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Carmen und Carmencita

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Problematischer als die Besetzung einzelner Partien war in der Staatsoper seit ihrer Wiedereröffnung vor einem lahr das Regiekonzept, insbesondere die Ausstattung einiger Werke. Auch über die neue „C a r-m e n“, wie sie Josef G i e 1 e n mit den Bühnenbildern und Kostümen Georges Wakhevitschs inszeniert hat, kann man geteilter Meinung sein. Diese Wiener „Carmen“ ist ein prunkvolles spanisches Nationaldrama, mit einem starken Aufgebot von Dragonern in pompösen historischen Kostümen, mit Massen von Sevillanern im Sonntagsstaat, mit einem Ballett, dessen sich der Hof an hohen Festtagen nicht zu schämen brauchte, und mit einem Einzugsgepränge (zu Beginn des vierten Akts) im Stil von „Aida“ oder „Meistersinger“. Wakhevitschs Kostüme sind von erlesenem Geschmack. Das ist wörtlich zu verstehen, denn der hochtalentierte und phantasievolle Bühnenbildner hat eifrig in alten Bildwerken studiert, um alles so „echt“ wie möglich zu machen. So ist auch der optische Gesamteindruck nicht nur festlich, sondern auch durchaus einheitlich. — Aber es wäre, so meinen wir, auch noch eine andere „Carmen“ denkbar: ärmlich und gewissermaßen „in Lumpen“, so etwa, wie Otto Preminger sie in seinem Film „Carmen lones“ zeigt, ein Drama großer Leidenschaften unter kleinen Leuten. Realistischer als die Kostüme sind die Bühnenbilder gestaltet: ein etwas eng geratener, von südlich-bunten Häusern umgebener Platz, ein geräumiges, durch farbige, herabhängende Stoffahnen ein wenig künstlich in Unordnung gebrachtes Schmugglerlokal, eine phanastische Burgruine mit einer Mondkraterlandschaft als Hintergrund, schließlich ein sehr geräumiger und gut disponierter Platz vor der Arena.

Die Staatsoper war in der Lage, diese neue „Carmen“ in zwei erstklassigen Besetzungen zu zeigen. Jean Madeira, die Südamerikanerin indianischer Abstammung, groß, schlank, dunkelhaarig und von südlichem Teint, mit einer ebenso dunklen, gut tragenden Naturstimme und tadellos deutlicher Aussprache des Deutschen, gibt der leidenschaftlichen Titelheldin Züge nervöser Bösartigkeit Daß sie die Männer anzieht, versteht man weniget als daß sie ihnen zum Verhängnis wird. Trotz ihres etwas fahrigen und sehr auf Effekt berechneten Spiels steigert sich die Wirkung von Akt zu Akt und erreicht in der Schlußszene einen Höhepunkt. — Christa Ludwig singt schön und richtig, stellt eine nette und liebenswürdige Carmencita auf die Bühne, wirkt aber in der letzten Szene eher wie eine aufgeregte kleine Bürgersfrau, die in eine prekäre Situation geraten ist. — Rudolf Schock und Hans Hopf sind vor allem als Sänger hervorragend, wobei der erstere der Idealvorstellung des Don Jose näher kommt. Herr K o c i als Toreador war eine Enttäuschung, Walter Berry eine angenehme Ueberraschung: was er dieser Gestalt an Wuchs und Erscheinurig schuldig bleibt, wird durch die gesangliche Leistung kompensiert. — Traute Richter war genau jene Micäela, die Bizet selbst nicht leiden mochte. Sie sang ihre Partie sauber und routiniert. Gerda Scheyrer wirkte natürlicher im Spiel und war stimmlich fast ebensogut. Wilma Lipp (in beiden Besetzungen), Hilde Rössel-Majdan und Margarete Sjöstedt (alternierend), die Herren Guthrie—Pantscheff, Poell— Mac Leod, Klein—Dickie, Kunz—Pröglhöf vereinigten ihre Stimmen zu Terzetten und Quintetten, wie man sie in solcher Makellosigkeit und Klangschönheit selten hört. Heinrich Hollreiser und das durch zahlreiche Substitute ergänzte Rumpforchester der Philharmoniker waren manchmal etwas derb, aber immer präzis. Willy Dirtl in einem spanischen Solo schien überfordert, Richard Adama und Edeltraut Brexner sowie das Ballett unter der Leitung von Erika H a n k a waren genau studiert und den Prunkkostümen angemessen. Während und nach beiden Aufführungen — viel Applaus.

In der sehenswerten Ausstattung des Opernfestes und in ägyptischer Finsternis, die auch die wiederholt geübte Kritik nicht aufhellen konnte, sang Camilla Williams die Titerpartie in „Aida“. Ihr Spiel ist ebenso natürlich und rührend wie ihre kleine, wohlklingende Stimme. Was sie ihrem ganzen Wesen nach (das der Heiligen aus der Bleeker Street und der Butterflv mehr entspricht) nicht sein kann, war ihre Partnerin Georgine Milinkowitsch: eine Königstochter.

Lore W i s s m a n n aus Stuttgart sang die Mimi in Puccinis „B o h l m e“. Ihre vorteilhafte jugendliche Erscheinung mit dem zarten Gesicht, das poetische Spiel und die reine, .schöne Stimme summierten sich zu einem angenehmen Gesamteindruck. Wilma Lipp als Grisette — keine Pariserin zwar, aber auch nicht die etwas gewöhnliche Betriebsnudel, als die wir die verschiedenen Grisetten wiederholt dargestellt gesehen und fürchten gelernt haben, sondern eine hübsche Wienerin — war gleichermaßen vollkommen in Spiel und Gesang.

In einem Ballettabend konnte man in „Divertissement“ und „Der Schwarze Schwan“ (nach Musik von Tschaikowsky), die beide nach der Choreographie Petitpas von Gordon Hamilton neueinstudiert waren, uneingeschränkt die Fortschritte und die Leistungen des tänzerischen Nachwuchses bewundern. Weniger erfreulich war die Reprise des „A b r a x a s“-Balletts von Werner E g k in der phantasievollen Choreographie Erika Hankas. Die einst glänzend wirkenden Kostüme sehen zum Teil verwaschen und abgebraucht aus, der musikalische Teil, von Michael Gielen ohne Beteiligung herunterdirigiert, wirkt recht vernachlässigt.

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