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Caritas!

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In einem Zimmerchen eines Wiener Ringstraßen-Hotels. Von unten, wohl aus der Bar, dringt gedämpfte Musik herauf, leicht beschwingte, einschmeichelnde Musik, sicher zur Freude fröhlicher Menschen, einer eleganten Gesellschaft, die gerne auf ein paar Stunden ihrer Sorgen vergißt, wenn sie überhaupt welche hat.

Das Zimmerchen hier in dem großen Hotel ist ein Gegenpol. Hier wohnt die Sorge, nicht eine um das liebe Ich, sondern die liebevolle, rührende Sorge guter, hilfsbereiter Menschen um Hungernde, Notleidende, die ihnen ganz unbekannt sind und denen sie doch aus tiefen Quellen entspringender Menschlichkeit sich verbunden fühlen.

Dem Besucher gegenüber sitzt der Direktor des „War Relief Service“ der National Catholic Weifare Conference in Washington, jenes mächtigen Zentrums der Katholikenorganisation der Vereinigten Staaten, die zu einem ihrer bewunderungswertesten Werke geschritten ist, der ersten privaten Organisation freiwilliger Hilfeleistung in der jetzigen Notzeit der Welt. Sie will den „war striken“, den vom Kriege schwer Heimgesuchten Beistand bringen. Und deshalb hat jetzt Direktor Mr. F OJE auch in Wie seihe Arbeitsstätte aufgeschlagen,

denn schon ist die Hilfeleistung für Österreich an der Reihe.

Man versteht, warum das Washingtoner Hauptquartier der amerikanischen Katholiken diesen Mann zu seinem Sendboten gemacht hat. Es ist, wie wenn dieser hochgewachsene, breitschulterige Mann €ie Atmosphäre des Zimmers mit seiner Vitalität erfüllen würde,. In seiner Hand laufen die über Land und Meer laufenden Fäden der großen Aktion zusammen. Sie verbinden die Häfen der amerikanischen Ostküste mit den Hafenplätzen Europas und weiterhin mit vielen Städten. Unter seiner Kontrolle- laufen auf den Meeren die Schiffe, auf den Schienen die Hilfszüge und auf den Landstraßen die Lastwagenkolonnen, sinngemäß eingesetzt, um mit der geringsten Verzögerung den am ärgsten von Not betroffenen Gebieten schnelle Hilfe zu bringen. In den Städten Österreichs sind die ersten Güter bereits eingetroffen.

Wie das Werk begann? Mit einem Schlag setzte auf die von Washington ausgegebene Losung die Mobilisierung der Caritas zu dieser Offensive der Liebe ein. Von

Oregon bis Kalifornien und von Florida bis Maine predigten die Geistlichen von den Kanzeln der katholischen Kirchen, riefen die Professoren und Lehrer in den katholischen Universitäten und Schulen die Jugend zu der großen Sammlung des Hilfswerkes auf, wandte sich die katholische Presse an ihre großen Lesergemeinschaften: Helft der hungernden, schwerbedrängten Menschheit! Jeder sollte bringen, was er konnte, sei es nur eine Büchse Milch oder Kindernährmittel. In den Schulen, in den Gemeinschaftsräumen der Pfarrhäuser, bei den Zeitungen häuften sich Tag um Tag die Spenden. Schulklassen wetteiferten um den Rekord. Hunderttausende Konservenbüchsen begannen sich an den Hauptsammelstellen zu türmen. Jedes auch das kleinste Stück war als gewichtiger Beitrag angenommen worden, ganz gleich ob es sich um einen Suppenwürfel, um eine Fleischkonserve oder einen Anzug handelte. So reifte die Aktion zu ihrem Erfolge. „Food for the war stricken!“ — ganz gleich welcher Anschauung oder politischer Richtung die Notleidenden sind.

Das Ergebnis war 3 0 Millionen Pfund Konserven. Sie wurden zunächst in den Lagerhäusern der NCWC

konzentriert. Wo immer freier Schiffsraum aufzutreiben war, wurde er gemietet. Für Österreich und einige andere Staaten Europas war Antwerpen als Entladehafen gewählt worden. Eineinhalb Millionen Pfund Lebensmittel sind für unser Land bestimmt, von denen bereits 1 Million über diesen Hafen bei uns angekommen sind und auf die Diözesen Graz, Salzburg, Klagenfurt, Innsbruck, Linz, St. Pölten und Wien verteilt wurden. An Kleidern sind 15 Tonnen eingetroffen.

Nun freilich ist auch diese imposante Leistung in ihrer Wirksamkeit begrenzt. Es kann nicht anders sein, wo es sich um den täglich sich wiederholenden Nahrungsbedarf vieler Hunderttausender in unserem Lande allein handelt., Aber zu der ansehnlichen materiellen Hilfe gesellt sieh eine andere: Es liegt etwas Tröstliches in der Erfahrung: wir sind nicht allein, ferne Menschen haben in brüderlicher Hilfe an uns gedacht. Die Welt ist nicht ganz in Haß und Selbstsucht versunken. Das War Relief Service der NCWG begann 1940 zunächst seine Tätigkeit nur für Kriegsgefangene in den Vereinigten Staaten. Wie vielen Österreichern mag es da schon geholfen haben. Später wurde das Werk zur Hilfeleistung für alle befreiten Staaten ausgedehnt. Heute versorgt es 4 7 Länder mit seiner durch freiwillige Spenden aufgebrachten Hilfe. Man muß sich erinnern: Nur ungefähr ein Achtel der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten sind Katholiken und ihnen steht nur die Organisation der Kirche und der katholischen Verbände zur Verfügung. Ermißt man dies, so wächst die erzielte Leistung an Größe zu jener offizieller Stellen heran.

Hier in-, Österreich wird die gesamte Ladung der katholischen Caritas-Organisation übergeben, die sich der Organisation der Diözesen und Pfarren bedient, um die Verteilung als zusätzliche Hilfe nach den bezeichneten Grundsätzen zu vollziehen.

Vor hundert Jahren stand das katholische Leben in den Vereinigten Staaten noch in seinen Anfängen. Wenige der verstreuten kleinen Gemeinschaften besaßen Kirchen, es mangelte an Priestern, es fehlte an Schulen. Überall war schwere Pionierarbeit auch auf kirchlichem Gebiete zu leisten. In diejer Frühzeit der katholischen Kirche in Nordamerika bewährte sich als eines.der gößren europäischen Hilfswerke die österreichische Leopoldinenstiftung zur Hilfeleistung für die Katholiken Nord-

amerikas, eine der schönsten und fruchtbarsten Kulturtaten Altösterreichs.

Es ist ein ergreifender Gedanke, daß das damalige Liebeswerk österreichischer Katholiken heute aus der Mitte des kraftvoll gewachsenen nordamerikanischen Katholizismus uns Urenkeln noch Segen und einen

unbewußten Dank der vielen Tausenden katholischer Menschen über das Meer bringt, die kaum mehr von der Lepoldinenstiftung etwas wissen. Wie damals führt -die Völker über die Meere das alle Trennungen der Menschheit besiegende Leitwort zusammen: Caritas Christi urget nos!

Ist es denn so schwer, sich einen bestimmten Weg vorzuzeichnen und dann denselben treu zu verfolgen? Oder liegen die Schwierigkeiten darin, aufrichtig und treu zu sein? Ist denn die Politik so schwer? Ich finde das gar nicht. Gut sein mit allen Nachbarn, nichts von denselben an sich bringen wollen, nicht reizen, wenn man nicht die Kraft hat durchzusetzen; sich die Selbständigkeit dadurch verschaffen, daß man beweiset, wie alles Streben dahinoehe, das eiaene Land auf eine höhere Stufe zu bringen, ohne sich in fremde Händel einzumischen. Danach eine, gute Verwaltung für die Zukunft vorbereiten und es einer höheren Fügung überlassen, was dazu kommen muß...

Erzherzog Johann: „Briefe und Tagebücher“, Graz, 1891

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