wertvollen Rat und Hinweise erhalten zu haben. Zögernd tat ich es, um Sie nicht zu belästigen. Stets haben Sie mir jenes einfühlende Wohlwollen erwiesen, das fördernd und bestärkend wirkt.

Als ich vor längerer Zeit bei Maria Grengg in Rodaun zu Besuch war, gedachte ich Ihrer Besuche bei Hugo von Hofmannsthal, der einst dieses schöne Haus bewohnte. Wie sehr wünschte idh Ihre Anwesenheit, wünschte das Fenster genannt, an dem Sie mit dem großen österreichischen Dichter gesessen. Nicht wenig befangen durchschritt ich die Räume, welche das „schwebende Erlebnis“ Ihrer einstigen Begegnung wie eine ferne Ahnung in sich trugen. Vor dem offenen Fenster saß ein Vogel im Gezweig eines Baumes und sang sein Lied. So muß es damals gewesen sein, dachte ich. Noch einmal wünschte ich Ihre Gegenwart.

Alle Einblicke, die Sie im „Musischen Land“ gewähren, sind Denksteine erlesenster Art. Was Sie in übergroßer Bescheidenheit „Versuche“ nennen, sind in Wahrheit vollendete Werke, von denen jedes einzelne verdienen würde, als Sonderdruck zu erscheinen. Heute muß ich Ihnen sagen, daß ich die Liebe zu unserem schönen Vaterlande aus diesem Buch noch einmal empfangen durfte. In noch höherem Maße. Jene Heimat, welche Sie im Jahre 1947 in Gestalt der inzwischen verstorbenen Dichterin Paula von Preradovic begrüßte und die Verbannung vergessen ließ.

Besondere Auszeichnung und Freude erwiesen Sie mir durch einige Bemerkungen über Ihre Begegnung mit Reinhold Schneider in Wien. An einem Novembervormittag im Unterrichtsministerium lernten Sie ihn kennen. Wenige Tage danach fand die zweite Begegnung statt. Diesmal im Akademietheater bei der Feier des Burgtheaters zu Max Mells 75. Geburtstag, wo Sie die Festrede hielten. Von der Bühne in die Loge zurückgekehrt, erkannten Sie im Hintergrund denselben Reinhold Schneider. Er lehnte es ab, vorne Platz zu nehmen. Gut kann ich mir denken, daß Sie an seiner Stelle nicht anders gehandelt hätten. Reinhold Schneider kannte Ihre Ubersetzung der Gedichte des heiligen Johannes vom Kreuz und wollte besonders die Tragödie „Kaiser Karl V.“ lesen. Ich hoffe, daß gerade Reinhold Schneider noch Gelegenheit fand, dieses Werk voll „bewegungsstarker Szenen“, wie Nadler einmal sagte, und in kristallklarer Reinheit kennenzulernen. Wenig, viel zuwenig kenne ich von Ihrem lyrischen Werk. Das Gedicht „Der Angler“ mußte Reinhold Schneiders Begeisterung erregen, darüber gibt es keinen Zweifel. Weisen doch viele seiner Bücher auf Kronen hin. Die Aufforderung, mit der das Gedicht anhebt, ist von unabweisbarer Gültigkeit: „Üb in dir die lange Geduld des Anglers...“ Wir haben Geduld verlernt oder nie richtig gelernt. Darum sind wir oft unglücklich und verzagt. Bei meiner Arbeit an den Kapiteln der „Kindheitserinnerungen“ nahm ich oft das Gedicht „Gespräch im Alter“ vor. Gerne verweilte ich bei dem Vers: „Des Kindes Leben ist das Spiel. Wann hatte meins ein andres Ziel?“

Lange vor der ersten Begegnung erwarb ich Ihre Anthologie „Der tausendjährige Rosenstrauch.“ Wie bezeichnend für Ihre vornehme Haltung, Ihr Hinter-dem-Werk-Zurück-treten, steht Ihr Name ganz klein gedruckt auf der Rückseite des Titelblattes. Das beschließende Gedicht stammt von Hans Leifhelm. Man hätte kein schöneres wählen können.

Heinrich Lersch war zu Fuß nach Wien gekommen, las seine Gedichte vor und bat beim Abschied für seinen Freund Hans Leifhelm um Aufnahme. Ohne Bedenken stimmten Sie zu und haben damit eine großmütige, edle Tat gesetzt. In Ihrem „Gespräch über Stifters Mappe meines Urgroßvaters“ sagten Sie: „Es gibt eine Größe, die unbedingt groß ist. Das ist die des Genies. Es gibt eine Größe, die nicht weiß, daß sie groß ist. Das ist die des Einklangs.“ Beide treten uns in Ihrem Wesen und in Ihrem Werk entgegen. „Zwar weiß der Dichter, daß er zur Vollkommenheit nie durchgelangen kann, dennoch ersehnt er sie. Er besitzt das Wort für das, was die andern bestenfalls fühlen.“

Als ich wieder eine neue Arbeit vorlegte und einige Hinweise erbat, waren Sie sofort freudig bereit, sie zu geben. Jede Anregung war getragen von unendlichem Zartgefühl und Ehrfurcht. „Alles andere, was ich Ihnen noch sagen könnte, steht im Geleitwort zur Anthologie: ,Dichten heißt übertragen. Wie aus der Sprache, die wir reden, die hohe der Poesie wird, so aus dem Bild, das wir schauen, das Sinnbild, das wir ahnen.'“ Ihrem Rate folgend habe ich das Geleit noch einmal in mich aufgenommen. Die Wahrheit wurde mir deutlich: „Ein für alle Male ist's Orpheus, der singt.“

Es war völlig dunkel, als wir aus dem Lokal auf die Straße traten. Ich war erfüllt von der Klarheit Ihrer weisenden Worte. Wunderbar erhoben und bestärkt von der hellen Begegnung. — In diesen Tagen, wo man sich anschickt die Feier Ihres 80. Geburtstages zu begehen, nach ehrenden Worten für Sie und Ihr Werk sucht, wird es allen gleich mir ergehen an jenem Winterabend: Nicht Sie werden durch unsere Glückwünsche beschenkt, sondern wir werden in reichstem Maße beschenkt durch Sie. Durch die still, aber eindringlich wirkende Kraft Ihrer Werke, die noch lange über uns leuchten mögen gleich Sternen jenes Winterabends. Leise und bescheiden im Bewußtsein der wahren Größe, im rastlosen Streben der Sehnsucht nach Vollendung.

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