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Bücher aus der Gefangenschaft

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Ernst Wiechert: „Der Totenwald“. — Buchenwald-Gedichte eines Wieners. — L. Steinwender: „Christus im KZ“

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Ernst Wiechert: „Der Totenwald“. — Buchenwald-Gedichte eines Wieners. — L. Steinwender: „Christus im KZ“

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Aus dem Erlebnis der KZ-Gefangenschaft ist ein Strom von Schilderungen hervorgebrochen, der monatelang die Zeitungen durchflutete. Uberstandenes Leid, Geschehnisse von solchem Grauen, daß Menschen, die s;e nicht miterlebten, wären nicht viele Tausende als Zeugen vorhanden gewesen, sie für Phantasiegebilde kranker Gehirne hätten halten können, Enthüllungen, die erschreckt zurückfahren ließen vor dem Antlitz einer Menschheit, die kaum mehr den Namen Mensch verdienen durfte, zogen in diesen Veröffentlichungen vorüber. Die physischen Greuel waren nicht alles. Schlimmer waren die seelischen Qualen, denen die Opfer in kühler Berechnung vom ersten Tage an unterworfen wurden, da sie — ohne Anklage, ohne Verurteilung, der Freiheit beraubt, einem unbekannten und unbegrenzten Schicksal überantwortet wurden, öfter belehrt, daß sie niemals ihre Heimat, ihre Familie wiedersehen und ihr Grab „dort drüben hinter der Mauer“ — es gab anfänglich noch keine, Krematorien bei den Lagern — haben würden. Fortan waren sie Deklassierte, rechtlose Sklaven, irgendwelchen Buben, wenn nicht abgestraften Verbrechern ausgeliefert, verhöhnt in allem, was ihnen heilig war, der Meuterei beschuldigt, wenn sie sich dagegen auflehnten, mit den schwersten Leibesstrafen bedroht, wenn sie etwa bei einem priesterlichen Kameraden religiösen Trost suchten.

Aus dem Düster dieser schreckhaften realistischen Welt tritt jetzt in einer Reihe von literarischen Neuerscheinungen, von namhaften Schriftstellern geformt, das seelische Erlebnisbild des Gefangenen hervor. Einer der Begabtesten des deutschen Schrifttums, Ernst Wiechert, der 1938 zuerst nach dem Münchener Hauptquartier der Gestapo, dem Wittelsbacher Palais, und von dort nach einer weiteren Gefängnishaft nach Dachau geschleppt worden war, schildert in einem soeben vom Rascher Verlag, Zürich, herausgegebenen Buche „D e r T o t e n w a 1 d“ seine und seiner Umgebung Schicksale. Was er schlicht einen Bericht nennt, ist eine erschütternde Analyse des Empfindungslebens eines Gefangenen in diesem Inferno, das er mit ebenso solcher Tatsachentreue, wie dichterischer Darstellungskraft vor Augen stellt. Wiechert hatte als Reichsdeutscher, wie er berichtet, die sogenannte „Rückkehr Österreichs zum Reich“ als „neuen Schatten auf die Seele aller Rechtlichdenkenden“ empfunden: „Selbst für den Gutwilligen war es nicht leicht, das Reich Haydns und Mozarts, Beethovens und Schuberts, wie die stillen Wälder und Ebenen Stifters nun eingehen zu sehen in die lauten Provinzen der Eroberer, in denen die Lorbeerkränze sich um andere Schöpfungen legten als um die adelige und schweigsame Schönheit des .Nachsommers'.“ Aber der Tropfen, der den Becher des Leidens für ihn zum Oberfließen brachte, war, wie er berichtet, daß Hitler zu der Beraubung der Österreicher um ihre Freiheit zu sagen gewagt hatte: „Recht muß Recht werden, auch für Deutsche.“ Darauf sagte der Dichter in einem tapferen Brief seine Teilnahme an allen Wohlfahrtseinrichtungen ab, solange, bis dieses Wort auch auf den widerrechtlich verhafteten Pfarrer Niemöller angewendet werde, „statt auf den nebelhaften und demagogischen Begriff aller Deutschen“. Er war nicht darüber im Zweifel, was ihm nach diesem Briefe bevorstand. Wiechert hat dann alle die seelischen Torturen mitgemacht, die so viele angesichts der nie erträumten Schreckensbilder des täglichen Gefängnisdaseins befielen, die ölbergstunden, in denen den Gebeugten die bittere Frage um Gottes Gerechtigkeit zu überwältigen drohte. Aber sein Glaube hielt ihn aufrecht. Nach dem Gefängnis kam Dachau und es war ihm „als erfriere sein bisheriges Leben und seine ganze Welt“ und er sah, was er früher gerne mit Träumen und Wünschen verziert und bekleidet hatte, „die nackte, erbarmungslose

Wirklichkeit, das Gesicht des Menschen, wie es war, wenn man ihm die Macht gibt, ihn der Fesseln entkleidete“. — Ernst Wiechert erreichte schließlich die Freiheit. Was er mit seinem „Totenwald“ der Öffentlichkeit übergibt, ist eine in bitteren Schmerzen gewon- nene Durchforschung der Unterwelt, die, unfaßlich in ihrer Wirklichkeit, bei hellem Tageslicht mitten unter das deutsche Volk emporgestiegen war. Mit Recht setzt der Dichter an das Ende seines Buches das bedeutungsschwere Wort: „D en Kommenden zur Warnun g.“

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„Ich hasse nich t“, nennt sich ein Band Lyrik, „Dichtungen aus Buchenwald“ von Gösta Duschham, soeben vom österreichischen Bundesverlag herausgebracht. Es

sagt viel, wenn einer, der durch das KZ von Buchenwald gegangen ist, seinen Dichtungen, die er als Gefangener an dieser Stätte konzentrierter Unmenschlichkeit schrieb, einen solchen Titel zu geben vermag. Er ist ein Österreicher, er hat alles durchgekostet, was den Begriff Buchenwald ausmacht; er schildert es in seinen Versen mit unbarmherziger Wucht. Aber immer wieder erhebt sich, ungebrochen durch alle körperliche und seelische Not, gestrafft und zuversichtlich das österreichische in ihm, das Gelöbnis der Treue zu Österreich, die Liebe zu der Heimatstadt Wien, das gläubige Hoffen. Es sind Gelegenheitsgedichte, im Lager so geboren, wie sie dem Gemüt zwischen harter Fron entsprangen und gerade wegen dieser Ursprünglichkeit Schöpfungen nicht alltäglichen Wertes.

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„Es gibt nicht nur ein Christentum in der Bannmeile der Not, in den Vorstädten der Großstadt, es gab auch in erschütternder Innigkeit ein Christentum im KZ. Darum soll dieses Büchlein den Titel führen: „Christus im K Z.“ Vor meinen Augen stehen die vom Geheimnis der Gottesnähe durchrauschten verborgenen Winkel des Buchenwaldes, die belebte Lagerstraße, wo neben einem dröhnenden Schwall gotteslästerlichen Flüche das Wort Gottes gehaucht wurde. Vor mir stehen die aufrechten Gestalten der Todgeweihten, die mit seelischer Größe dem qualvollen Ende entgegenschauten, begnadet mit dem Geiste des Martyriums. Ihnen, die von uns gingen in einem unsagbar einsamen Sterben, mit denen wir Priester Christus im KZ erlebten, sei dieses Büchlein gewidmet.“ Mit diesen Sätzen eines Vorwortes umschreibt Leonhard Steinwender, der priesterliche Journalist, der für sein österreichisches Wirken mit Schrift und Wort hatte nach Buchenwald wandern müssen, die Bestimmung seines Buches, das eben jetzt in dem Sarz-burger Verlag Otto M ü 11 e r im Erscheinen begriffen ist. — Die große Welt weiß nicht, daß es in den Konzentrationslagern neben den Greueln eine Beseeligung tiefinnerlicher Art gegeben hat, die alle Not überwand, ein Aufbrechen der reinsten Quellen sitt-

licher Kraft, ein Hinfinden zur höchsten Beglückung durch den Glauben. Und daraus sprirht dieses Buch eines gemütvollen Erzäh-zählers, der selbst in der Mitte der Begebenheiten stand. Es ist ein B e r i c h t a u s d e r Katakombe, wie aus den ersten Zeiten' der Christenheit. „Religiöse Betreuung im KZ war mit der Todesstrafe belegt, die ohne Verhandlung, ohne Gerichtsverhör, ohne Verantwortungsmöglichkeit in den Bunkern der SS oder in den Himmelfahrtskommandos vollstreckt wurde.“ So war es in allen Lagern. Und dennoch hat es Priester und Laien gegeben, die dieser Gefahr ihrer Pflicht und ihres Glaubens willen durch Jahre trotzten. Nicht wenige haben dafür ihr Leben hingegeben. So wurde Pfarrer Martin Neu-ruhrer aus Götzens in Tirol in Buchenwald eines dieser Opfer priesterlicher Pflichterfüllung.

Die Katakombe war irgendwo: Die Unbemerktheit mitten im Getriebe der Lagerstraße, ein Plätzchen zwischen Bäumen des Waldes, irgendwo, wo sich eine kleine Gruppe zu unauffälligen Andachten und geheimen Sonntagsfeiern versammeln konnte, dabei immer auf der Hut, wie ein Wild, das den Jäger in der Nähe weiß. Unter diesen Menschen wirkte der Verfasser als Priester, ein Gefangener wie die Kameraden, in demselben Sträflingskleid wie sie, aber doch ihr Führer und Priester. Kein Zweifel, ein Strom der Gnade floß aus diesem Zusammensein.

„Wir waren keine Kirchengemeinde im gewohnten Sinne, wir hatten kein Gotteshaus, keinem Bischof war es möglich, uns seine Hirtensorge angedeihen zu lassen. Uns vereinte nur der gemeinsame Glaube und die gemeinsame N o t“, sagt der Verfasser und er bekennt: „Wir dürfen den Herrn dankbar preisen, daß er keinen aus, unserem Kreise in der höchsten Not, in den härtesten Jahren des Lebens seelisch zusammenbrechen ließ, daß keiner an seinem Herrgott irre geworden is t.“

Es sind Heilige gewachsen in der Hölle von Buchenwald. Leonhard Steinwender berichtet von ihnen, zart, taktvoll, mit plastischer Anschaulichkeit. Er weiß um das Ende des gewesenen Sicherheitsdirektors von Salzburg, Gendarmerieoberst B e c h i n i e, die letzten Tage des Ministers Dr. Winterstein und Dr. Steidles, er berichtet

die Szene, wie der gewesene Sicherheitsdirektor von Niederösterreich, Baron Gautsch, der mit christlichem Heroismus, still und bescheiden sein schweres Los bis zum Ende getragen hatte, sterbend über den Appellplatz getragen wurde, und die Träger seiner Bahre, Kommunisten, ehrfürchtig die Bahre, abseits den zum Appell anmarschierenden Kolonnen, niederstellten, um dem eilig herantretenden Priester noch den letzten Beistand zu gestatten.

Dann die Geschichte des heldenmütigen evangelischen Pfarrers Schneider aus dem Hausruck, der der Hakenkreuzfahne den wie vor dem Gcßlerhut befohlenen Gruß verweigerte und dafür durch dreizehn Monate, bis zu seinem Tode, die sadistischen Qualen der Bunkerhaft erlitt. Trotz der Hungerkost, die kaum hinreichte, das Leben zu fristen, hatte er am Karfreitag Nahrungsaufnahme verweigert. Mit Wehmut gedenkt Leonhard Steinwender des Wiener Journalisten Albert Süß, der ab Jude ins KZ gekommen war und in seinen namenlosen Leiden zum Christentum hinfand. Da er sein Ende nahe/i fühlte, drängte er mit tiefer Begierde den priesterlichen Kameraden, ihn zu taufen. Am Pfingstsams-tag hätte die geheime Feier stattfinden sollen. Am Tag zuvor wurde Süß von einem brüllenden Scharführer beim Steintragen erschlagen. Eine blutige Begierd-Taufe ...

Man liest das Buch Steinwenders wie ein wundervolles Martyrologium, in dem der Tod und alle Macht der Dämonen ihre Schrecken verloren haben und aus dem abgründigen Elend der Menschen ein erhabener Hymnus sieghaften Christentums emporsteigt. Und man legt dieses Buch ergriffen weg, mit dem Wunsche, es möchten alle Zweifler, alle Menschen, die innerer Erhebung für sich oder andere bedürfen, diese liebevollen Blätter eines tapferen Mannes lesen.

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