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Bühnendichtungen

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Eine interessante Aufführung im Theater am P a r k r i n g ‘ „Caligula" von Albert Camus. Es ist die Aufgabe kleiner Bühnen, literarische Studien dieser Art auf die Bühne zu bringen, die keine größere Bühne bei uns wagen würde. Camus, bekanntlich einer der Wortführer des heutigen Frankreich, Jahrgang 1916,’ hat während der deutschen Besetzung Frankreichs dieses Drama um die Gestalt eines mörderischen Tyrannen geschrieben. Wer aber nun etwa erwartet, hier Hitlers Maske oder Gesicht durchschimmern zu sehen, wird enttäuscht. Enttäuscht wird auch der Theaterbesucher, der ein Bühnenstück erhofft. Dieser Caligula hat keine Gegenspieler, ist selbst kaum aus Fleisch und Blut. Kein „Stück" und kaum eine „Handlung". Und-doch: hoch interessant, dieses Gedankenexperiment. Der französische Geist, seine Gotik, seine Mathematik, seine Logik, etwas von Descartes und Poincare (als Mathematiker), vom verwegenen Wagemut mönchischer Reformatoren und jansenistischer Pioniere steckt in diesem kaiserlichen Jüngling, der nach dem Tode eines geliebten Wesens zerbricht. Und nun darangeht, Experimente zu machen, im großen Stil, mit Menschen. (Der Padre Campanella, der bei Kardinal Richelieu Zuflucht fand und ihm eine sehr moderne Kulturpolitik vorschlug, wußte schon um solche Experimente!) Caligula zerbricht durch einen Terror, den er als Geburtszange zur Entbindung neuer Menschen anzusetzen versucht, die Menschen. Er glaubt, daß aus dem Grauenhaften die Schönheit entbunden würde (man vergleiche Rilkes bekanntes Wort in den Duineser Elegien), aus dem tiefsten Schmerz die Freude, aus dem Uebermaß von Leid das Glück. Scheinbare Sinnlosigkeit (das von ihm kühl und überlegt geplante Morden) soll einen höheren Sinn entbinden in diesen seinen Zeitgenossen, die öd-langweilig, gierig und gemein dahinleben. Als ein schrecklicher Alchimist hofft Caligula die Formel zu finden, die ihn zu Gott-macht, die ihn als Gott bestätigt: als einen Macher neuer Menschen, der die alten nichts-würdigen Formen (das „Nichts" ist das Stichwort i m. Bin- und Ausgang des Stückes, es ist das mystische und nihilistische „nada" der Spanier) zerbrechen muß, um die Geburt einer neuen Welt zu ermöglichen. Das Böse in diesem Manne - besteht weniger in seinen Untaten als in seinem Wissen: dieser hochsensible Spieler um die Macht Gottes weiß nämlich zutiefst vom ersten Moment seines Spieles, daß es ein grausames Vernichten ist, weil ihm die Fähigkeit zu liehen, und deshalb das Vermögen des Zeugens, der Geburt, fehlt. In Haß und Bewunderung hängt er an seinem Antipoden, am Dichter: am Wort-Macher, an dem guten Zauberer, dem in der Poesie gelingt, was ihm in seinem schrecklichen Handwerk (Menschen zu machen) verwehrt ist. Hier ist der Angelpunkt des Werkes, wo sich Caligula enthüllt als eine Chiffre des Intellektuellen, seiner geheimsten und offenbarsten Versuchungen im Atomzeitaiter. Die großen „Wortmacher” der modernen Dichtung, Joyce, Ezra Pound, Eliot, Benn, sind mit ihren alchimistischen Experimenten, einen neuen Himmel, eine neue Erde, einen neuen Menschen zu schweißen in der Retorte ihrer Verse, die wahren Antipoden und Spießgesellen dieses Caligula, der nichts mit Hitler oder dem historischen Kaiser Caligula zu tun hat, -wohl aber sehr viel mit diesen Experimentatoren, die den Kosmos als Atommeiler Verwenden wollen für ihre Geistspiele. Dieses Experiment inszenierte gut Kurt Julius Schwarz; Peter Weihs als Caligula, Erna Corhel als seine Geliebte fallen im besten Sinn des Wortes auf.

Das Burgtheater ehrt sich selbst, indem es einem großen und heute fast unbekannten Oesterreicher, Richard Beer-Hofmann, eine späte Ehrung zuteil werden läßt. Neben „J a a k o b s Trau m", einer der sprachschönsten und tiefsten religiösen Bühnendichtungen deutscher Sprache, steht der „Graf von Charoláis", den Ernsf Lothar hier prächtig inszeniert. Oberflächliche Beobachter sehen, betroffen ob seiner Formkunst, in dieser Dichtung ein artifizielles Kunstwerk, das heute nichts mehr zu sagen hätte. In Wirklichkeit pulst durch dieses Drama der starke Atem des Lebens. — Eine Tragödie der Vaterliebe und des in harter Zeit vereinsamten Einzelnen. Der junge Graf von Charoláis, dessen Vater mit dem letzten Schuß eines langen und brudermörderischen Krieges gefallen ist, kann den Leichnam seines Vaters, der arm gestorben, nicht aus dem Schuld- turm auslösen, wohin ihn unbarmherzige Gesetze einer Zeit, die grausam ist wie unsere Gegenwart, geschleppt haben. Da kauft ihn der Präsident des Gerichtshofes frei, um ihn seiner Tochter als Gatten zu schenken. Der einsame Jüngling, herangewachsen in den Zelten des Krieges, bleibt einsam, er ist der erfüllenden Begegnung mit seiner Frau nicht gewachsen. Worauf diese in der Verwirrung einer Stunde zwischen Tag und Nacht das Opfer ihres jugendlichen Gespielen wird. In Tod und Trauer gehen beide unter .Sie tötet sich selbst, der Mann geht in die Fremde.

Beer-Hofmann nimmt die einfache Fabel zum Anlaß, die tiefe Wirrung aufzuzeigen, in die der Mensch gerät, -wenn seine Liebe zum Menschen unausgereift, wenn seine Beziehung zu Gott unausgegoren ist. Das Scheitntn in beiden Begegnungen (dem Menschen und Gott zu) faitet sich in- und auseinander. Eine einseitig-enge Bindung an einen Menschen ist zumeist das Abbild eines ängstlich-starren Gottesbildes, und umgekehrt. Die rechte Kommunion mit Gott reift die richtige Kommunikation mit dem Mitmenschen aus. Der blind liebende Vater und der in sich beklommene Sohn begreifen erst im Zerbrechen des ihnen liebsten Wesens, daß Gott nicht einen Gesetzesdienst und nicht ein eigenwilliges Handeln will, sondern ein offenes Herz. Das allein fähig ist, seine „krummen Wege" auf Erden anzunehmen. In diesem Drama verbirgt sich eine Theodizee — deshalb nimmt der Bericht des „roten Itzig" über die Verbrennung seines Vaters in Spanien eine zentrale Stellring ein —, in jeder Schändung des „Vaters" auf Erden ist ja der Vater im Himmel in tiefster Weise mitbetroffen. Es gereicht, noch einmal sei es gesagt, zur Ehre des Bürgtheaters, daß diese Szene (Hermann Thimig) — wenigstens als ein Versuch, Oesterreichs Mitschuld an den Judenverfolgungen der letzten Jahrzehnte in würdiger Form einzugestehen — so groß und ergreifend gestaltet wurde. — Die Aufführung wird getragen von Albin Skoda als Charolais. Räoul Aslan als Präsident, Judith Holzmeister als dessen Tochter.

Im Akademietheater kommt Friedrich Dürrenmatt mit seinem neuesten Stück „Ein Engel kommt nach Babylon" zu Wort. Gewiß: Dürrenmatt neigt dazu, das Kabarett und das Feuilleton als Kanzel der Weltgeschichte und ihrer bitteren Weisheiten zu bemühen. Was nicht immer zu entschuldigen ist.

Wer das Niveau des heutigen Theaterpublikums und seine Hartgesottenheit kennt, wird in diesem Versuch das Bemühen zeitgenössischer Autoren anerkennen müssen: wie sag ich’s meinem Kinde? Diesem modernen verkindischten Menschen, dem man von Sünde, Gnade, Gericht nicht sprechen darf, weil er darin die Falle einer Konfessionspartei wittert und es auch nicht wagt, sich selbst ins Gesicht zu sehen. Also hilflos von Krieg zu Krieg taumelt. — Dürrenmatts Babylon ist (das gute Bühnenbild Hlawas und die Regie Glücksmanns arbeiten das schön heraus) sowohl das Babel Nebukadnezars wie die Mammutstadt heu tiger • Machtherren. Sein Thema’ist das Leib- und Lebensthema zeitgenössischer Intellektueller und jener Theologen, die ihr Handwerk ernst nehmen: wie kommt der jenseitige übermächtige und ganz „ohnmächtige" Gott an den Menschen heran? An dieses eifersüchtige mißtrauische Wesen, das immer wieder glaubt, sich nur durch Macht, Herrschaft, Gier selbst behaupten zu können, obwohl es genau weiß, daß es sich dergestalt stets zerstört, weil alle, die den Spieß umdrehen, an ihm kleben.

Prächtig das Schaubild dieser „Komödie": Nebukadnezar thront, umgehen von gebündelten Totenschädeln, auf seinem Thron, seine Füße ruhen auf seinem besiegten Gegner Nimrod, der zuvor jahrtausendelang ihn selbst als Fußschemel benutzt hat (man erinnere sich an die Worte des Psalmes: die David unterworfenen Könige als Schemel unter seinen Füßen . . .). Nimrod und Nebukadnezar sprechen im Chor dieselben Worte Diesem Weltherrscher wird ein „Engel" gesandt, ein ganz schwacher liebenswerter Mensch, der von allen mißbraucht wird, bis ihm ein Retter ersteht:, der Bettler Akki. Der Bettler als Repräsentant des Menschen!

Der Bettler als Füllhorn, als letzter Geber, als letzter wahrhaft reicher Mann und Mensch in einer Welt von geängsteten Aengstigern.. . (Ewald Baiser). Diese Wahrheit einmal sehr handgreiflich demonstriert zu haben, rechtfertigt allein schon die Aufführung dieses Stückes. Das ein Sketch Ist, aber doch einiges mehr: eben, indem es hinüberdeutet auf das andere, was es selbst nicht zu geben vermag, aber doch anzeigt: die blühende Dimension des Gnadenhaften, Ursprunghaften, die offenen Horizonte des Menschen, der sich nicht sklavisch ergibt den „Beziehungen", den Positionen der Mörder, der Bürokraten, der Ja-Sager. Nur der „Bettler" vermag noch jenes Nein zu sagen, daß die anmaßeflde Armseligkeit der alles begehrenden und nichts gewährenden Organisationen und Machtherren als Hölle entlarvt. — Beifall von verschiedenen Seiten.

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