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Chinas Kulturrevolution

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CHINA IN DER KULTURREVOLUTION. Von Louis Btrcali. Verla Frits Molden, Wien. 80 Seiten. S 146.50.

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CHINA IN DER KULTURREVOLUTION. Von Louis Btrcali. Verla Frits Molden, Wien. 80 Seiten. S 146.50.

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Louis Barcata, der zweifellos als einer der besten Chinakenner Österreichs gilt und das Reich der Mitte nach dessen kommunistischer Machtergreifung dreimal, jeweils 1958, 1963 und 1967, bereiste, hat die jüngsten Ereignisse Chinas im Zeichen der proletarischen Kulturrevolution in seinem neuesten Buch „China in der Kulturrevolution — ein Augenzeugenbericht“ getreu und nach seinem besten Gewissen geschildert, trotz der Einschränkung seiner Besichtigung auf nicht viel mehr als vier Städte Chinas (Kanton, Schanghai, Hangtschow und Nanking) und seiner Unkenntnis der chinesischen Sprache, da sich seine Quellen zumeist auf die offiziellen Veröffentlichungen und Wandzeitungen — durch Übersetzung seiner vom Regime ihm zugeteilten Dolmetscher allerdings — sowie die Aussagen einzelner Personen stützen konnte.

Ich habe aus seinem Buch den Eindruck gewonnen, daß die chinesischen Jugendlichen heute durch die Kulturrevolution tatsächlich viel größere „demokratische“ Rechte genießen können als etwa zur Zeit meines Aufenthaltes An Peking (1952 bis 1956). Damals war eine echte Kritik in irgendeiner Form an der Obrigkeit jeden Ranges undenkbar. Jetzt ist es aber zulässig. Nicht weil, wie Tschen Yi sagte, „... wir sind ein freies, ein demokratisches Land“ (Seite 86), sondern weil „das Volk keine Kontrolle mehr wünscht. Es will zu Wort kommen, nicht reglementiert werden“ (Seite 110), so daß „hier jeder sagen kann, was er will“ (Seite 86). In dieser Hinsicht allein stellt die Kulturrevolution schon irgendwie einen „Fortschritt“ dar. Ob man es will oder nicht, es ist eine Tatsache.

Das Buch Barcatas verleiht den Lesern noch eine sehr klar Nuance, daß der Haß der Chinesen heute gegen die Russen weit ärger sei als gegenüber den Amerikanern. In diesem Fall hat Barcata die Sachen mit seinen geschulten Journalistenaugen richtig erkannt. Alle weißen Mächte hatten territorialen Gewinn in China sich zugesprochen; sogar Österreich- Ungarn hat eine „Konzession“ in Tientsin besessen. Aber eine „amerikanische Kolonie“ oder Konzession hat es in China nie gegeben. Die USA grenzen nicht an China, so daß sie kein „Sibirien“ von China gestohlen haben können. Im Gegensatz zu diesem ist Rußland — auch wenn es nun Sowjetunion heißt — ein natürlicher Feind Chinas. Es kann auch nicht anders sein. Die Weltpolitik selbst ist ein Kaleidoskop, niemand kann heute sagen, ob im kommenden Jahrhundert nicht der traditionellen Freundschaft gemäß ein amerikanisch-chinesisches Bündnis entstehen kann. Hat jemand früher jemals gedacht, daß die USA jetzt nicht mehr Freund Westeuropas geworden sind?

Zum literarischen Erfolg des Buches gehört zweifellos Barcatas Darstellung seiner Begegnung mit dem chinesischen katholischen Priester in einem Dorf im Norden Schanghais (Seite 173 bis 181). Die Schilderung ist erschütternd und be rührend. Besonders die Geistlichkeit in den weißen katholischen Ländern sollte lange darüber nachdenken, weshalb die Mission in diesem Teil der Welt keinen Erfolg erreichen konnte. Die katholische Kirche, be- sondern jene in den Kolonien Asiens, ist jahrhundertelang der Vertreter der Unterdrücker und Reaktionäre gewesen. Vielleicht hat es Gott gewollt, daß die Mission in China nun beinahe in die Lage des Urchristentums zurückgesetzt wird, damit sie noch einmal von vom mit völlig neuem Gesicht anfangen und ihre Wurzel nicht durch die Kanonenbootdiplomatie, sondern durch das chinesische Volk der Zukunft schlagen wird.

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