Chaos und Lichtgestalten

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Doris Lessing literarisiert wieder einmal den Weltuntergang.

Die Imaginierung und Visualisierung der Apokalypse hat nicht erst seit dem 11. September 2001 Hochkonjunktur. Bilder von abschmelzenden Polkappen, berstenden und ins Meer stürzenden Eisschichten, schrumpfenden Gletschern, sintflutartigen Regenfällen mit überfluteten Städten und im Morast versinkenden Landstrichen oder versteppenden Landschaften gehören zum Nachrichtenalltag. Beliebte TV-Naturmagazine beschäftigen sich nahezu wöchentlich mit den ökologischen und sozialen Folgen des Klimawandels und holen die Schrecken eines Öko-GAUs zur Prime Time in die häusliche Idylle. Und haben nicht Kevin Kostner und Roland Emmerich in den Blockbuster-Produktionen "Waterworld" (1995) und "The Day After Tomorrow" (2004) den lang befürchteten Klimakollaps perfekt illusioniert und opulent ausgemalt? Die Endzeit-Visualisierungs-Maschinerie läuft besser denn je und scheint am Übergang ins neue Jahrtausend den literarischen Warnutopien den Rang abzulaufen. Vermögen utopische Romane sich heute noch gegenüber der medialen Bilderflut des Katastrophischen zu behaupten und jene gesellschaftskritische Kraft zu entfalten, die uns aus der ökologischen Lethargie und aus dem politischen Pessimismus reißt?

Apokalyptische Zeitreise

Die 1919 in Persien geborene und in Rhodesien aufgewachsene englische Autorin Doris Lessing, deren Roman Das goldene Notizbuch (1961) zum Klassiker der Moderne und zum feministischen Kultbuch avancierte, wagt in Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund einmal mehr den Versuch, den Weltuntergang mit den Mitteln der literarischen Fiktion auszugestalten. Mit Blick auf den Krisenkontinent Afrika setzt der Roman die 2001 in Mara und Dann begonnene apokalyptische Zeitreise fort. Von Öko-GAUs in quasi steinzeitliche Verhältnisse zurückversetzt, friert man unter dünner Sonne und in ärmlichen Hütten, schleppt sich durch Sumpflandschaften, kämpft mit tosenden Meeresbrandungen oder ist auf der Flucht vor wilden Tieren, Banditen und Bürgerkriegen. Eiszeit, Dürre und Überschwemmungen haben die Kontinente Ifrik und Yerrup in dystopische Orte verwandelt. Die Wissensspeicher sind zerstört, die sozialen Gefüge zusammengebrochen, Prostitution und Drogensucht breiten sich aus. Dunkelheit allüberall. Doch der Fantasyfan weiß, wo Gefahr, da wächst das Rettende auch. Im abgehalfterten Bürgerkriegsgeneral Dann tritt uns jene Lichtgestalt entgegen, die in eine bessere Zukunft führen könnte. Dann ist für diese Aufgabe aber noch nicht bereit. Die Nachricht vom Tod seiner Schwester Mara hat ihn in einen Zustand psychischer Lähmung versetzt, dem auch die schamanastische Magierin Leta machtlos gegenübersteht. Erst der drohende Krieg mit Kira, seiner ehemaligen Geliebten, die die Nachtseite des Weiblichen repräsentiert, erzwingt die Entscheidung. Das Vertrauen seines Gefolgsmanns Griot, die Gelehrsamkeit des Flüchtlings Ali, die Entdeckung eines verborgenen Wissens-Speichers sowie die Sorge um Maras verwaiste Tochter Tamar motivieren Dann, er übernimmt die Befehlsgewalt über eine multiethnische Heerschar und bricht mit ihr - begleitet von seinem treuen Schneehund Ruff - nach Tundra, ins gelobte Land, auf.

Frauen als Hoffnung

Führergestalten und starke, nicht nur über schamanistisches Wissen verfügende Frauen sind die Hoffnungsträger in einer chaotischen Welt. Nicht zufällig wird das verloren gegangene Licht der Aufklärung in die Hände Tamars gegeben, der künftigen Leiterin einer "Akademie des Lernens". Vertrauen, Empathie, Sinnenfreunde erscheinen als weitere Wegbereiter einer neuen, besseren Gesellschaftsordnung. Wer könnte dem nicht zustimmen? Und doch sind es gerade diese Verallgemeinerungen, die dem Roman seine gesellschaftskritische Brisanz rauben.

Auch die traditionelle, auf jegliche Brechung verzichtende Erzählweise, die Elemente des utopischen Romans mit Elementen der Fantasyliteratur amalgamiert und weiterhin auf die Gut-Böse-Dichotomie setzt, vermag das Bewusstsein für die Probleme einer globalisierten Gesellschaft nicht zu schärfen. Und die Mythologie, die Lessing entwirft, bleibt letztlich doch zu blass, die archaisierende Sprache zu hölzern, um jenen Grad an Faszination und Spannung zu erzeugen wie J.R.R. Tolkien in Der Herr der Ringe.

Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund

Von Doris Lessing

Aus dem Engl. von Barbara Christ

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006

286 Seiten, geb., Euro 25,70

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