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Buch der Haßgesänge

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Es ist erfreulich, daß in der angelsächsischen Welt, in der bis vor kurzem die Kenntnis an der geistigen und politischen Situation des europäischen Kontinents auf einen recht kleinen Kreis beschränkt war, sich in den letzten Jahren in der Publizistik und in der Literatur eine lobenswerte Anteilnahme an den gesamteuropäischen Problemen zeigt und in steigender Zahl Werke erscheinen, die dem britischen und amerikanischen breiten Publikum ein Bild der europäischen Lage vermitteln. Die zunehmende Verbreitung solcher Bücher trägt entscheidend dazu bei, die sich bahnbrechende Erkenntnis von der Einheit der christlich-abend-lndischen Kultur und der ihr aus dem eurasischen Osten drohenden Gefahren zu vertiefen. Begreiflich, daß es Interessenten gibt, die diesen Prozeß störend empfinden und auf ihre Weise es versuchen, die alte Welt der Entzweiung, des Vorurteils und des Hasses zu konservieren. Ein Unternehmen dieser Art ist das in einer englischen und einer amerikanischen Ausgabe erschienene Buch „The Vatican in World P o 1 i-t i c s“ von Avro Manhattan, anscheinend einem italienischen „fuoruscito, der, wie aus einer Umsdilagsnoliz zu entnehmen, im Krieg der Ansager der italienischen Sendungen des britischen Rundfunks war.

Der unverfängliche Titel und das an die Spitze des Werkes gestellte Zitat Macaulays: ,Es ist unmöglich zu bestreiten, daß die Politik der römischen Kirche ein wahres Meisterstück menschlicher Weisheit ist“, läßt zunächst eine ernste Behandlung des Themas erwarten. Doch schon die Vorrede macht stutzig, deren Autor von dem Buche sagt, daß der Verfasser „mit ungewöhnlicher Klarheit den Konflikt der römischen Kirche mit den Freiheiten der Demokratie“ darlegt. Noch deutlicher spricht das Vorwort zur amerikanischen Ausgabe; als die drei Hauptziele, die angeblich dar Politik des Vatikans zugrunde liegen, werden genannt: die Vernichtung des Kommunismus und Sowjetrußlands, die geistige Eroberung der Vereinigten Staaten Amerikas und die endgültige Katholisierung der ganzen Welt. — Das Buch ist eine einzige Anschuldigung gegen die kuriale Politik auf Grund dieser drei Thesen, die immer aufs neue eingehämmert werden; In der Ausführung wird die erste These immer mehr erweitert, indem als Gegenstand des „Hasses“ des Vatikans nicht bloß Kommunismus und Sowjetrußland, sondern Liberalismus, Demokratie, Sozialismus, überhaupt „jegliche Freiheit und jeglicher Fortschritt der Menschheit bezeichnet werden. Einer Reihe von Kapiteln, die dem Aufbau der kirchlichen Organisation und ihrem Funktionieren gewidmet sind, folgen Auhandlungen über die kuriale Politik in den verschiedenen Staaten, die — nach dem Verfasser — natürlich überall die Entstehung autoritärer und reaktionärer Regime begünstigt habe, um in ihnen eine Waffe gegen Kommunismus und Sozialismus zu haben. Durch „Greuelpropaganda“ habe der Vatikan die Völker (!) zum Kriege gegen die Sowjetunion gehetzt, dagegen zu den Missetaten der autoritären Regime geschwiegen oder doch nur sehr lau gegen sie reagiert, ja, die Kirche habe, anstatt zur Vermeidung einer dritten Weltkatastrophe mitzuhelfen, gewallig dazu beigetragen, die tiefe Kluft zwischen den beiden Teilen der Welt zu erweitern.

Das Buch ist offensichtlich auf Leser gemünzt, die wenig vom Wesen der katholischen Kirche wissen und aus parteipolitischen Vorurteilen oder aus veralteten Schreckvorstellungen ihr mißtrauisch gegenüberstehen. Auf diese Kreise würden aus der katholischen Glaubens-und Sittenlehre und den Enzykliken der Päpste geschöpfte Argumente kaum irgendeine Wirkung ausüben. Die Antwort auf das Werk Manhattans kann deshalb nur auf historischem und politischem Gebiet erfolgen. Allerdings müßte eine Widerlegung, die alle geschichtlichen Irrtümer, Oberflächlidikeiten, absichtlichen Vernebelungen, kunstvollen Verdrehungen, geschickten Versdiweigungen ,und schließlich offenkundigen Phantastereien des Buches aufzeigen wollte, fast ebenso lang werden wie dieses selbst. Wir können daher nur einige Beispiele für die Art der Mache herausgreifen.

Das erste der Länderkapitel ist Spanien gewidmet. Hier findet der Autor durch eine weltweite, vieljährige Tendenzmacherei den Boden für seine neue Abwandlung der von extremen Linkskreisen ausgehenden Darstellung des alten Spanien, des Bürgerkrieges und des Franco-Regimes genügend vorbereitet.

Kühner muß er schon bei dem Kapitel „Italien“ werden, in dem er mit der Feststellung beginnt, das Verhältnis des vorfaschistischen Italien zur Kirche sei charakterisiert gewesen „durch die Versuche der Regierung, die Nation von den Eingriffen der Kirche in das Leben des Staates zu befreien“. Die hier vollzogene Rollenverteilung könnte selbst demjenigen, der nur einen Schimmer von den italienischen Verhältnissen von 1870 bis 1910 besitzt, ein Lächeln entlocken. Es gehört Verwegenheit dazu, heute ein paar Jahrzehnte nach den geschichtlichen Ereignissen, erzählen zu wollen, die italienischen Mittelparteien — mit Einschluß der katholischen „Popolari“ — seien gerade auf dem besten Wege gewesen, in Italien die inneren Schwierigkeiten zu meistern, als dies durch den „Entschluß des neu-gewählten Papstes Pius XI. vereitelt wurde, nicht bloß in Italien, sondern in allen katholischen Ländern die katholischen Parteien aufzulösen und so den autoritären Strömungen den Weg freizumachen“ (!).

Spricht das Buch von „Deutschland, Vatikan und Hitler“, so gerät es sofort in das Gebiet der politischen Hintertreppenromantik. Man hört da, daB der Vatikan die in der deutschen Zentrumspartei vorhandenen demokratischen Ansätze systematisch bekämpft und die reaktionäre Richtung gestärkt habe, um so die Massen für die Diktatur Hitlers vorzubereiten; es sei denn auch die Machtergreifung durch Hitler nur durch ein verwickeltes, vom Vatikan gelenktes Intrigenspiel gelungen, in dem Brüning, Prälat Kaas, v. Papen teils bewußt, teils unbewußt mitgewirkt haben. Der Pakt des Vatikans mit Hitler sei auf der Hoffnung gegründet gewesen, das nationalsozialistische Deutschland werde zur wirksamen Angriffswaffe gegen Kommunismus und Sozialismus, gegen Rußland und die Orthodoxie werden.

Aus dem Kapitel „Österreich“ erfahren wir, daß im ganzen 19. Jahrhundert das österreichische Völkergemisch von einem Kaiser beherrscht wurde, der „wie ein mittelalterlicher Monarch absolut geherrscht“ habe, wobei „die Jesuiten allmächtig waren“. Die innere Politik Österreichs nach 1918 wird mit einer gehässigen Einseitigkeit dargestellt, die in diesem Ausmaß heute sogar in der parteipolitischen Publizistik Österreichs erfreulicherweise nur mehr selten anzutreffen ist. Heiter aber wird es, wenn der Verfasser sein Wissen über die — „vomVatikan inspirierten“ — außenpolitischen Pläne Monsi-gnore Seipels zum besten gibt. Wir zitieren wörtlich:

„Von Jugoslawien wollte Seipel die Kroaten — ein Drittel des Landes — lostrennen, weil diese von der Zentralregierung in religiöser Hinsicht bedrängt wurden. 'Die Tschechoslowakei sollte in zwei Teile gespalten werden, indem die katholische Slowakei den hussitischen Ketzern und freisinnigen Tschechen entrissen und mit dem unter Rumänien gefallenen Teil Ungarns (sie!), vereinigt werden sollte. In Ungarn wollte Seipel einen katholischen Herrscher einsetzen — möglicherweise (!) einen Habsburgsprossen —, um so zu verhindern, daß Kalvinisten wie Horthy und Bethlen ein katholisches Land regieren. Das war noch nicht alles. Wenn die Umstände es zuließen, sollte der Plan Bayern einschließen, das Frankreich von Berlin zu trennen versuchte, und Elsaß-Lothringen (!). Es sollte ein katholisches Imperium sein, einä päpstliche Föderation!“ usw. Nach dieser Probe kann es nicht mehr wundernehmen, daß die Hirtenberger Waffen-schmuggelaffäre zu einem internationalen Komplott gegen Jugoslawien aufgedonnert wird, das in der Ermordung König Alexanders gipfelte und an dem „Mussolini, die halbfaschistische ungarische Regierung, die österreichischen Heimwehren und Dollfuß“ verwickelt waren, natürlich alle unter vatikanischer Leitung. Ganz tief in die geheimen Abgründe der vatikanischen Politik aber leuchtet der Verfasser mit der Versicherung, daß der Vatikan mit der Regierung Schuschnigg ein „doppeltes Spiel getrieben“ habe und Österreich schon lange an Hitler um den Preis von dessen Bundesgenossenschaft gegen Kommunismus und Sozialismus „verkauft“ hatte. Obwohl sich Schuschnigg in letzter Stunde gegen dieses Komplott zur Wehr setzen wollte, sei dieses infolge des engen Zusammenspiels von Hitler, Papen, Seyß-Inquart, der ein Vatikanagent war, und Kardinal Innitzer (sie!) doch gelungen.

Die der Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Frankreich gewidmeten Artikel sind beiläufig dem österreichischen ebenbürtig.

Die Ausführungen des Abschnittes „Vatikan und Rußland“ fassen noch einmal alle Anwürfe wider die vatikanische Politik und deren unerschütterlichen Vernichtungswillen gegenüber der friedliebenden und immer wieder Beweise ihres guten Willens liefernden Sowjetrepublik zusammen. Der Vatikan ist der Wolf und der Gegenpart ein liebes, unschuldiges Lämmchen, ein Gemälde, das ein Pinsel von kaum zu übertreffender Bosheit und Lügenhaftigkeit gemalt hat.

Es hat eine nicht sehr weit zurückliegende Zeit gegeben, in der mit einiger Aussicht auf Erfolg die Spekulation auf die Unwissenheit in bezug auf die katholische Kirche und das Papsttum unternommen werden konnte. Diese Zeiten snd vorüber. Unzählige Nichtkatholiken der verschiedenen öffentlichen und gesellschaftlichen Rangstufen haben, namentlich in den letzten zehn Jahren, Gelegenheit gehabt, die katholische Kirche und ihr Wirken kennen und als die große, unüberwindliche Kraft gegen die Unterwelt verstehen zu lernen. Wenn heute noch die Verleumdung Aussicht auf den Sieg der Unwahrheit und der Bosheit haben soll, dann müßte sie wenigstens mit größerer Klugheit und Vorsicht zu Werke gehen als dieser Avro Manhattan, der weder ein Brite noch ein Italiener ist, aber wahrscheinlich ein guter Geschäftsmann.

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