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Carl Schorske über Gustav Mahler

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Carl Schorske, großer alter Mann der amerikanischen Historie und Pionier der österreichischen Moderne, kam, um den .Wienern von Gustav Mahler und der österreichischen Identität zu erzählen. Mit seinem Werk „Fin de siede - Politik und Kultur“ - entdeckte er den Österreichern die Generation von Alfred Adler bis Sigmund Freud, von Oskar Kokoschka bis Adolf Loos.

„Diese Epoche war von den Nazis, aber schon vorher von den Katholiken und der Bourgeoisie begraben, zugeschüttet worden. In den sechziger Jahren in den USA ereignete sich gerade ein Mahler-Boom. Die Klimt- Rezeption ging Hand in Hand mit der sexuellen Revolution. Es wurde plötzlich unter jungen amerikanischen Intellektuellen modern, Arnold Schönberg zu hören. Ich er-kannte, daß es zwischen den amerikanischen sechziger Jahren und dem Wien des Fin de siede eine Entsprechung gibt und suchte nach den bestimmenden Faktoren.“

Schorske erzählt, warum er nicht mehr an Kongressen zu diesem Thema teilnimmt: „Für mich ist das eine ausgebeutete Kohlenmine, in der nicht mehr genug Kohle ist. Die jetzt daran forschen, sind die ,Wagners“ des ,Faust“, die Gesellen des Meisters.“

„Die Frage nach den Grundlagen der Identitätsbildung sei unbeantwortbar“, meint Schorske. „Das habe ich anhand von Gustav Mahler zu zeigen versucht. Jede Identität ist vielgestaltig. Wir gehören einer großen, globalen Gemeinschaft an, dieselbe Ökonomie, dieselbe Erziehung. Aber in unseren beiden Ländern gibt es Menschen, mit denen wir nichts zu tun haben. Die Frage nach Identität kann nur in einem bestimmten Aspekt beantwortet werden. Nehmen Sie mich: Ich wurde in eine Hochkultur geboren, hatte also Zugang zur Bildung. Mein deutsches Erbe verschaffte mir in meiner Schulzeit Feindschaft in Amerika, zur Zeit der deutschfeindlichen Haltung im Ersten Weltkrieg. Dann wurde mir, dank meiner jüdischen Mutter, der Antisemitismus bewußt. Diese Doppelidentität — Deutsch-Amerikanisch und Jüdisch - hat sicher mein Interesse für Europa erweckt.“

Der Vortrag über Mahler ist ein Teil eines Buches über Charles įves und Gustav Mahler: „Ich möchte mit dieser Studie das Klischee von Österreichs großer Musiktradition im Gegensatz zum amerikanischen Provinzialismus unterminieren, įves und Mahler - zwei ähnliche Kindheiten in provinziellen, liberalen Orten. įves kam aus angesehener, reicher Familie. Ives’ Vater erlebte zwar einen sozialen Abstieg, aber er hatte eine radikale Ideologie und - die Musik. įves studierte bei einem Meister der Musik von Brahms und Dvorak, er wuchs mit Oper auf. Von seinem Vater lernte er die Gebrauchs- und Tanzmusik. Auch Mahlers Lehrer in Iglau, Heinrich Fischer lehrte ihn Gebrauchsmusik. Mahler geht nach Wien und wird radikalisiert, įves dagegen hochkulturalisiert — da kreuzen sich die Biographien.

Wann das Buch erscheint, läßt Schorske, bald achtzig Jahre, offen: „Alt werden ist vergleichbar einem elektrischen System, in dem nicht mehr genug Spannung ist.“

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