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Bühne und Festtag

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Der Allgemeine österreichiche Katholikentag 1952 brachte Wien drei Premieren, die, so unterschiedlich sie sein mögen, verdienen, festgehalten zu werden. Sie dürfen symbolisch stehen für drei Wege der Christenheit durch diese Zeit.

Das „Neue Theater im Esterhazy, palais“, unter der Leitung von Hans Kugel- gruber, unternimmt ein kühnes Wagnis: eine christlich inspirierte Kleinbühne, die nur hochqualifizierte Stücke mit einer christlichen Tiefendimension spielen will. Es ist leicht, über die Verwegenheit dieses Vorhabens zu lächeln, zumal nach all dem, was Wien in den letzten Jahren an „christlichen“ Theaterexperimenten über sich ergehen lassen mußte. Als Start wurde Claudels „Mittagswende" gewählt. „Partage du Midi“ von 1906 also, wohl das erregendste, herausfor- dernste, fragwürdigste Werk des Dichters, das seinen eigenen inneren Lebensweg auf dem Scheitelpunkt der Krisis abzeichnet: durch das Tor der Wollust und der Leidenschaft soll der Eintritt in das Transzendente erzwungen werden. Die Erfahrung der Liebesleidenschaft spaltet den Menschen bis in den Kern auf, er zerfällt und verfällt dann der Hölle oder dem Himmel. Yse, die Frau zwischen drei Männern, die drei Möglichkeiten der Leidenschaft präsentieren, findet über Ehebruch und Kindesmord im Tod an die Schwelle der Erlösung. — Die vier Darsteller arbeiten sich mit Ambition durch das Dickicht der Schwierig- Keiten.

Claudels Mittagswende steht symbolisch für jenen katholischen Individualismus, der im 19. Jahrhundert zwischen Ästhetik, Literatur, Romantik und Mystizismus einen Weg geht, dessen Zweideutigkeit und Schwäche erst heute ganz sichtbar wird. In eine andere Welt führt das Burgtheater mit dem „Schlaf der Gefangenen“ von Christopher Fry. Das erregende — und uns Kontinentale und Katholiken mit Recht aufregende Moment besteht hier darin, daß hinter der Angst, Neurose, Wirrnis und Kriegssituation der Gegenwart in dieser puritanischangelsächsischen Welt in monumentaler Größe die Welt der Bibel aufsteigt. Nicht Lust und Unlustkomplexe also, Süchte und Begierden, sondern: das Gewissen, gewandet in die Gestalt der großen Vorspieler der Geschichte, die Gotteshelden des Alten Bundes. Vier englische Gefangene, im letzten Krieg, eingeschlossen in eine französische Kathedrale. Der Wutausbruch eines Mannes; er fährt dem Nächsten, seinem Nächsten, an die Gurgel. Eine kleine Rauferei, wie es die Haftpsychose mit sich bringt. Kaum ein paar Schrammen. Im Schlaf aber enthüllt diese kleine Untat ihre weltgeschichtlichen Perspektiven. O edle Kühnheit des Dichters: der es wagt, den wahren Schauplatz der Weltgeschichte auf die Bühne zu stellen, leibhaftig in Wort und Tat: das menschliche „Herz", das Innensein im Gewissen. Da erlebt nun der eine den „kleinen Wirbel", wie man vielleicht in weniger sehenden Kreisen sagen würde, als Abbild des ersten Mordes, Kains Tat an Abel; der zweite erfährt ihn als den großen Vater-Sohn- Konflikt der Bibel, als Drama König Davids mit seinem Sohn Absalon; dem dritten, ihm, an dem es geschah, wird er zum Opfer Isaaks durch Abraham. (Unsere Kirche sieht darin bekanntlich ein Vorbild des Kreuzopfers.) Der vierte und letzte dieser Soldaten schaut die Schlacht und den Krieg, dem sie soeben „entronnen" sind, für eine kleine Weile als den Feuerkerker, in dem die Jünglinge den Lobgesang singen auf den ewigen Gott, der sich jener erbarmt, die durch Sturm und Nacht und Tod ihm die Treue halten. — Dieses große Drama wird vom Burgtheater unter der Regie Adolf Rotts von Skoda, Holt, Balser und Helmuth Krauß sprachlich meisterlich vorgestellt. Es lohnt die Anstrengungen, die das Stück und sein Thema dem Zuschauer abfordern.

In der Stunde, in der im Konzerthaus der Katholikentag eröffnet wurde, begann, wenige Schritte vom sowjetischen Informationszentrum entfernt, in einem Keller der Sezession — im Oberraum tagte die Buchausstellung der Deutschen Demokratischen Republik — ein Spiel, das die im Kreis sitzenden Zur schauer in seinen Bann zog, und lange noch zieht, wenn sie den' Zementraum, mit seinem Drahtgeflecht verlassen haben. „Selig sind die Verfolgten“ von Tony van Eyck hat bekanntlich in der Regiegestaltung Wege- lers in einer neuerbauten Innsbrucker Kirche seinen Weg in Westeuropa angetreten, „Irgendwo in der Welt“ begibt sich das Spiel, „Heute — Morgen“, wie es am Spielzettel heißt. Kirche in der Verfolgung-, ein Bischof im Kerker, die Priester sterben, verderben, werden erschossen. Das Schemabild einer antibolschewistischen Greuelpropaganda? Nein. Was hier gezeigt werden soll, ist „der dritte Weg" der Kirche durch diese Zeit. Im Scheitern des Politischen und Militärischen bleibt als letztes Mittel das erste der Christenheit: das Kreuz. Das Martyrium also. Es stirbt der Kaplan, es wird verhaftet der Pfarrer, es wird zugrunde gerichtet der Bischof. Bleibt das Gebet der einfachen Frauen und Männer aus dem Volke, in dem die ganze Weltkirche ihre Arme zu ihrem Herrn erhebt: verzeih, o Herr, unseren Feinden. Und rette, was wir nicht zu retten vermögen. — Unter der Regie Heinz Röttingers hat sich eine tapfere kleine Schar zusammengefunden, deren Spiel hinausweist über den engen Betonkeller in jene Perspektiven, in denen der Morgen uns zuwächst.

Eine Volks-Oper

Ein gesellschaftliches Ereignis war die Premiere von Gershwins Oper „P o r g y and Bess" in der Volksoper. Es fällt schwer, hier alle Elemente zu wüidigen, die den Reiz dieser Aufführung ausmachen. Da ist die Stimme und Erscheinung William Warfields, da ist das ganze Ensemble von 43 Personen, die mit der Musik Gershwins und der Idee DuBose Heywards ein Volk aus der Tiefe darstellen mit seinem Lachen, Weinen, Tanzen, Singen, Atmen und Sterben, Die Neger in den Vereinigten Staaten; kurz, nachdem ein genialer und heldenmütiger Präsident ihnen die Freiheit erkämpft hat; ein Völkchen von Fischern, Händlern, kleinen Leuten in Charleston, im Süden. Die Liebe des verkrüppelten Bettlers Porgy zu dem leichten Mädchen Bess. Dieser Bettlerkrüppel ist ein Gigant: er trägt auf seinen Armen und mit der Urkraft seines Herzens, das kein Treubruch brechen kann, dieses sein Volk ins Licht und Ansehen der Weltgeschichte. Wenn sich am Ende der Oper der Krüppel mit seiner Ziege nach dem tausend Meilen weit entfernten New York aufmacht, um die verlorene Geliebte zu suchen, dann brechen mit ihm abertausend Männer und Frauen seines Volkes auf, die "sich allen Widerwärtigkeiten zum Trotz hocharbeiten, zäh, verbissen, so, wie die Familie des Hauptstars Warfield, dessen Vater als Lumpensammler begann und zum angesehenen Pastor aufstieg Diesen Willen zum „Empor" muß man verstehen, will man den breiten Strom würdigen, der hier in Lied und Song und Rhythmus aufströmt. Einige dieser Lieder erinnern an alteuropäische Bauernfolklose: nicht zufällig, in allen echten Völkern ist jene große, verstehende Kraft des Allestragens, Alleslei- dens, Allesüberwindens. Jenes Urvertrauen, das kein Hurrikan, kein Tod und keine Schurkerei brechen kann. So rauscht diese Oper des Weißen Gershwin an unser Ohr wie eine Ballade aus vergangener eigener Zeit. Vom ersten Augenblick an war sie dem Publikum vertraut.

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