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Briefe und Lustspiele Hofmannsthals

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Hugo von Hofmannsthal / Carl J. Burckhart. Briefwechsel. S.-Fischer-Verlag, 339 Seiten. Preis 16.80 DM.

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Hugo von Hofmannsthal / Carl J. Burckhart. Briefwechsel. S.-Fischer-Verlag, 339 Seiten. Preis 16.80 DM.

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Carl J. Burckhart, einem alten Basler Ratsgeschlecht entstammend, Historiker und Diplomat, zuletzt Präsident des Roten Kreuzes und Gesandter der Schweiz in Paris, war, als er Hofmannsthal im Winter 1918 kennenlernte, Attache an der Schweizer Gesandtschaft in Wien. Den um 18 Jahre Jüngeren haben die ersten Begegnungen mit dem Dichter eher beschwert. Mit seinem ausgeprägten Sinn für geistigen Besitz war Hofmannsthal einer jener Menschen, die mit aller Deutlichkeit spürten, was damals zu versinken begann. Dieser „Drang, zu umfassen, zu erhalten“, verband ihn mit dem Jüngeren. In einem Brief an Burckharts Mutter spricht Hofmannsthal auch aus, daß ihm in dem jungen Basler die besten Elemente des Deutschtums verkörpert erscheinen, „die Mischung in seiner Natur des Zarten mit dem Mächtigen, des Jünglinghaften mit dem Männlichen“. Erstaunlich, ja bestürzend zuweilen erscheint, wenn man heute diese Briefe liest, die Fähigkeit Burckharts, die Zukunft ahnend zu erschauen. Es waren keine freundlichen Bilder, die er da sah und in ausführlichen, monologischen Briefen dem älteren Freunde schilderte: Die gewaltigen Entdeckungen der Epoche auf wissenschaftlich-mathematischem Gebiet könnten plötzlich virulent werden. Eine Weltorganisation der Völker wäre die Folge, aber keine der großen europäischen Nationen werde bereit sein, auf ihren Primatanspruch zu verzichten. „Noch ein europäischer Bruderkrieg, und es wird so weit sein, daß wir einzig noch mit unseren Miasmen die übrige Welt anstecken können. Gibt es so wenige, die die Schrift an der Wand zu lesen vermögen?“ Die drohende Gefahr heißt Rußland mit seinen asiatischen Massen, die, der einstigen religiösen Bindungen ledig, unter den Parolen einer neuen Heilslehre sich anschicken werden, die Welt zu erobern (Brief aus dem Jahr 1925). Eine noch größere Gefahr bedroht Europa von innen her: der Zerfall der sittlichen Werte. Es werden Philosophien entstehen, die das Faustrecht verherrlichen. Die Psychologie in der Form der Psychoanalyse wird im Laufe des Jahrhunderts viel mächtiger werden als alle anderen Lehren. Die medizinisch behandelte Psyche, ein halbsomatische, anfällige Sache, wird den Menschen nicht mehr zu schützen und zu leiten vermögen. — Das sind einige der Hauptthemen der Burckhart-Briefe. Hofmannsthal widerspricht selten, er ist der aufmerksame Zuhörer, er berichtet von seinem Leben, seiner Arbeit. Obwohl zeitweise selbst sehr verdüstert, ist Hofmannsthal der Zuversichtlichere. Das Gewaltige all dieser neuen Dinge hebe ihn darüber hinweg, „über dem. was mit Oesterreich zerstört wurde, zu brüten und den Rest meines Lebens in unfruchtbarer Verbitterung zu verlieren. Meine Heimat habe ich behalten, aber Vaterland habe ich keines mehr, als Europa." — Dieser Briefwechsel zählt zu den bedeutendsten Publikationen der letzten Jahre.

Lustspiele III, 402 Seiten. — Lustspiele IV, 475 Seiten. Von Hugo von Hofmannsthal. S.-Fischer- Verlag. Preis 18.50 und 24 DM.

Diese beiden Bände sind der 11. und 12. der von Herbert Steiner betreuten Gesamtausgabe der Werke Hofmannsthals, die knapp vor ihrem Abschluß steht (es folgen nur noch Dramen III und IV sowie einige Nachlaßbände). Der vorletzte Band der Lustspiele enthält die 1911 erschienene Umdichtung von Molieres „Bürger als Edelmann“, nach welchem die. Opera šeria „Ariadne“ im Haus des Neureichen gespielt werden sollte. Es kam, wie wir wissen, nur an einem einzigen Theater zur Aufführung beider Stücke; dann entschlossen sich Strauss und H. v. H. zu einer Umarbeitung. Das Resultat war der vorliegende Text der „Oper in einem Aufzug", mit dem der 3. Band eröffnet wird. — Die etwas abrupt schließende „Phantasie über ein Raimundsches Thema“ („Eduard und die Mädchen“) wurde vor kurzem vom Akademietheater uraufgeführt. Sehr reizvoll ist auch das Ballettszenar „Prima Ballerina“, das man ebenfalls einmal wieder erproben sollte. Bewundert man in diesen Stücken sowie in der Moliėre-Nachdichtung die leichte und geschickte Hand Hofmannsthals, so nimmt man beim Lesen der Notizen zu „Danae" teil an dem reichen assoziativen Denken des Dichters. Erstaunlich, daß sich aus so vielfältigen und nach allen Seiten hin ausschweifenden Gedankengängen am Ende doch noch lebensechte und bühnenfähige Gestalten geformt haben.

Der 4. Band der Lustspiele enthält drei vollständige Texte: „Arabella" in der für Richard Strauss bestimmten Fassung (nebst einem sehr reichhaltigen und ausführlichen ersten Akt der ersten Version), ferner das Lustspiel „Dame Kobold“, das freilich mehr ist, als eine „freie Uebersetzung" des Calderon (außer dem Versmaß und der Fabel blieb kaum etwas unverändert), schließlich „Der Unbestechliche", der anläßlich der Premiere im Akademietheater im Rahmen unserer Kunstreferate ausführlich besprochen wurde. Hofmannsthal war auch kleinen Uielegenheitsarbeiten nicht abgeneigt. Zwei charakteristische Beispiele: Ein heiterer szenischer Prolog im Stil und mit Figuren Goldonis sowie eine Gesprächsszene zwischen Schauspielern des Theaters in der Josefstadt über das „Theater des Neuen“ (1926) mit einer Würdigung des jungen Bert Brecht; schließlich eine Kurzszene aus „Timon der Redner", aus einer nicht vollendeten Komödie. Wer Hofmannsthals übrige Werke kennt, wird in den Lustspielen zahlreiche Parallelen zu den großen, tragischen Stücken finden. Die Probleme und Gestalten gleichen sich, nur tragen diese hier eine heitere Maske.

Dichterische Visionen menschlicher Urbilder in Hofmannsthals Werk. Von Rudolf F a h m e r. Ankara. 162 Seiten (Schriften des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 3. Veröffentlichungen der philosophischen Fakultät der Universität Ankara. 100). Preis 4 DM.

Von allgemeinen Betrachtungen ausgehend, die das Wesen der Kunst in ihrer Wirkung sehen, wird der Sinn der Dichtung als vieldeutig bezeichnet. Der Sinnwandel ist durch Menschen, Räume und Zeiten bestimmt. Den Zugang zum Dichtwerk ermöglicht die innere Begegnung. Die Darstellung geistiger Bilder von besonderen Daseinsweisen definiert der Autor als menschliche Urbilder in lebendigen Gestalten. Es werden drei Arten dichterischer Menschenbilder unterschieden: das unteilbare Einzelwesen, das einer historischen Persönlichkeit nachgebildet ist, der wiederholbare Typus, dem bestimmte Charakterzüge anhaften, und die mythologische Figur, die senon vorhandene geistige Bilder neu prägt. Bei Hofmannsthal finden wir jede Kategorie vertreten, doch läßt sich eine scharfe Trennung schwer durchführen, da Mischarten vorherrschen. An je zwei Werken der Früh- und Reifezeit wird die Gestaltenschöpfung dargelegt. Die Zentralfiguren im „Tod des Tizian“ enthüllen die Urbilder des meisterlichen und des erwachend-erweckten Menschen. Während über die Brücke des „Kleinen Welttheaters“ die Glücklichen schreiten, die am verzauberten Leben des Dichters teilnehmen, stehen sich im „Großen Welttheater“ der freie und der bedingte Mensch gegenüber. „Der Turm“ zeigt die Antithese der großen Reihe der Machtverfallenen und des neuen Retters. Hofmannsthals Urbilder bannen das Böse und verherrlichen das Hohe. Briefe aus den Sommertajen von 1904 bezeugen das schöpferische Glück, das damals über den Dichter in Visionen hereinbrach und zugleich die dichterische Substanz für die zweite Lebensbälfte bildete. Die menschlichen Urbilder der präexistenten Lebensstufe kehrten wieder und wurden im umbildenden Gedächtnis wach erhalten. Ueber allem Schein der Wirklichkeit bekennt sich Hofmannsthal zu dem, was er gestaltet. „Das All stürzt dahin“, sagt er einmal, „aber die Visionen des Dichters sind die Punkte, die ihm das Weltgebäude tragen." Zu diesen Visionen zählt Fahmer die menschlichen Urbilder, die in lebendigen Gestalten dargestellt werden. Ihre Macht ist eine der wesentlichen Leistungen von Hofmannsthals Dichtertum.

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